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Qualität im grafischen Gewerbe früher und heute (war: Bildsi

Empfohlene Beiträge

Sebastian Nagel

Themenabzweigung

Diese Diskussion ist aus dem Ursprungsthema "Bildsignete" entstanden, wurde abgetrennt und hier weitergeführt.

Einige Beiträge, die zu diesem neuen Thema geführt haben, sind allerdings im Ursprungsthema stehengeblieben, da sie mit diesem verwoben sind. Es empfiehlt sich, die letzten Beiträge dort als Einleitung des neuen Themas zu lesen. -- Sebastian

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Die Welt war schon vor Jahrzehnten komplex. Und erst vor Jahrhunderten: Schaut man sich die Arbeit der mittelalterlichen Buchdrucker an, wird man eine ähnliche Komplexität finden. Ein deutscher Wiegendrucker mußte [...]

Der Spezialist ist eine Erfindung des frühen Kapitalismus: ein Mann, ein Hebel. Man nannte ihn auch Fachidiot.

Da gebe ich dir natürlich recht.

Eine Fragen die sich dann stellt:

Gab es nicht zu dieser Zeit neben den besten Arbeiten, die uns bis heute erhalten geblieben sind, weil sie zurecht als bewundernswert erachtet werden, auch noch ein Mittelmaß und noch weiter darunter Pfuscherei?

Sprich: verzerren wir nicht unsere Wahrnehmung, wenn wir von einem Niedergang der Qualität sprechen?

Im Anschluss an diese Frage:

Gab es zu dieser Zeit so viele Kunden wie in unserem Wirtschaftssystem, oder waren das exklusive Produkte, im Sinne von "Wer sich Druck leisten konnte konnte sich auch Qualität leisten"?

Heute besteht offenbar auch Bedarf nach schlecht gestalteten Drucksachen (das Geld reicht für den Druck, nicht aber für die Gestaltung oder gar den Inhalt), und Grafiker, die Kinder gezeugt haben und diese nun füttern müssen, machen, auf dem Boden der Realität angelangt, auch diese Arbeiten. Natürlich entschuldigt das nicht schludrige Arbeit und völlige Kreativitätslosigkeit, aber bei einem entsprechend geringen Budget verliert man irgendwann die Kraft, dem Auftraggeber seine oft wirren Ideen auszureden, und macht so wie er will.

Dass der Fachidiot ausstirbt ist im Übrigen zu begrüßen. Breit gefächertes Wissen hat noch nie geschadet, in der Gestaltung schon gar nicht. Außerdem macht das die Welt interessant.

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Bleisetzer

Mein Name sei Penetranz.

Ich möchte eine Aussage von mir revidieren. Sie ist falsch.

"Die Welt wird immer komplexer."

Das stimmt tatsächlich nur aus heutiger, oberflächlicher Sicht auf das Gestern und Vorgestern. Muß aber im Zeitstrang nicht von vorn nach hinten, sondern selbstverständlich von hinten nach vorn beurteilt werden.

Aus heutiger Sicht waren die Anforderungen an unsere Vorfahren geringer - bewertet mit unserem heutigen, umfangreicheren Wissen.

Aus Sicht unserer Vorfahren jedoch, gemessen an deren Ist-Zeit, kamen die Entwicklungen im Zeitstrang ja später, entwickelten sich aus dem Futur ins Präsenz. Und waren dann erst einmal zu bewältigen. Übrigens hat schon Plato über die dauernde Veränderung und die Sittenlosigkeit der Zeit geschimpft (nein, ich habe Plato nicht wirklich gelesen. Sondern mehr im Querlesen eine Übersicht der Philosophien seiner Zeit meiner Pseudo-Bildung hinzugefügt. Ich reicht, um einen solchen Bezug zu nennen, aber bloß nicht nachhaken, bitte..)

Was anders geworden ist, ist die Geschwindigkeit des Wandels. Die intensive Beschäftigung mit einem Fachthema bzw. mit mehreren ist, gemessen am zu erwirtschaftenden Ertrag eines Auftrages, längst nicht mehr sinnvoll. Und da selbst der Durchschnittskunde dies auch gar nicht mehr verlangt (weil er die Notwendigkeit nicht versteht), ist er auch nicht bereit, entsprechend dafür zu bezahlen.

Wer sich dem nun dennoch unterwirft - und genau das unterstelle ich meinem Kollegen und auch Kunden, dem Schweizerdegen - der fällt sehr bewußt eine Entscheidung, mit deren Konsequenzen er dann auch bereit ist, zu leben. Eine Nische in einer Nische in einer Nische - um das Rosen-Thema einmal zu variieren. Mit der Banalität des Familien-Alltages und dessen ebenso banalen Anforderungen des täglichen Lebens eines Facharbeiters aus der Druckvorstufe oder dem Druck hat eine solche Existenz wenig zu tun. Dies sei bitte nicht als Kritik zu verstehen, sondern als Beschreibung. Das Leben in einer solchen Nische-Nische-Nische bedient gleichzeitig auch das Bedürfnis und die Sehnsucht einer gut betuchten Klientel nach dem Flair eines alten Handwerkes. Man kann es auch Nostalgie nennen. Ich selbst kenne das gut. Ob der Erfolg eines solchermaßen aufgestellten Unternehmens nun bewußt herbeigeführt wurde (wie beim Preußischen Bleisatz-Magazin) oder, unterstelle ich hier, eher Zufalls-Resultat einer bewußt konsequenten Denk-, Arbeits- und Lebensweise wie beim Schweizerdegen, spielt keine Rolle, sofern man nur das Ergebnis anschaut: Solche nostalgie-trächtige Projekte können funktionieren, weil ihr Erfolg ein emotionales Bedürfnis befriedigt und so kaufmännisch rechnen läßt.

Zur selben Zeit realisieren die Kollegen hier mit einem knappen Etat die Aufträge ihrer eher nicht-nostalgischen Kunden. Versuchen, dennoch ein Mindestmaß an Qualität zu erbringen und lieben ihren Beruf ganz sicher inniglich.

Falsch ist nicht die Einstellung und Berufsauffassung. Wir alle sind Ergebnis des uns auferlegten anglo-amerikaniscdhen Systems. Und das heißt... ?

100 Punkte, wer als erstes den Namen des Systems nennt.

Georg

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Norbert P

Sowas passiert, wenn a) Technik verfügbar ist, b) einer weiß, wie man die Technik ein- und ausschaltet, und c) der Chef tolle Ideen hat.

Oder: wenn man ganz klare Vorstellungen von seiner Zielgruppe hat. Und dann macht man es wie die Bildzeitung.

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Sebastian Nagel

Danke für deine Erläuterungen, Schweizerdegen.

Zum Thema Zweck, Sinn, Stil des eigenen Unternehmens in Bezug auf Qualitätsbewusstsein: Da hast du natürlich recht. Kunden auch wieder wegschicken zu können (und wollen) wenn sie nicht mit sich arbeiten lassen sondern nur Forderungen stellen, nur Projekte umzusetzen hinter denen man voll und ganz stehen kann, sich selbst einen möglichst hohen Qualitätsstandard setzen; das sind Ideale die glaube ich jeder mit Herzblut arbeitender Grafiker für sich umzusetzen versucht (es gibt dann noch die Fuzzis und die "Ich-mach-mals", beide sind nicht ernstzunehmen und ich glaube in diesem Forum auch nicht vertreten).

Nur: ich bin jung (24), kurz nach der Orientierungsphase, und versuche jetzt mich zu festigen: gestalterisch, gesellschaftlich, politisch, finanziell, transzendental. Die theoretischen Ziele habe ich mir gesetzt (sie sind gewachsen und haben sich als Ziel herausgestellt). Die Praxis sieht nun so aus, dass ich versuche, in allem was ich mache diese Ziele möglichst weit umzusetzen. Vielleicht schaffe ich das wenn ich 50 bin? Derzeit strebe ich danach, schaff es aber nicht. Würde ich Kunden wegschicken, bin ich pleite. Also bleibt mir übrig, Kunden nicht wegzuschicken, und trotzdem möglichst viel an meinen Prinzipien einzubringen. Ab und zu scheitere ich in gewissem Maße an der Unbelehrbarkeit, Zeitdruck, Budget, etc., dann wieder klappt es, sei es durch fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Kunden, oder aber durch Desinteresse an Details und somit freie gestalterisch-qualitative Handhabe für mich.

Den Drang, Arbeiten zu verstecken, hatte ich bisher nicht. Ich kenne die Geschichte meiner Arbeiten und kann sagen dass ich das bestmögliche daraus gemacht habe, seien es nun äußere Einflüsse die nicht das Optimum zugelassen haben, oder auch mein damaliger Wissensstand – mein Studium liegt nicht so weit zurück, und seither habe ich noch viel mehr gelernt als in diesen vier Jahren). Diesen Anspruch habe ich sehr wohl, aber eben auch diese Reflexion.

Die Kollegen, die mich besuchen kommen und sich meine Arbeiten ansehen, lächeln meist wissend, wenn sei ein Detail entdecken das ungereimt aussieht. Genauso freuen sie sich, wenn sie eine Arbeit finden, die in sich selbst ruht.

Trete ich mit einer Arbeit vor einen ehemaligen Lehrer, denke ich an das was er mir versucht hat beizubringen. Da ich mich zum einen an seine Grundsätze gehalten habe, zum anderen praktische Vernunft walten lasse, habe ich auch damit kein großes Problem, wohlwissend, dass er beim Betrachten auch seine eigene Lehrarbeit beurteilt.

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Norbert P

Lieber Sebastian,

man kann und soll ja nie das Eigene zum Allgemeinen machen. Aber ich glaube, man kann nie zu früh damit anfangen, sich vermeintlichen Zwängen zu widersetzen und die eigenen Ziele auch gegen Widerstände durchzusetzen. Ich habe das versäumt und viel zu lange für Kunden gearbeitet, die es nicht wert waren. Erstens bringt es einen inhaltlich natürlich nicht weiter - aber, was viel überraschender ist: Wirtschaftlich auch nicht. Da bleibt es dann meist beim Umsatz. Seither ist mein Grundsatz: Medizin muss nicht bitter schmecken. Riecht ein Job stark danach, dass man "nur die Zähne zusammenbeißen muss", dann lieber lassen. Ich weiß selbst, wie schwer die Angst vorm Pleitesein wiegt. Aber zumindest habe ich diese paradoxe Wirtschaftlichkeit kennen gelernt, dass vor allem die interessanten Aufgaben am Ende zu mehr Wohlstand führen.

Norbert

PS: Das ist nicht altväterlich gemeint (so alt bin nun auch wieder nicht), aber ich konnte mich grad dem inneren Drang des Ratschlagens nicht erwehren.

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Sebastian Nagel

Danke Norbert,

Gerade habe ich einer jungen Kollegin und Freundin geraten, einen bestimmten Auftrag nicht anzunehmen, mit der Begründung, mit den Vorgaben nicht einverstanden zu sein (keine Aussicht auf Änderung). Ich treibe also schon fleißig andere in den Ruin und folge mit wehenden Fahnen :wink: .

Im ernst: "Wohlstand" assoziiere ich ohnehin nicht zwingend mit Geld. Insofern habe ich grundsätzlich auch keine Probleme damit, auf gewisse Verlockungen finanzieller Art zu verzichten, wenn sie mich dafür nicht nur Zeit, sondern auch Nerven und gutes Gewissen kosten.

Die Lage ist derzeit entspannt: Eine feste Anstellung für ein Jahr erlaubt es mir bzw. zwingt mich sogar dazu, bei freien Projekten etwas selektiver vorzugehen. Ich werde mich an der (großen) Nase fassen und nur noch Aufträge annehmen die mir zusagen. Die Grundsicherung ist gegeben, mehr muss ich nicht haben. Mal sehen was wird :)

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Sebastian Nagel

Zu meiner dargestellten Situation: Ich bitte andere (junge) Gestalter, meine Darlegungen zu bestätigen oder zu widersprechen. Es würde mich interessieren wie es anderen aus der "Anfängerschicht" geht.

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Bleisetzer

Einmal völlig illusionslos formuliert:

Ein jeder verkauft sich. Und es ist nicht nur seine reine Arbeitskraft, sondern immer auch ein Stück von sich selbst, seiner Unabhängigkeit. Das gilt für den körperlich hart Arbeitenden in der Fabrik und genau so für den Dienstleister.

Und ein jeder muß seine persönliche Schmerzgrenze ausloten. Muß Kompromisse schließen und Arbeiten oder Aufträge durchführen, die er sonst nicht erledigen würde. Weil er das Geld für den Lebensunterhalt braucht. Mit 26 Jahren habe ich mal ein Jahr überhaupt nicht gearbeitet. Nein, ich war nicht arbeitslos gemeldet. Habe auch kein Arbeitslosengeld bezogen. Damals konnte man als Fotosetzer mit zwei, drei Telefonaten einen neuen gutbezahlten neuen Arbeitsplatz bekommen. Ich hatte einfach keine Lust. Habe morgens Sport gemacht, bin mittags zum Baggerloch (im Rheinland gibt es die überall). Spätabends habe ich - manchmal - ein paar Satzaufträge für Agenturen auf einer stundenweise gemieteten Fotosatz-Anlage durchgeführt, die Filme nachts in den Briefkasten der Agentur eingeworfen und bin nach Hause.

Mir hat das Jahr sehr gut getan und ich möchte es nicht missen. Dann habe ich meine Frau kennengelernt, sehr schnell geheiratet. Da war's dann vorbei mit der großen Freiheit.

Heute sehe ich es pragmatisch und regle vieles über den Preis. Habe meine Standard-Preise und wenn ich meine, dieses oder jenes muß mein Kunde unbedingt haben, wird aber nie im Leben Geld dafür ausgeben, weil er es nicht einsehen wird - dann schenk ich ihm das Teil. Weil's paßt. Wenn ich jemanden nicht leiden kann, aber ansonsten nichts gegen ihn einwenden kann (so sehr ich auch darüber nachdenke), dann geht der Preis hoch. Erträgt er den, ertrag ich ihn. Erträgt er ihn nicht, sucht er sich halt jemand anderen.

Und meine Schmerzgrenze habe ich auch. Und die steht nicht zur Diskussion. Dann heißt es Nein und fertig ist.

Aber letztendlich, nicht vergessen:

Jeder verkauft sich. Manche nennen es gar Prostitution. Das läßt sich sogar begründen, aber ich drücke es ungern so hart aus.

Georg

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