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Die Schriftmuster der Welt in einer Datenbank …

Wie nennt man das Zeicheninventar?

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Saccade

Liebe Forumsmitglieder,

ich denke und suche schon eine ganze Weile, aber komm irgendwie nicht drauf:

Wie nennt man korrekt den Zeichensatz, d.h. den Umfang an Glyphen, der für eine Schrift, v.a. alte Bleisatz-Schrift vorhanden ist? Also die Menge aller zu einem Zeitpunkt vorhandenen Lettern.

Ich meine, es irgendwo auch mal gelesen zu haben. Aber wo?

Und dann kommt gleich auch noch die zweite Frage dazu:

Gibt es irgendwelche (vorzugsweise online) Quellen, die angeben, wann welches Inventar einer Schrift vorhanden war?

Ein Beispiel, um das es mir auch gerade geht: Die Schwabacher, die Hans Lufft in Wittenberg für die Lutherbibeln von 1534 und (bis+nach) 1545 verwendet hat.

Welche Zeichen hatte er?

Gab es da das Versal-U oder nicht?

Und ab wann und wo gab es dieses (wenn es z.B. nachweisbar erst ab z.B. 1590 vorhanden war...)

(Meiner Ansicht nach verwendet Lufft es nirgends, in der 1545er gibt es das nicht [Ergebnis elektronischer Suche in einer Transkription], es gibt aber keine Transskription der 1534er - und ich habe zwar eine ganze Menge Seiten mit bloßem Auge danach abgesucht, scheue aber die Mühe nun alles im [verkleinerten!] Faksimile lesen zu müssen.)

Ich habe auch bereits z.B. Muzika, Die schöne Schrift, daraufhin durchgesehen, aber auch hier findet sich nichts.

Vielleicht hat ja jemand nen Literaturtipp oder kann mir Info-Quellen nennen.

Vielen Dank!

Michael Schlierbach

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Saccade

Garnitur hab ich zuerst auch gedacht, irgendwo steht eine Definition, die so verstanden werden könnte. Aber die meisten definieren die "Garnitur" für den Bleisatz als Menge der vorhandenen Schriftgrößen zu einer Schrift (vielleicht auch Schriftstärken?).

Beim Weitersuchen habe ich jetzt auch folgenden Begriff gefunden: Schriftrepertorium (da gibt es ein Buch von Haebler: Schriftrepertorium der Wiegendrucke) bzw. dann wohl Schriftrepertoire?

Das würde Sinn ergeben. Aber ich meine schon mal nen "echten" Begriff gehört zu haben und ich glaube, das war er nicht. Und in den Tiefen meines Gedächtnisses steht momentan nur ein großes DASS zu Verfügung, aber kein WIE der Begriff lautete ...

Ach ja, und es gibt noch von A. F. Johnson: The Supply of Types in the Sixteenth Century mit einer Liste der Typen, die in Druckereien vorhanden waren, aber leider ohne Zeichensatz und Abbildungen

und von Robert Proctor, An Index to the Early Printed Books in the British Museum, Part II, Germany, 1501-1520 wohl mit Zeichensätzen und Abbildungen, mir aber leider nicht verfügbar.

Vielleicht hat hier ja jemand Zugriff darauf?

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Saccade

Na ja, zuerst geht's mir um einen Begriff, den alle richtig verstehen.

Und dann darum, dass ich korrekt fragen kann bzw. mit einigermaßen Erfolg suchen kann (im Netz und in Bibliotheken).

Und ich meine, es gab/gibt einen eingebürgerten Fachbegriff dafür.

Mit "damals" würde dann korrekterweise die Schlusszeit/Hochzeit des Bleisatzes (im 20. Jh.) gemeint sein (also nicht das 16. Jh.), d.h. wie nennen Bleisetzer den Zeichenumfang, der einem Drucker zur Verfügung stand?

Letztendlich geht's mir ja um die chronologische Überblicksinformation "Wann finde ich welche Zeichen?" in Texten.

Bei meinem Beispiel: Muss ich überhaupt nach einem möglichen Vorkommen des U suchen oder hatte Lufft eh kein solches sondern nur V?

Umgekehrt ist es ja wichtig anhand des Vorhandenseins bestimmter Zeichen das Alter (oder die Herkunft) eines Druckes bestimmen zu können.

Insofern glaube ich eigentlich, dass es da schon solche Aufstellungen gibt. Nur wo?

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Gast Zainer

Ich würde das als Typen- oder Zeichenvorrat bezeichen.

Und um es gleich zu sagen – es gibt für das 16. Jahrhundert keine Abbildungswerke, die in nennenwertem Umfang Typenalphabete abbilden. Das von dir erwähnte "Typen"repertorium von Häbler bezieht sich auf das 15. Jahrhundert (Inkunabelzeit) und ist ein Hilfsmittel zum bestimmen unfirmierter Drucke. Für diese Zeit gibt es auch die Tafeln der Gesellschaft für Typenkunde, die über die Hälfte der Typen dieser Zeit in mehr oder weniger vollständigen Alphabeten abbilden.

Proctors Index ist ein Kurzverzeichnis der im British Museum vorhandenen Bücher 1501-1520 unter Angabe der verwendeten Typen. Er bildet zwar einige dieser Typen ab, jedoch keine Zeichensätze, sondern kurze Textausrisse aus typischen Typenformen.

Für das 16. Jahrhundert kann man noch sehr gut anhand der Typen Drucker und auch Erscheinungszeit bestimmen, und es gibt auch einige "private" Aufzeichnungen, aber wie gesagt keine Abbildungswerke.

Bei einer Schwabacher gibt es im Regelfall kein U. Dennoch kann es vorkommen daß eines benutzt wird, dann aber meist aus einer anderen Type stammend.

Wolfgang

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Pachulke

Mir fällt aus dem Bleisatz der Begriff des »Minimums« ein. Ein Minimum ist die geringste Menge, die eine Schriftgießerei von einer Schrift abgibt, es enthält alle Zeichen, aber natürlich von den häufiger gebrauchten entsprechend mehr als von selten benötigten Buchstaben. Darüber, was genau in ein Minimum gehört, gab es aber von Gießerei zu Gießerei sehr unterschiedliche Ansichten, so daß es wohl häufig vorkam, daß Setzer bei vollem Schriftkasten nicht weiterkonnten, weil bestimmte Zeichen zuerst ausgegangen waren. Um dem abzuhelfen, wurde um die Jahrhundertwende (19. / 20. Jh.) der Normal-Gießzettel eingeführt, der hier einen gewissen Standard setzte. Wahrscheinlich ist das Minimum nicht der Begriff, den Du suchst, aber zumindest enthält dieses den kompletten Zeichensatz und vielleicht hilft dies ja bei der Suche. Für die Frühzeit des Bleisatzes wird sich ohnehin nichts systematisch rekonstruieren lassen, da hier die verschiedenen Gießereien nach Gutdünken verfuhren, damals (ja bis ins 20. Jh. hinein) war noch nicht einmal die »richtige« Schrifthöhe unumstritten.

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Saccade

@Zainer

Oh, vielen Dank für diese ausführliche Antwort!

Lufft verwendet ja in der 1545er Lutherbibel eine Antiqua für versale Anfangsbuchstaben "nicht-heilsbezogener" Worte. Aber auch da kein U!

Ich verstehe die Antwort jetzt aber auch so, dass es keine überlieferte und für die Nachwelt dokumentierte "Geschichte" der jeweiligen Zeichenvorräte gibt, sondern das nur im privaten Wissen verfügbar ist? Bzw. einige halt die Zuordnung zu Druckern anhand ihrer Kenntnis vornehmen können, es aber niemand irgendwo "erlesen" kann? Wenn das so ist: Wie schade!

Aus einem anderen Forum bin ich inzwischen auf A.F. Johnson, One Hundred Title Pages, und darin eine Erwähnung G.G. Trissinos aufmerksam gemacht worden. Der soll sich für die Einführung des U und J in der Antiqua eingesetzt haben. Vielleicht hängt das ja dann auch mit der Bildung des Zeichens in gebrochenen Schriften zusammen.

Gibt es denn grundsätzlich zur Geschichte solch einzelner Zeichen eine lesbare "Geschichte"?

Vielen Dank jedenfalls - mit der Nachricht, dass die Schwabacher normalerweise eben kein U hat, bin ich schon weiter. Das vorhandene in den modernen elektronischen Schwabacher-Fonts ist dann eine ganz moderne Bildung oder hat es sich irgendwann zwischendrin dazugesellt?

@Pachulke

Danke! Über Minimum bin ich auch schon gestolpert, aber das ist ja eher eine Verkaufseinheit. Den Gießzettel finde ich da schon spezifischer. Wenn es solche Gießzettel aus dem 16. Jahrhundert noch gäbe, könnte man doch daraus den vorhandenen Zeichenvorrat rekonstruieren.

Ah - und überhaupt: Ich glaube "Zeichenvorrat" ist der gesuchte Begriff aus meinen tiefliegenden Synapsen :-) Jedenfalls klingelts da bei mir. Kann es sein, dass irgendwo in den einschlägigen Büchern steht, Gutenbergs "Zeichenvorrat" habe aus 230+ verschiedenen Lettern für die 50+ Buchstaben bestanden? Dann war das der Begriff, den ich meinte.

Es mag ja für die meisten recht abgefahren klingen, aber ich fände eine solche publizierte Aufstellung mit Abbildung des vorhandenen Zeichenvorrats für eine bestimmte Zeit und (optional) für eine bestimmte Region oder Druckerei sehr interessant und hilfreich. Und eine Art wichtiger Erhaltung typografischen Wissens.

Und wenn schon nicht zeichensatzweise, dann doch eine klare Darstellung, welche Zeichen es ab wann gab bzw. wann es sie noch nicht gab.

Vielen herzlichen Dank jedenfalls für alle Hilfe!

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  • 2 Jahre später...
Bleisetzer

Hier die Antwort auf die Frage, welche Typen in einem Bleisatz-Zeichensatz vorhanden sind und welche nicht bzw. wie und wer das festlegte:

Im Verein des Schriftsetzer-Handwerkes in enger Zusmmenarbeit mit dem Verein der Schriftgießereien gab es eine gemeinsame Normen-Kommission, die alle paar Jahre zusammenkam und die Art der Zeichen festlegte, die im Zeichensatz eines Minimums vorhanden sein mußten. Die Normen-Kommission wiederum bekam Rückmeldungen und Empfehlungen von den Mitgliedern, sprich: den Schriftsetzereien des Landes.

So gab es in den damals als Standard-Brotschriften angesehenen Gebrochenen Schriften immer auch das Geburtssymbol, einen Stern, sowie das Sterbekreuz, sowie das Paragraph-Zeichen, auch Eckige Klammern gehörten häufig dazu:

http://www.bleisetzer.de/cms/front_cont ... &idart=536

Eine interessante, weil seltene Version der Geburts-/Sterbesymbole finden sich in der Franken-Deutsch von Alfons Schneider, nämlich Runen:

http://www.bleisetzer.de/cms/front_cont ... &idart=684

1950 wurden vom Verein der Schriftgießereien sämtliche Namensrechte von deutschen Bleisatz-Schriften, die dem Verein von den Schriftgießereien gemeldet wurden, in einem Verzeichnis gelistet:

http://www.bleisetzer.de/cms/front_cont ... &idart=128

In dieser Zeit wurde auch der Zeichensatz neu festgelegt. Der ist bis heute nahezu unverändert geblieben. Als typisches Beispiel soll hier die Helvetica dienen (ohne das Plus-Zeichen, das gehört nicht zum Standard):

http://www.bleisetzer.de/cms/front_cont ... &idart=520

Es gab auch noch eine Sonderregelung:

Manche Zeichen — z.B. die Eckigen Klammern, waren nur in den Schriftschnitten bis 14 p einschließlich enthalten. In den größeren Schriftgraden wurden gehörten sie nicht zum Sortiment.

==============

Eine Schriftgarnitur ist, wie Ihr es nennt, ein Weight einer Schrift, also z.B. die Helvetica leicht, in allen vorhandenen Schriftgrößen. Diese waren: 6 p, 7 p, 8 p, 9 p, 10 p, 12 p, 14 p, 16 p, 20 p, 24 p, 28 p, 36 p, 48 p.

Kleine Anekdote am Rande: Im Netz fand ich vor kurzem eine Liste der Bleisatz-Schriftgrößen mit den alten Namen, die die Schriftsetzer ihnen gegeben hatten, also Petit für 8 p, Korpus für 10 p etc. Dort wurde eine 11 p = Rheinländer bezeichnet. Das gab es nie. Aber die Namensvergabe finde ich hübsch.

Eine Schriftfamilie ist im Bleisatz, glaube ich, dasselbe wie bei Euren Digitalen Schriften: Eine Sammlung sämtlicher Weights.

Heute kann man nicht nur 1 Minimum bestellen, was bei einer 12 p Helvetica etwa 7—8 kg entspricht (bei eine kg-Preis von 65,— Euro/kg netto), sondern es geht schon ab 1/2 Minimum. Die Bauersche Gießerei, die leider Ende 2008 das Gießen komplett eingestellt hat, hatte zuletzt solche 1/2 Minima in hübschen Kassetten:

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Saccade

Hallo Bleisetzer,

danke für die Antwort über (zweimal) Jahr und Tag!

Ich hatte die Frage bei einer wissenschaftlichen Arbeit, die sich mit auch mit satztechnischen Fragen bei einem Bibeldruck beschäftigen musste.

Und wo es dann um die korrekte Transkription ging.

Aber in deiner Antwort steckt für mich eine andere auch noch offene Frage, nur leider hab ich gerade wenig Zeit - ich komme darauf zurück.

Herzlichen Gruß

Michael Schlierbach

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Bleisetzer

Die Uhren ticken anders im Bleisatz-Kontinuum. Nicht langsamer - anders.

Also warte ich gern auf Deine nächste Frage. Vielleicht kann ich sie ja beantworten. :)

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Gast TypoLion

Spannend, ein echter "Bleisetzter" im Forum (ich dachte die wären ausgestorben :peng: sorry- aber zum Thema: bei Fürst (jaja in Ddf) war bis Ende der 60er, auf jeden Fall auch die Helvetica in 60 pt vorhanden. Das war wichtig weil die 60 pt Schnitte (bekannterweise?) eben heller und leichter waren. Wir ließen Verpackungslogos in 60 pt absetzen um sie anschließend reprotechnisch auf 18 pt zu verkleineren, etc.

Zum "Sabon umsonst"... etc Thread, werde ich mich später dort noch mal melden.

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Bleisetzer
Spannend, ein echter "Bleisetzter" im Forum (ich dachte die wären ausgestorben :peng: sorry-

Das stimmt auch. Wir gehören zu den Untoten, verdammt in alle Ewigkeit, weil wir partout die Achtelpetit nicht aus der Hand geben wollten.

aber zum Thema: bei Fürst (jaja in Ddf) war bis Ende der 60er, auf jeden Fall auch die Helvetica in 60 pt vorhanden. Das war wichtig weil die 60 pt Schnitte (bekannterweise?) eben heller und leichter waren. Wir ließen Verpackungslogos in 60 pt absetzen um sie anschließend reprotechnisch auf 18 pt zu verkleineren, etc.

Ausriß aus dem Schriftmusterheft der Helvetica von D. Stempel:

60 p — 1 Minimum = 28 kg — 6 A, 16 a — auf Wunsch lieferbar mit 2. Form R (ohne Schwung).

Ich habe bei Gerlach in Düsseldorf gelernt, Leiter der Prüfungskommission. Hartes Brot für Lehrlinge.

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