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Ligaturen - Alles, was man wissen muss

Ralf Herrmann

Der Begriff Ligatur gehört zum sprachlichen Standardrepertoire aller, die sich professionell mit Schrift auseinandersetzen. Dennoch spürt man in der Praxis immer wieder, dass sich die meisten nicht vollends über Definition und Wesen dieses Begriffes im Klaren sind. Dies zeigt sich zum Beispiel an den oft genannten Hinweisen, wann Ligaturen zu setzen sind und wann nicht. Diese Hinweise beziehen sich jedoch tatsächlich nur auf eine bestimmte Untergruppe von Ligaturen. Und auch in der aktuellen Diskussion um das Versal-Eszett hört man immer wieder, dass es sich beim Eszett ja nicht um einen gar nicht um einen Buchstaben, sondern um eine Ligatur handeln würde. Auch an dieser Aussage wird mangelndes Verständnis des Begriffes Ligatur deutlich.


Herleitung und Definition

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Das Problem beim Begriff Ligatur scheint zu sein, dass die meisten bei seiner Anwendung lediglich an Ligaturen wie und denken und deren Prinzipien auf alle Ligaturen übertragen. Doch dies führt zwangsläufig zu Missverständnissen.
Ligatur bedeutet zunächst einmal nichts weiter als Buchstabenverbindung. Es geht auf das lateinische ligare ([fest-]binden) zurück. Aus dieser Herleitung wird schon offensichtlich, dass der Begriff Ligatur noch gar nichts über einen möglichen Zweck aussagt, sondern lediglich ganz abstrakt und formal eine Verbindung mehrerer Buchstaben beschreibt.
Im Sinne der Drucktechnik meint man mit Ligaturen die Verbindung mehrerer Schriftzeichen auf einem Schriftkegel (siehe ffl-Ligatur in der Abbildung). Dies geht auf die Technik des Bleisatzes mit einzelnen beweglichen Lettern zurück, ist aber auch heute noch gültig. Auch digitale Schriften besitzen einen virtuellen Schriftkegel und auch hier können mehrere Schriftzeichen zu einer so genannten Glyphe vereinigt sein. Es spielt dabei nicht mal eine Rolle, ob sich die Einzelteile dieser Ligatur tatsächlich in ihrem Schriftbild berühren. Allein die technische Vereinigung mehrerer Zeichen zu einer Glyphe rechtfertigt hier die Benutzung des Wortes Ligatur.

Mögliche Zwecke von Ligaturen

Wenn man sich vor Augen hält, dass Ligatur nichts anderes als »Buchstabenverbindung« bedeutet, stellt sich natürlich sofort die Frage, welche Buchstaben denn zu welchem Zweck verbunden wurden. Nachfolgend der Versuch einer Klassifikation möglicher Ligaturen in lateinischen Schriftsystemen.


1. Typografische Ligaturen

Die erste Gruppe bilden die typographischen Ligaturen. Sie verfolgen, wie der Name schon sagt, rein typografische Zwecke. Es lassen sich weitere Untergruppen bilden:


1.1 Kollisionsligaturen

Das Zusammentreffen bestimmter Buchstabenpaare kann in manchen Schriften eine unschöne Verbindung erzeugen, die der Leserlichkeit abträglich ist. Der Schriftgestalter kann daher spezielle Glyphen gestalten, die diese Verbindung typographisch optimieren. Die Ersetzung der Einzelglyphen f und i durch eine spezielle fi-Ligatur-Glyphe, die beide Buchstaben sinnvoll verbindet, ist ein bekanntes Beispiel dafür:


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Im folgenden Beispiel wurde das Problem anders gelöst. Die Ligatur-Glyphe ist so gezeichnet, dass sich f und i durch ein kürzeres f nicht mehr berühren. Dennoch kommt auch hier eine Ligatur zum Einsatz, da sich beide Zeichen auf einem Kegel befinden.

 

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Weitere mögliche Ligaturen dieser Kategorie sind zum Beispiel fi, fl, ff, ffi, ffl. Je nach Schriftart sind aber auch beliebige andere Kollisionsligaturen denkbar, zum Beispiel Th, gg, fb, fk, fh und so weiter.


1.2 Schmuckligaturen

Schmuckligaturen erfüllen, wie der Name schon sagt, eher dekorative Zwecke. Sie schaffen Verbindungen zwischen Buchstaben, die weder typografisch, noch orthografisch notwendig wären, aber das Schriftbild interessanter bzw. wechselvoller gestalten können. Dabei lehnt man sich oft an kalligrafische Konventionen an.
Diese Ligaturen sollten mit Bedacht eingesetzt werden und sind in OpenType-fähigen Anwendungen auch standardmäßig deaktiviert. Die entsprechenden Option heißt in der Regel »bedingte Ligaturen« (discretionary ligature).


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Welche typografischen Ligaturen sinnvoll sind und wann sie zum Einsatz kommen sollten, kann sich von Sprache zu Sprache unterscheiden. Im deutschen werden typografische Ligaturen bekanntlich nicht über Morphemgrenzen hinweg gesetzt. So wird Kaufleute immer ohne fl-Ligatur gesetzt, Baufläche jedoch auf Wunsch mit Ligatur.

In jedem Falle sind alle vorstehend genannten Ligaturen jedoch als solches keine bedeutungstragenden Zeichen. Der rein typografische Zweck entfällt in der Regel schon dadurch, dass man zum Beispiel zwischen gemischter Schreibweise und Versalsatz wechselt. Eine fi-Ligatur wird natürlich im Versalsatz in die einzeln stehenden Zeichen F und I aufgelöst, da es hier bei einer normalen Laufweite nicht mehr zu einer ungewollten Kollision der Zeichen kommen kann.
In gleicher Weise führt das deutliche Sperren eines Textes dazu, dass die typografischen Ligaturen aufgelöst werden. Layout-Anwendungen wie Adobe InDesign erledigen dies in der Regel selbstständig.


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Und diese Eigenschaft grenzt die typografischen Ligaturen deutlich von der folgenden Kategorie ab …


2. Orthographische Ligaturen

 

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Orthografische Ligaturen haben im Gegensatz zu den typografischen Ligaturen einen konkreten sprachlichen Zweck. In diese Kategorie fallen zum Beispiel die Ligaturen W/w, Œ/œ, Æ/æ und nach heutigen Regeln das Eszett (ß), selbst wenn von letzterem noch nicht restlos zufriedenstellend geklärt ist, aus welchen Teilen es historisch entstanden ist.
Vielen ist gar nicht bekannt, dass auch unser vertrauter Buchstabe W/w eine Ligatur aus zwei V bzw. U ist, die lange Zeit nicht für unterschiedliche Lautwerte benutzt wurden. Daher rührt übrigens auch noch die Bezeichnung »double u« im Englischen für das W.
Spätestens dieses Beispiel verdeutlicht, dass es unsinnig ist, Buchstaben des Alphabets und Ligaturen als etwas unterschiedliches oder gar sich ausschließendes auffassen zu wollen. Ob ein Schriftzeichen als Buchstabe eines Alphabets gilt, lässt sich nicht über seine Herkunft aus einer Ligatur ableiten bzw. nicht dadurch ausschließen.
Dies zeigt sich sehr schön an den orthographischen Ligaturen Œ/œ, Æ/æ. Sie zeigen auch visuell noch sehr deutlich, dass sie aus einer Verbindung aus OE/oe beziehungsweise AE/ae entstanden sind. Jedoch ist diese Verbindung heute eben keine typografische, die sich jederzeit wieder auflösen ließe, sondern diese Zeichen erfüllen als vollwertige Buchstaben einen distinkten phonetisch/orthografischen Zweck. Das œ im französischen cœur (Herz) erfordert eine andere Aussprache als die Einzelbuchstabenfolge oe.
Das Gleiche gilt für das Eszett in Deutschland und Österreich. Seine Herkunft aus einer Buchstabenverbindung ist für die Einordnung des Buchstabens in das Alphabet völlig unerheblich. Das Eszett ist heute Teil der amtlichen Rechtschreibung, da es eine konkrete sprachliche Funktion erfüllt. Es zeigt bei einem scharfen S-Laut an, ob der vorausgehende Vokal kurz (Busse) oder lang (Buße) gesprochen wird. Damit hebt es sich deutlich von den oben genannten typografischen Ligaturen ab und verlangt in der Folge zumindest heute auch nach einem Pendant im Versalsatz, so wie auch niemand auf die Idee kommen würde, dass man aufwachsen im Versalsatz in AUFVVACHSEN auflösen würde. Sobald ein Buchstabe Teil des Alphabets mit Groß- und Kleinbuchstaben geworden ist, benötigt man in Antiqua-Schriften beide Formen, völlig unabhängig davon, ob dieser Buchstabe aus einer Ligatur entstanden ist oder nicht.


3. Sonderfall: Historische Ligaturen in gebrochenen Schriften

Der Satz von deutschen Texten in gebrochenen Schriften folgte früher besonderen Regeln, die insofern eine Sonderstellung einnehmen, da sie nicht nur an die Sprache, sondern eben auch an die konkrete Schriftform der gebrochenen Schriften gebunden waren. So wurde ein und derselbe Text in deutscher Sprache in Fraktur mit anderen Ligaturen (und anderen Zeichen wie dem langen s) gesetzt als in der Antiqua-Schreibung.
Der Satz mit gebrochenen Schriften kannte ebenfalls typografische Ligaturen wie ſſ, ſi, ll, fl, und fi, die nach den gleichen Prinzipien gesetzt wurden, wie oben beschrieben. Darüber hinaus gab es aber weitere, so genannte obligatorische oder buchstabenähnliche Ligaturen wie ch, ck, tz (und ß). Man kann sie im Fraktursatz als buchstabenähnlich beschreiben, da sie nicht wie Œ, W etc. eine spezifische Aussprache anzeigen, sondern durch den Ligatur-Charakter lediglich ein visuellen Hinweis auf einen Digraph sind – also zwei Buchstaben, die für eine Lautung stehen. Die Auswahl und Anwendung dieser obligatorischen Ligaturen hat sich als Schriftsetzer-Konvention über die Zeit entwickelt. Längst nicht alle Digraphen der deutschen Sprache wurden auf diese Weise verbunden und während der Digraph ch verbunden erscheint, ist dies zum Beispiel beim Trigraph ſch (sch) nicht der Fall. Im Gegensatz zu den typografischen Ligaturen werden die obligatorischen Ligaturen im Sperrsatz nicht aufgelöst. (Zum Sonderfall ſt des siehe hier.)


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Ligaturen/Digraphen, die nicht als Ligaturen gesetzt werden

So wie es oben beschrieben technische Ligaturen auf einem Kegel gibt, die sich aber nicht berühren und daher wie ganz normale Einzelbuchstaben aussehen, so gibt es auch den umgekehrten Fall: Buchstabenverbindungen, die wie eine orthographische Ligatur verstanden werden, jedoch in der Regel nicht als solche gesetzt werden. Darunter zählen zum Beispiel das niederländische IJ/ij oder das kroatisch/bosnische Dž/dž. Diese Verbindungen werden heute als jeweils als ein Buchstabe verstanden. Sie sind somit nicht trennbar und füllen zum Beispiel in einem Kreuzworträtsel lediglich ein Feld. Da sie jedoch nicht auf den jeweiligen landestypischen Tastaturbelegungen vorhanden sind, erfolgt die Eingabe in aller Regel durch das Tippen der Einzelbuchstaben und nicht durch den Einsatz einer Ligatur-Glyphe, obgleich im Unicode mittlerweile entsprechende Kodes für diese besonderen Ligaturen vorgesehen sind.

Fazit: Ligaturen gibt es aus den verschiedensten Gründen und sie folgen unterschiedlichen Satzregeln. Daher ist es in der Praxis oft wenig hilfreich, von Ligaturen im Allgemeinen zu sprechen. Man sollte zumindest spezifizieren, ob man von typografischen oder orthographischen Ligaturen spricht. Daraus ergibt sich auch, dass man nicht prinzipiell Ligatur und Buchstabe unterscheiden kann. Ligaturen können durch orthographischen Beschluss oder im Laufe der Zeit zu Buchstaben werden und ob in konkreten Fall tatsächlich eine satztechnische Ligatur zum Einsatz kommt, hängt von den technischen Gegebenheiten ab und lässt sich nicht immer direkt aus dem sichtbaren Schriftbild ableiten.

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