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Empirische Studie zur Leserlichkeit von Schrift im öffentlichen Raum

Ralf Herrmann

Sven Neumann hat an der HTW Berlin im Fachbereich Gestaltung in diesem Jahr ein empirische Untersuchung zur Leserlichkeit von von Schrift im öffentlichen Raum durchgeführt. Die durch Prof. Florian Adler betreute Studie basierte in Bezug auf Schriftgrößen und Leseentfernung auf den Vorgaben der Norm DIN 1450 und spiegelt somit reale und empfehlenswerte Bedingungen beim Lesen von Schildern und Texten im öffentlichen Raum wider.


Versuchsbedinungen: Am Test nahmen 106 Personen unterschiedlichsten Alters teil. Die Testpersonen näherte sich in festen Abständen den Schriftmustern an. Bei einer als ausreichend gut empfundenen Lesbarkeit wurden die jeweiligen Leseentfernungen notiert. Vorab wurden Alter und weitere Angaben (Sehhilfe etc.) zu den Probanden erfasst.


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Getestet wurden zwei Schriftgrößen mit fiktiven Einzelwörtern sowie ein Fließtext in kurzer Distanz. Da sich die Empfehlungen der aktuell noch gültigen DIN 1450 lediglich auf die Versalhöhe beziehen, wurde eine zweite Versuchsanordnung benutzt, bei der alle Wörter auf die durchschnittliche x-Höhe der benutzten Schriften skaliert wurden.


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Dieser Versuchsaufbau hebt sich in zweierlei Hinsicht von vielen wissenschaftlichen Vergleichsstudien zur Leserlichkeit einzelner Schriften ab. Zum einen wurde nicht der typische Fehler begangen, die Schriften lediglich in gleicher Kegelgröße zu setzen. Des weiteren erfolgte der Test mit Wörtern und nicht, wie bei vielen wissenschaftlichen Studien üblich, nur mit Einzelbuchstaben.
Getestet wurden die aufrechten Schnitte der Linotype Frutiger, P22 Johnston Underground, Wayfinding Sans, Arial, DIN1451 Mittelschrift, Franklin Gothic Medium, Futura, Garamond Premier Pro sowie die Swift.

Ergebnisse: Klarer Gewinner der Studie ist die derzeit noch unveröffentlichte Wayfinding Sans von Ralf Herrmann, die in einer Beta-Version getestet wurde. »Im Test konnte die Schrift im Vergleich zu allen anderen Schriften in allen Größen früher gelesen werden« schreibt Sven Neumann in seinem Abschlussbericht. Sie ist nicht nur deutlich früher lesbar als die DIN 1451 Mittelschrift, die auf deutschen Verkehrsschildern benutzt wird, sondern überflügelt sogar die Frutiger, die als die Beschilderungsschrift schlechthin gilt und zum Beispiel der Standard im Bereich Flughafenbeschilderungen ist.


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Die Frutiger schneidet aber ansonsten erwartungsgemäß sehr gut ab. Mit ihren klaren Grotesk-Formen schuf Adrian Frutiger mehr oder weniger den Archetypen moderner humanistischer Groteskschriften. Ebenfalls gut schnitt die Johnston Underground ab, an die man nicht unbedingt sofort denkt, wenn es um Beschilderungen geht. Die getestete Version ist eine Digitalisierung von P22. Das Original wurde ursprünglich für die Beschilderung der Londoner Verkehrsbetriebe entwickelt. Der typisch britische Charakter vereint klare geometrische Formen mit humanistischen Zügen, die sich zum Beispiel im zweistöckigen a und dem dreistöckigen g zeigen.
Im Mittelfeld landen Arial, DIN 1451 Mittelschrift und Franklin Gothic Medium. Im Gegensatz zu oben genannten Schriften sind sie statischer und geschlossener und fallen deshalb in diesem Test spürbar zurück. Wenig überraschend ist sicherlich auch, dass die Futura im Test mit identischen Versalhöhen noch schlechter abschneidet. Mit ihrem stark geometrischen Aufbau und der geringen x-Höhe kann sie mit den eher humanistischen Groteskschriften in Bezug auf die Leserlichkeit nicht mithalten.
Die Serifen-Schriften Garamond Premier Pro und Swift erzielen erwartungsgemäß ebenfalls keine guten Ergebnisse, wenn alle Schriften mit gleicher Versalhöhe gesetzt werden. Dies liegt weniger an ihrem generellen Gestaltungsprinzip, sondern neben der geringeren x-Höhe auch an ihrem Duktus. Der im Vergleich zu den Groteskschriften starke Strichstärkenkontrast erfordert optimale Lesebedingungen, wie man sie nur bei Drucksachen in typischen Leseentfernungen vorfindet. Bei einem ungünstigen Verhältnis von Schriftgröße und Leseabstand sind die filigranen Details und Haarlinien nicht klar genug zu erkennen und die Leserlichkeit nimmt spürbar ab.


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Da der Versuch einmal mit identischer x-Höhe und einmal mit identischer Versalhöhe durchgeführt wurde, ist einer Vergleich der beiden Ergebnisse natürlich besonders interessant. Die Wayfinding Sans und die Johnston Underground haben mit ihrer x-Höhe zwischen 67 und 69 Prozent das perfekte Mittelmaß gefunden und schneiden in beiden Tests gleichermaßen gut ab. Die Schriften mit kleinerer x-Höhe können nur durch eine deutliche Anhebung des Schriftgrades leserlicher dargestellt werden. Dies führt aber verständlicherweise zu einem sehr hohen vertikalen Platzbedarf, der gerade bei Beschilderungen oft nicht gegeben oder sinnvoll ist. Denn sobald die Ober- und Unterlängen mit anderen Zeilen oder Umrandungen in Konflikt geraten, verschlechtert dies die Leserlichkeit wieder beträchtlich.


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Die Schriften mit einer größeren x-Höhe schneiden bei beschränkten vertikalen Platzbedarf wenig überraschend besser ab – allerdings auch nur dann. Spielt der Platz keine Rolle und haben alle Schriften die gleiche x-Höhe schneiden Garamond und Futura erstaunlicherweise sogar besser ab als Frutiger, DIN 1450 und Arial.

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Am Beispiel der Schriften (Versalhöhe 49 mm) wird deutlich, dass nicht nur die Schriftart die Leserlichkeit einer Schrift beeinflusst. Der Vergleich der einzelnen Altersgruppen zeigt erwartungsgemäß eine eindeutige Tendenz. So haben die Teilnehmer im Test in der Altersgruppe bis 15 Jahre am besten und die Gruppe über 60 am schlechtesten abgeschnitten. Durchschnittlich gibt es eine Differenz zwischen höchster und niedrigster Leseentfernung von 4,95 Metern.

Ein ausführliches PDF mit der Darstellung aller Ergebnisse kann von der Homepage der HTW Berlin heruntergeladen werden.



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