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Lesetypografie

Martin Z. Schröder

Drei Auflagen lang etablierte sich Lesetypographie als unverzichtbarer Leitfaden für Dozenten, Studierende und Praktiker, und wir hätten uns darauf ausruhen können. Aber das würde nicht zu uns passen. Der Grundgedanke der Lesetypo, Gestaltung mit den Augen des Lesers zu sehen und sich vor dem Gestalten mit den Lesearten zu beschäftigen, ist leider immer noch für viele vollkommen neu. Die typografischen Anregungen, Regeln, Lektionen der Lesetypo basieren auf der Analyse von Spitzenleistungen der Buchgestaltung aus Jahrhunderten und haben zeitlose Gültigkeit. All das haben wir also nicht verändert. Aber natürlich sind in den letzten Jahren neue hervorragende Beispiele entstanden – nicht zuletzt dank der Breitenwirkung der Lesetypographie. Und so finden Sie in der [neuen] Lesetypo aktuelle Beispiele, dreidimensional farbig fotografiert, Ergänzungen, u. a. Beispiele zu mehrsprachigem Satz, Erweiterungen … Und natürlich hat FF auch die Typografie ins 21. Jahrhundert geholt! Wenn Sie Ihre Kollegen schon immer um Lesetypographie beneidet haben, wenn Sie mit einem sicheren Begleiter den typografischen Alltag meistern und die Klippen der Buchgestaltung souverän umschiffen wollen, dann danken Sie mit uns Friedrich Forssman für die [neue] Lesetypografie! Und wenn Sie Lesetypographie schon haben? Werfen Sie einen Blick in die neue, bevor Sie Ihren Wunschzettel schreiben!

Rezension

Häßliche Schrift und dummes Ornament. Von der Kunst, Gedanken optisch zu verstärken: Hans Peter Willbergs und Friedrich Forssmans »Lesetypografie«

von Martin Z. Schröder

Das Lesen von Büchern ist so populär, daß es sogar in unterhaltsamer Television propagiert wird. Fast nie aber wird über die Gestalt des Buches gesprochen. Können sich unsere Bücher messen mit den typografischen Idealen der Vorzeiten?

Für die Texte selbst ist das nicht unwichtig. Wer einen Gedanken erst flüchtig auf einem Zettel notiert und später auf dem Computer „schön“ gesetzt hat, wird festgestellt haben, daß sich der Gedanke entweder lächerlich macht durch die einer Druckschrift innewohnende Bedeutsamkeit oder daß er sich bewährt. Typographie kann Gedanken entlarven oder verstärken. So darf man auch annehmen, daß schöne Bücher die Autoren zu einer größeren Sorgfalt in ihrer Sprache und zu sorgfältigerer Ausarbeitung ihrer Gedanken verleiten als lieblos hergestellte.

Das Buch ist ein Gebrauchsding, das sich von allen anderen durch seine traditionelle Gestalt unterscheidet. Haus, Kleidung, Uhr, Schale sind stets ihrer Form und ihrem Dekor nach einer Zeit zuzurechnen, aber das Buch hat sich seit etwa 500 Jahren weniger verändert. Ein mittelalterliches Stundenbuch liegt uns vertraut in der Hand, und noch viel weniger als die Buchgestalt haben sich die Formen der Buchstaben gewandelt. Wir lesen in Romanen die Typen der französischen und italienischen Renaissance, gelegentlich modernisierte Formen, die der Laie aber kaum als neu wahrnimmt. Wir haben keine Mühe, die Inschrift der Trajanssäule in Rom zu lesen, weil wir seit dem 2. Jahrhundert die Grundformen der Buchstaben nicht mehr korrigiert haben.

Wenn jemand ein Hand- und Lehrbuch für Lesetypografie, namentlich die des Buches schreibt, muß er sich diesem faktischen Anspruch des Gebrauchsdinges unterordnen, also in der Tradition bleiben. Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman geben vor, ihr Werk „Lesetypografie“ danach auszurichten, deren nach acht Jahren nun überarbeitete Neuauflage der 2003 verstorbene Mainzer Typografie-Professor Willberg nicht mehr erleben kann. Im Vorwort erklären die Autoren, die „Kontinuität der Erfahrung“ aus der Weitergabe von Erkenntnissen von einer Generation von Fachleuten zur nächsten sei abgebrochen, weil durch den technischen Fortschritt ein jeder die Gerätschaften zum eigenen Buchentwurf an die Hand bekommen habe. Die Sache dialektisch betrachtend weisen die Autoren darauf hin, daß zugleich das allgemeine Interesse an Typografie gewinne.

Diese Rücksichtnahme auf Lesergefühle zeichnet das Werk aus: Willberg und Forssman unterscheiden selten zwischen falsch und richtig oder gut und schlecht, sie „wollen vor allem zur Analyse anregen“ und „keinem das Vergnügen rauben, eine Schrift zu wählen, das Format zu bestimmen“ und so fort; damenhaft das Vokabular: „Untugend“, „unseriös“, „unglücklich“.

Das wirkt vielleicht unaufdringlich. Dann aber stößt der Leser auf diese Bemerkung: „Schränkt historisches Wissen die Kreativität ein, oder verleiht es Sicherheit und unterbaut die Entscheidungen? Die Antwort muß jeder Typograf für sich selbst geben.“

Der Typograph ist mehr als andere Formgestalter an die Arbeiten seiner Vorgänger gebunden. Typografen müssen Lesegewohnheiten gerecht werden und ihre Arbeiten zugleich mit Zartgefühl zeitgemäß prägen, um Zeitgenossen anzusprechen. Weil wir uns ohne Kontinuität von den Texten unserer Vorfahren abschneiden würden, muß allein die Erwägung, ob historisches Wissen für den Typografen verzichtbar sein könnte, als skandalös gelten. Typografie ist ein nicht endendes Geschichtsstudium. Alles andere ist Bastelei.

Hans Peter Willberg wollte dieses Buch verstanden wissen als sein „Vermächtnis als Lehrer“. Er war ein ausgezeichneter Typograf mit einem Ruf. Er hat als starke Persönlichkeit und Vorbild mehrere Generationen von Schülern mit seinen frisch gewagten und oft ungeprüften Thesen geprägt, denn er war lauter als andere. Daß er von Kontinuitätswahrung zumindest teilweise theatralisch sprach, belegen einige Kommentare zu den spärlichen historischen Arbeitsproben. Dazu ist zu bemerken, daß fast alle Bildbeispiele Arbeiten von den Autoren und Mainzer Absolventen zeigen, es sich bei diesem Buch also um die Denk- und Sehschule eines einzigen Lehrstuhles handelt, was Tristheit mit sich bringt. Nur die Kapitelanfänge zeigen fremde, weil historische Arbeiten, doch eben deren Erläuterungen verweisen auf die nachlässige Durchdringung des Stoffes. So wird dem Kapitel „Typografie und Illustration“ die Reproduktion einer Buchseite vorangestellt, welche Aldus Manutius 1499 in Venedig druckte. Darunter steht, daß dieses Buch in allen einschlägigen Werken abgebildet sei, dann: „Wie sehr die Holzschnitte und die Schrift als Einheit gesehen wurden, zeigt (...) der Abstand zwischen der Unterkante des Holzschnittes und der ersten Textzeile.“ Das ist Blödsinn.

Durchblättert man das zitierte Buch, wird man finden, wie wenig sich der berühmte Aldus um den Abstand zwischen Bild und Text in diesem Buch bekümmerte. Mal klebt die Überschrift am Bild, mal hat sie Luft, mal klebt der Text am Bild, mal ist dort ein Raum gelassen. Willberg und Forssman haben offenbar keine vollständigen Ansichten gehabt, sondern nur einen Ausschnitt aus zweiter Hand für das Ganze genommen. Dafür spricht auch, daß die Buchseite in falschen Proportionen gezeigt wird: hüftspeckig und nicht rank und schlank, wie die berühmten Aldinen als Originale Hand und Auge schmeicheln.

An anderer Stelle behaupten Willberg und Forssman, einer Schrift fehlten bestimmte Buchstabentypen, dabei sind diese nur nicht digitalisiert worden, das Blei-Original hatte die „fehlenden“ Typen wohl. Oder es wird Setzern eines Buches von 1754 süffisant unterstellt, sie hätten „ihre Schwierigkeiten“ mit der Arbeit am Detail, weil sie nach fremden Regeln gearbeitet haben. Bücher in Frakturschriften werden gar nicht behandelt, dabei lesen sich manche Schriftsteller, man nehme nur Adalbert Stifter, in einer Fraktur viel schöner.

Jan Tschichold, der bedeutendste deutsche Typograf des 20. Jahrhunderts und von Willberg und Forssman zu Recht als Autorität zitiert, hatte vor Fügungen wie „häßliche Schrift“ und „dumme Ornamente“ keine Scheu. Er hielt es nicht für nötig, dem Leser das Denken und eigene Dummheiten ausdrücklich zu gestatten. In Tschicholds schönen Essays findet sich noch das kleinste Detail genauer in seiner historischen und gegenwärtigen Bedeutung dargetan, als in dem Album von Willberg und Forssman, das aber dank singulärer Marktstellung und ungeprüftem Ruf weiterhin als ein Standardwerk für Buchentwerfer gelten wird. Bleibt zu hoffen, daß sich neue Generationen den Meisterwerken in den Bibliotheken zuwenden und nicht allein auf ein besonders dickes Lehrbuch vertrauen.

(Originalmanuskript aus der Bibliothek von www.druckerey.de, Erstdruck in der Süddeutschen Zeitung am 11. 5. 2006)


Autor(en): Friedrich Forssman

Autor(en): Hans Peter Willberg

veröffentlicht: 2005

Verlag: Verlag Hermann Schmidt Mainz

Sprache: deutsch

ISBN: 978-3874396523



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