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Die Schwabacher

Martin Z. Schröder

Wie jede Schrift hat auch die Schwabacher ihre Geschichte. Der bekannte Typograph Philipp Luidl erzählt sie mit vielen Bildbeispielen bis hin zu dem Tag, an dem Hitler die Schwabacher Judenlettern 1941 verbot (und warum!)

Rezension

Eine zackige Kehrtwendung. Paßt die Fraktur zu Frauenschönheit und Männerkraft? Philipp Luidl geht der sogenannten Schwabacher Judenletter nach

von Martin Z. Schröder

Warum haben wir länger als andere europäische Völker die Fraktur als Normschrift gedruckt und Kurrentschrift als Handschrift geschrieben, so lange, daß viele sie für die deutsche Schrift schlechthin halten? Und warum schreiben und drucken wir heute in Antiqua? Sowohl das lange Festhalten an den gebrochenen Schriften als auch den plötzlichen Umschwung zur Antiqua verdanken wir weltanschaulichen Kämpfen, die sich über mehrere Jahrhunderte hinzogen. Erst die Nationalsozialisten etablierten die Antiqua in Deutschland endgültig.

Adolf Hitler konferierte am 3. Januar 1941 mit Max Amann, Verleger und Herausgeber des „Völkischen Beobachters“, Präsident der Reichsschrifttumskammer, Reichsleiter für die Presse der NSDAP, und mit dem Druckereibesitzer Adolf Müller, der den „Völkischen Beobachter“ druckte. Die Expertenrunde entschied, die Antiqua als „Normal-Schrift“ im Reich durchzusetzen. Zuerst sollten die im Ausland verbreiteten oder für eine Auslandsverbreitung vorgesehenen Zeitungen und Zeitschriften umstellen.

Erklärt wurde diese Entscheidung so unsinnig, daß die Begründung später, zur Umstellung der Schulbücher, kaum noch erwähnt wurde. In der Mitteilung vom Stabsleiter beim Führerstellvertreter, Martin Bormann, heißt es also: „In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei der Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern.“

Das war eine zackige Kehrtwendung. Reichsinnenminister Frick hatte noch am 9. Mai 1933 in einer Ansprache an die Kultusminister der Länder verlangt, daß die „deutsche“ Schrift, womit er die gebrochene meinte, ihren unbedingten Vorrang vor der lateinischen Schrift niemals verlieren solle. 1937 wurde jüdischen Verlagen die Verwendung der Fraktur sogar verboten. Plötzlich sollten das „Schwabacher Judenlettern“ sein?

Man stand 1941 vor dem langen Marsch nach Osten, und die gebrochenen Typen waren ungeeignet für internationale Propaganda. Sie erschwerten außerdem die Kommunikation in den besetzten Gebieten, denn Polen und Franzosen konnten die Befehle und Dokumente in gebrochenen Schriften nicht lesen. Die Altertümlichkeit der Schrift vertrug sich außerdem nicht mit den modernen Ideen des nationalen Sozialismus.

Hitler und seine global denkenden Propagandisten haben sich den Begriff „Schwabacher Judenlettern“ ausgedacht. Aus jüdischen Druckereien konnten keine gebrochenen Schriften in Deutschland kommen, denn nur Christen mit Bürgerrecht durften um 1500 Druckereien führen, als die Schwabacher sich verbreitete.

Der Typograph Philipp Luidl hat jetzt eine bislang kaum publizierte These aufgegriffen, wie der Ort Schwabach, wo sich erst 1603 eine Druckerei erstmals nachweisen läßt, zur Ehre des Namensgebers kam. Es sei zur Klärung ein Blick geworfen auf die vier verschiedenen Typen gebrochener Schriften, die sich aus den handgeschriebenen Typen der Gotik entwickelten: Die Mutter aller gebrochenen Schriften war die aus Paris kommende dunkle, stark gebrochene, verzierte Gotisch, Textur genannt, die Gutenberg mit Fust und Schöffer um 1454 zum Vorbild für die Bleilettern zum Druck der 42zeiligen Bibel nahmen. Der Textur folgte um 1485 die weniger stark gebrochene Rundgotisch, auch Rotunda genannt, die sich vor allem in Südeuropa verbreitete. In Deutschland entwickelten sich gleichzeitig drittens die breitlaufende, volkstümliche Wittenberger und Schwabacher und regional weitere Formen; nur die Schwabacher wird heute als eigene Type klassifiziert. In der Renaissance schließlich entstand jene schmalere, zierliche Schrift, die wir als die Fraktur im engeren Sinne bezeichnen. Sie wurde die deutsche Verkehrsschrift bis ins 20. Jahrhundert.

Warum blieb die Fraktur in Deutschland so lange als Verkehrsschrift erhalten? Um 1600 war in Frankreich, Italien, Spanien und auch in England der Wandel zur Antiqua vollzogen, denn die Schrift der römisch-katholischen und anglikanischen Kirche war die humanistische Minuskel. Die deutschen Katholiken konnten sich Rom darin nicht anschließen (obwohl an einigen deutschen Lateinschulen Antiqua geschrieben wurde), weil sie, beeindruckt von den Reformisten, an der Kurie zweifelten und sie die Volkstümlichkeit der Bibelübersetzungen in Frakturschrift überzeugte. Die deutschen Gegner der Fraktur waren nicht Katholiken, sondern Humanisten, die sich von Martin Luther abgewandt hatten wie Erasmus von Rotterdam. Die deutschen Humanisten schrieben in Antiqua, sowohl in der Annahme, dies sei die Schrift der Antike gewesen, als auch in dem Gefühl der Verbundenheit mit der europäischen Bildungsgemeinschaft. Die lutherischen Reformisten ließen ihre Texte in der breiten Schwabacher Type drucken, damit jeder sie lesen konnte, und diese Schrift verbreitete sich rasch. Luidl ist der Quelle nachgegangen, welcher der Name „Schwabacher“ für die Type der Luther-Zeit entnommen wird: einem Lehrbuch für Schönschrift von Wolfgang Fugger aus dem Jahr 1553. Der Name der Schrift scheint auf einen politischen Text hinzudeuten: Die „Schwabacher Artikel“ gingen als Ergebnis des Schwabacher Konvents vom Oktober 1529 und als Darstellung der protestantischen Lehrinhalte ein in die Confessio Augustana von 1530. Darin hatten die Protestanten ihre Bekenntnisse für den Augsburger Reichstag gesammelt, der vom Kaiser zur Rettung der Glaubenseinheit einberufen worden war. Die Schwabacher Artikel wurden in Augsburg mit jener breiten Drucktype gedruckt, die man später nach diesen Artikeln benannte. Bewiesen ist diese These nicht, aber sie klingt besser als die, wonach der Augsburger Drucker und Schriftschneider aus Schwabach stammte, wofür es auch keine Belege gibt.

Luidl springt von 1530 leider direkt in das ungebildete Gerede der Nationalsozialisten und läßt die Chance ungenutzt, seine These zu untermauern oder den hochinteressanten Schriftenstreit zwischen 1600 und 1941 darzustellen, zu dem sich jeder Schriftsteller und Gelehrte in diesen Jahrhunderten Gedanken machen mußte. Zwischen Goethe und seiner Mutter beispielsweise entstand ein brieflich belegter Disput die Mutter liebte die Fraktur, Goethe hielt die Antiqua für die Schrift der Gebildeten, ließ aber in beiden Schriften drucken.

Statt dessen stellt Luidl eher unerhebliche Mutmaßungen an, wo Hitler und seine Experten den Namen Schwabach in jüdischem Kontext gehört haben könnten. Ein Bankhaus vielleicht?

Daß Hitler die gebrochenen Schriften nicht mochte, zeigt Luidl an einem Beispiel: ein Wettbewerb für einen Urkunden-Entwurf. Hitler entscheidet sich für die Futura, eine serifenlose, moderne Schrift. Luidl führt dazu nichts weiter aus, dabei ist diese Geschichte hochinteressant und unterstreicht Hitlers modernen Geschmack. Die Futura war 1928 unter den Händen Paul Renners entstanden mit dem etwas absurden Anspruch, die Schrift dieser Zeit zu sein. Sie war zwar den Bauhaus-Leuten noch viel zu harmonisch, vor allem die späteren Varianten, die wir noch heute benutzen, aber sie wurde im Bauhaus verwendet, weil es nicht viel anderes ohne Serifen gab. Hitlers Leute, so Luidl, nannten Renner einen Kulturbolschewisten, machten da also keinen Unterschied, weil sie eigentlich der Fraktur anhingen. Hitler selbst differenzierte gewiß unbewußt zwischen Renner und Bauhaus, wenn er die Futura anderen Schriften vorzog und gegen das Bauhaus wetterte: „Das ganze Kunst- und Kulturgestotter von Kubisten, Futuristen, Dadaisten usw. ist weder rassisch begründet noch volklich erträglich.“ Das sagte er in seiner Rede am 6. September 1934 auf der NSDAP-Kulturtagung im Nürnberger Apollo-Theater. Hitler sah die Deutschen in antiker Tradition, er geißelte „Straßenbenennungen und Maschinenschrift in echt gotischen Lettern“ und rief über „jene Rückwärtse“ aus: „Sie haben keine Ahnung davon, daß deutsch sein, klar sein heißen könnte, sonst würden sie sich besser als Versteinerungen in die Museen zurückziehen, denn als aufdringliche Geister die Mitwelt erschauern zu lassen.“ Etwas später: „So wie wir aber in unserem übrigen Leben dem deutschen Geist die freie Bahn zu seiner Entwicklung gaben, können wir auch auf dem Gebiete der Kunst nicht die Neuzeit zugunsten des Mittelalters vergewaltigen. Eure vermeintlich gotische Verinnerlichung paßt schlecht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas und Beton, von Frauenschönheit und Männerkraft, von hochgehobenem Haupt und trotzigem Sinn." Die Gotik war Hitler unheimlich.

Luidl zitiert einen 1976 geschriebenen Brief von Henriette von Schirach, in dem sie versichert, Hitler habe die „Schwabacher Letter“ gehaßt, womit die geschiedene Frau des Reichsjugendführers die gebrochene Schrift meinte.

Noch etwas könnte zu dem so bizarr begründeten Beschluß von 1941 beigetragen haben, was Luidl ebenfalls nicht erwähnt. Eine der Frakturschriften des „Völkischen Beobachters“ stammt von Lucian Bernhard, einem 1923 nach New York ausgewanderten Berliner Schriftkünstler mit jüdischen Vorfahren, der die Schrift 1913 schuf. Die Überschrift zu Hitlers Rede auf der Kulturtagung 1934 ist in der extrafetten Bernhard-Fraktur gesetzt worden: „Kunst verpflichtet zur Wahrhaftigkeit“. Druckereibesitzer Müller, selbst kein Schriftkundiger, wird das vielleicht gehört und peinlich gefunden haben.

Eher empfehlenswert als Luidls fragmentarische Schrift bleibt ein älteres Buch zur Fraktur wegen seiner gediegenen Ausführlichkeit: der 1993 erschienene Überblick über die Form und Geschichte der gebrochenen Schriften von Albert Kapr unter dem schlichten Titel „Fraktur“, der auch die Forschungslücken kenntlich macht, die zu schließen Luidl mit der unbewiesenen Geschichte der Schwabacher kaum gelungen ist.

(Originalmanuskript aus der Bibliothek von druckerey.de, Erstdruck in der Süddeutschen Zeitung am 20. 4. 2005)


Untertitel: Die ungewöhnlichen Wege der Schwabacher Judenlettern

Autor(en): Philipp Luidl

veröffentlicht: 2003

Verlag: Maro-Verlag, Ausgburg

Sprache: , deutsch,

ISBN: 978-3-87512-415-6

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