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Interrobang - ein besonderes Satzzeichen

Ralf Herrmann

Viele unserer heute benutzten Satzzeichen gehen bereits auf Schreibkonventionen in Antike und Mittelalter zurück. Dementsprechend schwer ist oft die Aufarbeitung ihrer Entstehungsgeschichte. Doch auch in jüngster Zeit entstehen manchmal noch neue Satzzeichen. Ein Beispiel ist das Interrobang (‽), dessen Geschichte sich problemlos nachvollziehen lässt und hiermit erzählt werden soll.

 

Der Schöpfer dieses Satzzeichens ist der US-Amerikaner Martin K. Speckter. Er war in den 1960er-Jahren Eigentümer einer Werbeagentur in New York, die unter anderem für das renommierte Wall Street Journal arbeitete. Speckter gab auch ein zweimonatlich erscheinende Magazin namens Type Talks heraus, das sich mit Werbung und Typografie beschäftigte. 

Speckter störte sich daran, dass immer mehr Texter zur Betonung Frage- und Anführungszeichen kombinierten (»Wie bitte!?«). Mit einem eigenen Magazin an der Hand, hatte er jedoch die perfekte Plattform, dem Problem öffentlichkeitswirksam zu Leibe zu rücken. 1962 erschien also ein entsprechender Artikel, indem er sich dafür aussprach, die Schreibweise !? bzw. ?! durch ein einzelnes Zeichen zu ersetzen. Weder Form noch Name des ‽ standen jedoch auf Anhieb fest. Der Artikel präsentierte für die Gestaltung des Zeichens folgende Darstellungen. 

 

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Als Namen wurden Exclamaquest und Interrobang vorgeschlagen. Am Ende des Artikels rief Speckter die Leser zu eigenen Namens- und Designvorschlägen für das neue Zeichen auf. 

Der Artikel verfehlte sein Ziel nicht und das Thema wurde in namhaften Tageszeitungen besprochen – auch wenn ein am 1. April in der New York Herald Tribune erschienener Artikel Zweifel an der Echtheit des Vorschlags aufkommen ließ. 

Wie gewünscht, trafen auch weitere Design- und Namensvorschläge ein, die in den folgenden Ausgaben von Type Talks besprochen wurden. »Emphaquest«, »Interrapoint« und »Exclarogative« waren einige der Namensvorschläge. Doch befeuert durch die Zeitungsberichte hatte sich Speckters ursprünglicher Vorschlag »Interrobang« bereits etabliert. 

Mit einer Idee und wohlwollenden Kommentaren war es jedoch noch lange nicht getan. Denn genau wie heute beim großen Eszett, muss auch die technische Infrastruktur zur allgemeinen Nutzbarkeit eines neuen Zeichens zunächst geschaffen werden. In den 1960er-Jahren waren Schreibmaschinen sowie Blei- und Fotosatz im Einsatz. Und diese Systeme konnten nicht ohne weiteres mit neuen Zeichen ausgestattet werden. Insbesondere die Systeme mit Tasteneingabe benötigten schließlich zunächst einen eigenen Platz für dieses Zeichen. 

1966 erschien mit der auch heute noch recht bekannten Americana jedoch die erste Bleisatz-Schrift in Serienproduktion, die ein Interrobang enthielt. 

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In einem im Time Magazine erschienen Artikel hieß es dazu, dass American Type Founders das vielversprechende Zeichen von nun an in alle Schriften integrieren wolle. Dieses versprechen lösten sie in gewisser Weise auch ein. Denn es wurde in der Folge noch ein fetter Schnitt der Americana herausgebracht, aber das Unternehmen zog sich kurz darauf aus der Schriftherstellung zurück. 

Im Jahr 1968 integrierte der Hersteller Remington Rand das ‽ in seine elektrische Schreibmaschine Modell 25 – zu einer Zeit, als die Schreibmaschinen nicht aus dem Büroalltag von Millionen Menschen wegzudenken waren. Die Einführung des Zeichens auf der Schreibmaschine führte erneut zu landesweiter Berichterstattung – mal lobend, mal kritisch bis ablehnend. 

 

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Das Interrobang der elektrischen Schreibmaschine Remington Rand 25

 

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Aus einer Broschur des Schreibmaschinen-Herstellers Smith-Corona (1969)

 

Doch nach dieser Hochphase zum Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre ebbte die Begeisterung für das neue Zeichen ab. Die Linotype- und Monotype-Satzmaschinen, die in Buch- und Zeitungssatz nach wie vor im Einsatz waren, boten dem Zeichen keinen Platz und verhinderten somit eine allgemeine Etablierung in gedruckten Texten. Als diese Systeme dann in der Folge gänzlich vom  Fotosatz verdrängt wurden, war das Interrobang schon kein Thema mehr und wurde daher nicht in die Standardzeichensätze der Fotosatz-Geräte integriert.  

In digitalen Schriften sind Zeichensatzbeschränkungen heute kaum noch ein Thema und so findet sich das Zeichen nun wieder in immer mehr Schriften. Auch seinen Weg in den Unicode (U+203D) hat es gefunden, sodass dem Einsatz aus technischer Sicht nun keine Grenzen mehr gesetzt sind. Zumal es in den typischen Systemfonts wie Arial Unicode, Lucida Grande oder Calibri enthalten ist. Selbst eine umgedrehte Variante (⸘, U+2E18) für den Einsatz im Spanischen existiert. Natürlich bleibt dem Zeichen weiterhin eine direkte Entsprechung in der aufgedruckten Tastaturbelegung verwehrt und somit wird es wohl auch weiterhin eine Art »Sonderzeichen« bleiben. Doch dieser Sonderstatus macht es in gewisser Weise auch umso interessanter. So wird das Zeichen heute vermehrt als dekoratives Typografie-Element verwendet und findet sich als Schmuckartikel, auf T-Shirts, Kissen, Mützen usw. wieder. Diese Renaissance des Zeichens konnte Martin K. Speckter jedoch nicht mehr erleben. Er starb im Jahr 1988. 

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Interrobang als Halsband

 

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Logo der State Library of New South Wales

 

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Interrobang in heutigen Schriften (v.l.n.r.): Tierra Nueva, Palatino, Brill, Calibri

 

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Wer sich für Details zur Geschichte  von Satz- und Sonderzeichen interessiert, dem sei das kürzlich erschiene Buch Shady Characters von Keith Houston empfohlen, das auch die Grundlage dieser Artikels bildet. 

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