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Mythos OpenType

Ralf Herrmann

Zunächst muss man wissen, dass das OpenType-Format gar nicht so neu ist, wie uns die meisten Marketing-Aussagen zu diesem Thema glauben machen wollen. Das OpenType-Format basiert direkt auf den TrueType-Spezifikationen. Oder um es noch genauer zu sagen: es basiert auf dem SFNT-Format (»Spline Font«), das Apple ursprünglich für QuickDraw entwickelte. Man kann sich OpenType als eine Art TrueType 1.5 vorstellen.

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Es benutzt die gleiche innere Struktur wie ein TrueType-Font, kann aber über einige zusätzliche Funktionen verfügen, die in optionalen Tabellen im Font gespeichert sind. Und dies bringt uns auch zu unserem ersten OpenType-Mythos …

OpenType brachte Plattform-Kompatibilität zwischen Windows und Mac
Falsch! Bis einschließlich Mac OS 9 mussten Fonts in den Formaten TrueType und PostScript Type 1 in jeweils separaten Versionen für PC und Mac ausgeliefert und angewendet werden. Dies lag vor allem darin begründet, dass eine Mac-Datei aus zwei Teilen bestehen kann: einem Datenteil mit den eigentlichen Inhalten (etwa den Bildinformationen einer Bilddatei) und einem Resource-Teil, der zusätzliche Meta-Daten enthalten kann, wie etwa ein zugehöriges Icon der Datei. Die Fontinformationen lagen bei älteren Mac-Fonts jedoch im Resource-Teil, den Windows nicht kennt und daher verwirft. Somit war ein Austausch von Fonts zwischen PC und Mac ausgeschlossen.
Mit Mac OS X führte Apple auch eine Unterstützung für Font-Informationen im Datenteil ein, so dass zum Beispiel Windows-TrueType-Fonts direkt am Mac nutzbar wurden. Die Plattform-Kompatibilität wurde also durch diesen Schritt von Apple eingeleitet, nicht durch die Einführung eines neuen Formates. Da aber OpenType direkt auf der Struktur eines (Windows-)TrueType-Fonts aufsetzt, ist auch das OpenType-Format von Hause aus Plattform-kompatibel.

OpenType-Fonts sind besser ausgebaut
Nur teilweise wahr! Das alte Format PostScript Type 1 verfügte üblicherweise lediglich über eine 8-Bit-Belegung wie etwa »Mac Roman«. So ließen sich also maximal 256 Zeichen ansprechen. Dies machte das Setzen von mehrsprachigen Texten oft sehr schwierig, da verschiedene sprachabhängige Schriftschnitte der gleichen Schrift (zum Beispiel Helvetica CE/Greek/CYR) verwendet werden mussten und solche Dokumente dann nur richtig dargestellt werden konnten, wenn alle diese Schnitte bei der Anzeige des Dokuments verfügbar waren.
OpenType hat diesem Problem mit seiner Unicode-Unterstützung behoben, aber auch dies war nichts, dass speziell für OpenType erfunden wurde. Auch die altbekannten TrueType-Fonts benutzen Unicode und können über einen großen Zeichenvorrat verfügen.
Das neue an OpenType ist lediglich die Art, wie man auf den erweiterten Zeichenvorrat einer Schrift zugreifen kann. Statt jedes Zeichen lediglich über seinen Unicode-Wert anzusprechen, können Zeichen in einem OpenType-Font auch über OpenType-Features benutzt werden. Ein Beispiel wäre das Ligatur-Feature, das es ermöglicht, jedes Vorkommen von f und i automatisch durch die entsprechende fi-Ligatur zu ersetzen.
Aber lange nicht jeder OpenType-Font enthält alle möglichen Zeichen und Features. Man kann theoretisch einen TrueType-Font in einen OpenType-Font verwandeln, indem man nichts weiter hinzufügt, als eine fi-Ligatur. Man sieht also, es bringt wenig, eine klare Grenze zwischen TrueType und OpenType ziehen zu wollen. Oft taucht die Frage auf, wie man TrueType-Fonts ins OpenType-Format konvertieren könne. Aber dies wäre ein völlig sinnfreies Unterfangen, da durch diese Konvertierung nichts erreicht werden würde, solange nicht der Schriftanbieter selbst den Zeichenumfang erweitert und entsprechende OpenType-Features hinterlegt.

OpenType ist verlässlicher, kompatibler und besser unterstützt als TrueType
Falsch! Anwender scheinen häufig zu glauben, dass man das OpenType-Format generell dem TrueType-Format vorziehen sollte. Dies liegt wohl an dem immer noch schlechten Ruf, den sich das TrueType-Format Anfang der 1990er Jahre eingefangen hat. Aber dies ist ein eigener Mythos. Zu dieser Zeit wurde »professionelle« DTP-Fonts fast ausschließlich im PostScript-Format ausgeliefert und minderwertige TrueType-Fonts kursierten unter privaten Anwendern und machten gern mal Probleme beim Herstellen von Druckvorlagen. Aber dies ist lange her! Heute gibt es keinen Grund mehr, TrueType zu meiden und das OpenType-Format ist auch keineswegs besser unterstützt als TrueType. Da die OpenType-Spezifikationen eine Erweiterungen des TrueType-Formates sind, bietet jede Anwendung, die OpenType unterstützt auch automatisch eine Unterstützung für TrueType.

OpenType-Fonts werden unter Windows schlechter dargestellt
Jein! Dieser Mythos ist durch die aktuellen Diskussionen rund um Webfonts wieder brandaktuell geworden. Was hier allerdings gemeint ist, bezieht sich weniger auf das verwendete Font-Format, sondern auf die benutzte Umriss-Technologie. OpenType-Fonts können entweder TrueType-Umrisse (quadratische Bézierkurven) oder PostScript-Umrisse (kubische Bézierkurven) verwenden. Und die verwendete Art wirkt sich unter Windows leider (noch) deutlich auf die Darstellungsqualität aus, auch wenn hier Besserung in Sicht ist.
Wenn es also um die Art der Umriss-Beschreibung geht, macht es wenig Sinn, allein von »OpenType« zu reden.
Wie oben bereits gezeigt wurde, ist ein TrueType-basierte OpenType-Fonts nichts anderes als ein TrueType-Font mit zusätzlichen OpenType-Merkmalen. Ein PostScript-basierter OpenType-Font ist ganz ähnlich aufgebaut. Es wird hier lediglich der Teil, der die TrueType-Umrisse beschreibt (glyph table), durch eine Beschreibung von PostScript-Umrissen ausgetauscht (CFF table). Deshalb werden PostScript-basierte OpenType-Fonts auch oft mit dem Kürzel CFF (Compact File Format) beschrieben.

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Wenn es also auf die Umrissbeschreibung ankommt, sollte man nicht von OpenType allein sprechen, sondern von TrueType- oder PostScript-basierten OpenType-Fonts. Die empfohlenen Kurzformen lauten OpenType TT und OpenType PS.

TrueType-Fonts haben den Suffix TTF, OpenType-Fonts nutzen OTF. Korrekt?
Falsch! Unglücklicherweise gibt der Suffix einer Fontdatei keine hundertprozentige Auskunft darüber, welches Fontformat tatsächlich vorliegt. OTF wird hauptsächlich für PostScript-basierte OpenType-Fonts benutzt, jedoch erlauben die OpenType-Spezifikationen ausdrücklich, dass auch TrueType-basierte OpenType-Fonts diese Endung verwenden können.
TTF wiederum wird von herkömmlichen TrueType-Fonts und TrueType-basierten OpenType-Fonts gleichermaßen verwendet. Und dies ist auch sinnvoll, da wir ja bereits gelernt haben, dass diese beiden Fontarten sich sehr ähnlich sind. Durch das Beibehalten der TTF-Endung können TrueType-basierte OpenType-Fonts auch in Anwendungen verwendet werden, die keine OpenType-Features unterstützen. Die Fonts verhalten sich dann ganz einfach wie herkömmliche TrueType-Schriften ohne OpenType-Merkmale.

Aber das Format kann man doch am Icon ablesen, oder?
Falsch! Schaut man in den Font-Ordner von Windows XP oder Vista finden sich dort Fonts, die ein OpenType-Icon besitzen und andere mit einem TrueType-Icon. Leider lässt sich aber auch daraus nicht mit Sicherheit schließen, welches Fontformat genau vorliegt.
PostScript-basierte OpenType-Fonts tragen ein OpenType-Icon, aber bei den TrueType-basierten Fonts ist es etwas komplizierter: Microsoft hat sich dafür entschieden, die optische Kennzeichnung als OpenType-Font von der Existenz einer digitalen Signatur abhängig zu machen. Dies bedeutet, TrueType-basierte OpenType-Fonts tragen nur ein OpenType-Icon, wenn sie über eine solche Signatur verfügen. Anderenfalls werden sie genauso darstellt wie herkömmliche TrueType-Fonts.

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Aber OTF heißt doch OpenType, oder nicht?
Nun, … OTF ist zwar die Abkürzung für OpenType, aber ich rate generell von der Benutzung dieser Abkürzung ab, wenn allgemein von OpenType die Rede sein soll. OTF ist, wie zuvor erklärt, meist (aber nicht notwendigerweise) der Suffix einer PostScript-basierten OpenType-Schrift. Spricht man also von OTF ist nicht klar, ob man damit OpenType-Fonts im allgemeinen oder nur jene, mit PostScript-Umrissen meint. Man sollte daher besser von »OT Fonts« sprechen. Und wenn es auf die Umrissbeschreibung ankommt: OpenType TT oder OpenType PS.

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Iwan Reschniev: eine Schriftfamilie basierend auf Schriftentwürfen von Jan Tschichold.
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