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Rückblick: Schusterfisch-Konferenz in Weimar

Ralf Herrmann

Normalerweise mag ich keine kurzen Rückblicke auf Design-Konferenzen, wie sie üblicherweise in Magazinen und Weblogs erscheinen. Die eigentlichen Inhalte der Vorträge sind oft viel zu vielschichtig, als dass man sie in einige wenige Sätze fassen könnte. Wer nicht dabei war, erfährt also nur, welche Themen er alles verpasst hat und kann aus dem Rückblick wenig sinnvolles schöpfen. Doch die Schusterfisch-Konferenz in Weimar erscheint mir dennoch eine besondere Erwähnung wert.

 

Denn die von Jay Rutherford, Gaby Kosa, Andrea Dreyer und Ines Escherich organisierte Konferenz an der Bauhaus-Universität Weimar war alles andere als eine klassische Design-Konferenz. Unter dem Motto »Schrift in Bildung und Vermittlung« wagte man den Spagat, zwei völlig unterschiedliche Lager auf einer Konferenz zusammenzuführen: die Typografie und die Grundschul-Pädagogik. Und ich möchte sagen: das Experiment ist voll und ganz geglückt.

 

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Der Veranstaltungsort war von historischer Relevanz und passend gewählt. Im Van-de-Velde-Gebäude der Bauhaus-Universität Weimar wurden 1919 die alten Lehrstrukturen aufgebrochen und die Studenten zu fakultätsübergreifendem Arbeiten ermutigt. Das Konzept und die Ergebnisse dieser neuen Arbeitsweise wurden legendär und machten weltweit Schule.

 

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Mit der Pädagogik und der Typografie trafen nun hier zwei Disziplinen aufeinander, die zwar vieles miteinander gemein haben, aber doch selten in einen tatsächlichen Dialog treten. Und ich hatte Zweifel, ob man überhaupt in der Lage sein würde, eine gemeinsame Sprache zu sprechen und zu einem Dialog zu finden. Doch diese Zweifel wurden rasch zerstreut. Alle Vorträge und Diskussionen waren durch die Bank weg hoch interessant, konstruktiv und tiefgründig.

 

Beide Lager erklärten ihren Zugang und ihre Ideen zum Thema (Hand-)Schrift, deren Design und Vermittlung in der Schule. Schriftgestalter Friedrich Althausen berichtete über die Anforderungen an modernes Type Design; Jörg Petri schätze die medienphilosophische Rolle der Schrift ein; Ann Bessemans aus Belgien erklärte die neurowissenschaftliche Bedeutung des Erwerbs der Schreibfähigkeit, Indra Kupferschmid fasste die Forschungen von Gerrit Noordzij zur Handschrift zusammen; Florian Hardwig präsentierte seine Sammlung internationaler Schulschriften und Sebastian Böhmer von der Klassik-Stiftung Weimar führte in den gesellschaftspolitischen Schriften-Kampf zwischen Fraktur und Antiqua ein und erklärte, wie Verleger in der Vergangenheit durch die Wahl ihrer Schriften ihr Publikum bestimmen und konditionieren konnten.

 

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Die weiteren Vorträge wurden dann aus Sicht der Pädagogik gehalten. Gundel Mattenklott betonte neben der reinen Funktionalität auch den ästhetischen Wert der Handschrift; Eva Maria Kohl und Michael Ritter führten in die Didaktik des Schrifterwerbs von Kindern ein und Thomas Heyl präsentierte interessante und nicht selten überraschende Forschungsergebnisse zu der Frage, ob Kinder beim Lernen des Lesens eine eigene Typografie benötigen.

 

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Die meisten Themen führten zu intensiven Diskussionen. Welche Schriften sollen in Schulbüchern verwendet werden? Müssen die Doppelseiten eines Buches für Leseanfänger tatsächlich so überladen und durcheinander aussehen, wie es derzeit der Fall ist? Über mögliche Verbesserungsmöglichkeiten war man sich schnell einig, doch stehen denen nicht selten die zuständigen Gremien, Ministerien und die ökonomischen Zwänge der Schulbuchverlage im Weg. Ebenfalls heftig diskutiert wurde auch über die Rolle der Handschrift im 21. Jahrhundert selbst. Müssen Kinder im digitalen Zeitalter noch Blockschrift und Schreibschrift gleichermaßen beherrschen und in welcher Reihenfolge sollte man sie gegebenenfalls lehren? Welche der vielen Modelle der Schreibschrift sind die besten?
Natürlich wurde auch die neue Grundschrift heftig diskutiert. Die in den Medien gestreuten Schlagzeilen von der »Abschaffung der Schreibschrift« konnten rasch widerlegt werden. Doch ist diese »Kompromiss-Schrift« zwischen Block- und Schreibschrift tatsächlich der Weisheit letzter Schluss? Viele ähnliche Ansätze existieren in anderen Ländern bereits – allen voran Hans Eduard Meiers ABC-Schrift, die von vielen Seiten Lob erfahren hat.

 

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Das Experiment, Design und Pädagogik in dieser Konferenz zusammenzubringen, ist geglückt. Natürlich konnte diese Konferenz nur ein erster Austausch sein. Es bleibt zu hoffen, dass diese Konferenz eine Fortsetzung findet oder zumindest die neu geknüpften Kontakte der Teilnehmer sich in der Zukunft in weiteren Kooperationen und schließlich auch positiv in der Praxis niederschlagen werden.



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