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BundesSans und BundesSerif: die Entwicklung der Hausschriften der Bundesregierung

Ralf Herrmann

MetaDesign hat im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung das Corporate Design der Bundesregierung weiter entwickelt, das auch den Einsatz zweier exklusiver Hausschrift-Familien beinhaltet. Mit Jürgen Huber und Martin Wenzel, den Gestaltern dieser Schriften, führte Typografie.info dazu ein exklusives Interview.

 

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Wie ist es zur Zusammenarbeit mit MetaDesign und zur Entwicklung dieser Schriften gekommen?

Im Zuge der Weiterentwicklung des CD der Bundesregierung sollte auch die Schrift erneuert werden. MetaDesign hat den Job ausgeschrieben und wir haben den Zuschlag bekommen.

 

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Welches Ziel verfolgte MetaDesign mit den neuen Hausschriften?

Es gab mehrere Ziele: Zum einen ging es darum, eine zeitgemäße Optik zu schaffen. Der ganze Auftritt sollte leichter, moderner und offener wirken. Zum anderen ging es darum, im Zuge des Formatwechsels von PostScript Type 1 auf OpenType die Kosten für eine Neulizenzierung zu überprüfen und bei dieser Gelegenheit über einen von Grund auf neuen Ansatz nachzudenken. Dies erfolgte auch insbesondere im Hinblick auf eine Verbesserung der medienübergreifenden Verwendung, die eine Darstellung in Browsern bzw. mobilen Endgeräten unterstützen sollte. Weiterhin kam vom Kunden der Wunsch, dass die neue Schrift mehr können sollte. Das bedeutete mehr Strichstärken und Stile, verbesserte Sprachunterstützung (europäisch-lateinischen) und feintypografische extras wie Kapitälchen sowie Tabellen- und Minuskelziffern in allen Schnitten.


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Welche gestalterischen Vorgaben hattet Ihr beim Schriftentwurf?

Eigentlich keine. Natürlich sollten die Schriften zum neuen Corporate Design passen. Wir haben uns vor allem in der Entwicklungsphase eng mit der Agentur abgestimmt um die Eckpunkte festzulegen. Als klar war, in welche Richtung es ging, haben wir völlig eigenständig weitergearbeitet. Überhaupt kann man sagen, dass die Zusammenarbeit sowohl mit der Agentur als auch dem Kunden sehr ruhig und unkompliziert war.


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Abbildung oben: Grundsätzliche Überlegungen zur Proportion der Buchstaben.
Abbildung unten: Ein- oder zweistöckiges a? Mit oder ohne Schwänzchen? Welches l und welches G hat die beste Leserlichkeit? Viele Designentscheidungen folgen weniger optischen als vielmehr funktionalen Erwägungen.

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Das bisherige Design setzte mit der Neuen Demos und Neuen Praxis noch auf Schriftentwürfe aus den 1970ern des Niederländers Gerard Unger sowie die Univers von Adrian Frutiger aus den 1950ern. Diese Schriften sind natürlich schon etwas angestaubt, vermittelten aber dennoch ein recht prägnantes Erscheinungsbild. Inwieweit wurde darauf Bezug genommen oder sollte das neue Design ein kompletter Neuanfang sein?

Die Univers Condensed spielt als Schrift, die ausschließlich im Signet der Bundesregierung vorkommt in der visuellen Identität eher eine Nebenrolle. Um die Neue Praxis und Neue Demos sind wir natürlich nicht herumgekommen, denn immer wieder haben wir in unserer Argumentation für eine neue Hausschrift auf die benutzten Schriften Bezug genommen. Aber wir wollten einen Neuanfang. Wir hatten schon ziemlich früh ein recht genaues Bild davon im Kopf, wie eine Schrift für die Bundesregierung aussehen sollte. Nahbarkeit, Freundlichkeit aber auch Stattlichkeit und Eleganz waren Werte, an denen wir uns orientieren wollten.


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Abbildung oben: Vergleich der Proportion der Neuen Demos mit der »BundesType«. Die Mittelhöhe der BundesType ist leicht geringer, was für einen deutlicheren Unterschied zwischen Groß- und Kleinbuchstaben sorgt.


Die neuen exklusiven Hausschriften sparen nicht nur fortlaufend anfallende Lizenzkosten, sondern garantieren natürlich auch, dass sich das Schriftbild visuell nicht abnutzt oder mit anderen Assoziationen aufladen kann, indem es von anderen Nutzern breitflächig eingesetzt wird. Doch wie muss eine »Regierungsschrift« überhaupt aussehen? Kann sie »deutsche Werte« überhaupt vermitteln oder sollte sie sich gekonnt zurücknehmen und lediglich die zu transportierenden Inhalte vermitteln? Wie seid ihr beim Gestaltungsprozess mit dieser Frage umgegangen?

Wir waren von Anfang an der Auffassung, dass es bei einer Schrift für eine Regierung nicht darum geht, sich experimentell selbst zu verwirklichen, sondern ein mehrheitsfähiges Design zu entwickeln, das darüber hinaus noch einen hohen praktischen Nutzen hat. Zum einen weil die Akzeptanz bei den Lesern vorhanden sein muss, zum anderen, weil das Design natürlich vorher schon eine ganze Reihe von Abstimmungen und Entscheidungsgremien bestehen muss. Wir wollten mit unserem Design nicht polarisieren, sondern integrieren. Innerhalb dieses Rahmens haben wir einen eigenen Ansatz gesucht. Den haben wir mit den großzügigen runden Bögen gefunden. Dies sorgt einerseits für einen offenen, nahbaren Ausdruck, bringt andererseits eine gewisse Eleganz hinein – es verleiht den Formen etwas Entschlossenes. Daneben haben wir ganz bewusst bewegte Elemente zugelassen, um dem Schrifbild Lebendigkeit zu verleihen. Wir sind in diesem Falle also absichtlich anders vorgegangen, als bei der Entwicklung einer Hausschrift für ein Unternehmen, das sich im Marktumfeld der Mitbewerber visuell behaupten und daher stärkere Signale aussenden muss.


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Abbildung oben: Eine Folie zur Positionsbestimmung bei der Kundenpräsentation. Die Variante oben trägt einen deutlichen Schreibduktus, während unten die Bögen technischer wirken. Das mittlere Beispiel entspricht ziemlich genau der finalen Fassung.
Abbildung unten: Das Minuskel-a und -e sind die Sympathieträger jeder Schrift. Ihnen gilt beim Entwurf besondere Aufmerksamkeit. Diese Abbildung zeigt das finale e links und verschiedenen ausgesonderte Varianten.

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Von verschiedenen Seiten war zu hören, die Schrift hätte einen holländischen Einschlag. An welche andere Schriften bzw. Schriftstile oder Epochen lehnt sich das Design an? Welche Besonderheiten weist Euer Schriftentwurf auf?

Was man in Bezug auf Schriftentwurf als holländischen Einschlag bezeichnet, ist der Rückgriff auf die Handschriften der Renaissance wie ihn Gerrit Noordzij an der königlichen Akademie in Den Haag lehrte und von wo aus seit Mitte/Ende der 1980er Jahre das europäische Typedesign maßgeblich beeinflusst wird.

 

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Wir mögen diesen Ansatz, Schriftentwurf aus dem Schreiben heraus zu denken und haben uns ebenfalls an den humanistischen Typen aus dem 15. Jahrhundert orientiert. Auf dieser Basis lehren wir den Schriftentwurf auch an der Hochschule. Die typografischen Formen entwickeln wir oft beim Schreiben mit der Breitfeder. Das leicht eingedrehte e zum Beispiel ist so entstanden. Der zweite Pol der Inspiration – gerade wenn man eine »typisch deutsche« Schrift entwirft – waren die konstruierten, erdachten Schriften des Bauhauses bzw. die DIN. Zwei Schriften, die Sachlichkeit und Ingenieurstum ausstrahlen, die aber als Leseschriften zu steif und gleichförmig sind. Vielleicht könnte man sagen, eine Synthese aus Vernunft und Emotion.


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Gab es konkrete Vorgaben zum anvisierten Einsatz der Antiqua- und der Groteskschnitte oder wurden beide Familien als Allrounder für Text- und Display-Einsatz konzipiert?

Beide Schriften mussten flexibel einsetzbar sein. Zum Zeitpunkt des Entwurfs waren die Aufgaben für die Schriftschnitte noch nicht ganz klar definiert. Mittlerweile ist es in den Gestaltungsrichtlinien so geregelt, dass die BundesSerif sowohl für Überschriften als auch für Fließtexte verwendet wird. Die BundesSans findet vor allem in Zwischenüberschriften und für Fließtexte auf dem Bildschirm Verwendung. Außerdem wird sie für Tabellen und Grafiken eingesetzt.


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Die Schriften sind auch bereits im Web im Einsatz. War dies von Anfang an Teil des Briefings und wie wurde dies bei der Gestaltung gegebenenfalls berücksichtigt?

Ja, das war von Anfang an geplant, aber es hat die Gestaltung nicht dominiert. Wir sind der Auffassung, dass sich jede vernünftige Leseschrift im Prinzip auch für den Bildschirm optimieren lässt. Natürlich muss man auf einige Dinge achten: zum Beispiel, dass man beim Zeichnen gleichmäßige Stammbreiten festlegt und Overshoot-Zonen genau einhält – beides Grundvoraussetzung für sauberes Hinting; wie auch das optimale Ausnutzen der Kegelhöhe.


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Die kompletten Familien verfügen auch über ein sich sehr harmonisch einfügendes Versal-Eszett. War dies ein konkreter Wunsch des Auftraggebers oder wie kam es dazu? Welche Überlegungen führten zu der schlussendlich gewählten Form?

Das war tatsächlich ein Kundenwunsch – »Wie ist das mit dem Versal-ß. Hat unsere Schrift das auch?«. Zunächst waren wir nicht begeistert. Es gibt viele Gründe dagegen, auch weil die Handhabung dieser Glyphe wohlüberlegt sein muss. Nach einem halben Tag Diskussion und Grübelei haben wir uns dann aber doch entschieden, es zu machen: Eine Schrift für die Bundesregierung ohne die Versalform seines eigentümlichsten Buchstabens schien uns letzten Endes doch unvollständig. Unsere Zeichenvariante – die wir übrigens Zehlendorfer-Form nennen weil unser Büro in Berlin-Zehlendorf liegt – haben wir gewählt, weil es unserer Meinung nach eine Form ist, die sich auch sehr selbstverständlich schreiben läßt. Formal passt sie sich ebenfalls sehr gut ein. Wichtig ist vor allem, dass das Zeichen recht breit ist, damit es die Wichtigkeit eines Großbuchstabens bekommt.


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Entwürfe zum Versal-Eszett (oben) und die schließlich gewählten Formen in Serif und Sans (unten)
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Wie sah Eure Teamarbeit bzw. Arbeitsteilung bei der Entwicklung dieser Schriften konkret aus?

Die Formfindung haben wir immer zu zweit gemacht. Vor allem in der Anfangsphase haben wir Seite an Seite gearbeitet. Später haben wir uns die Arbeit stärker geteilt um effektiv arbeiten zu können und voran zu kommen. Da hat jeder für sich gezeichnet. Wir haben uns vormittags getroffen, kritisiert, besprochen – und gestritten – und nachmittags gezeichnet. Wir haben einen kleinen Server eingerichtet, auf dem wir zentral die Daten unter dem Arbeitstitel dtype (deutsch gesprochen Deh-Tüpe) abgelegt haben. Eine detaillierte ToDo-Textdatei half uns, den Überblick zu behalten.


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In den ersten Ansätzen ging es uns darum, die richtigen Proportionen zu schaffen, die als generelle Vorgabe für alle weiteren Entscheidungen nötig waren. Neben dieser Bestimmung der richtigen Verhältnisse aus Versalhöhe, Oberlänge und x-Höhe, und einer passenden Richtung für die Laufweite, ging es immer mehr um Formen bzw. Formenprinzipien. Hier war es uns wichtig, dass die Sans und Serif vom Aufbau her dicht bei einander bleiben würden. Skizzen für beide Familien enstanden dazu parallel und wir haben dann jeweils zusammen entschieden, was »richtig« oder »falsch« sein würde.

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Beim Entwickeln und Mastering der Fonts brauchten wir noch eine paar Tools die uns beim Anlegen und Verwalten der 12 benötigten OpenType-Fonts – zusammen fast 7000 Glyphen – assistieren würden. Das war vor allem FontLab Studio aber z.B. auch Frederik Berlaens UFOStrech, das hilfreich beim ersten Anlegen der Kapitälchen war. Alle »inneren Werte« haben wir lokal und global mit der Python-Bibliothek RoboFab gesteuert. Die PostScript-OpenType-Varianten der Schriften wurden anschließend mit Hilfe des Font Development Kits von Adobe gehintet und generiert.

Am Ende stand die Bildschirmoptimierung der zusätzlich angelegten TrueType-Varianten der Schriften, die Monika Bartels für uns besorgt hat. Anfänglich hatten wir geplant, dass wir linear (erst OTF dann TTF) arbeiten könnten, doch es stellte sich bald heraus, dass neben dem ClearType- auch Bedarf für ein zeitaufwändigeres Graustufen-Hinting bestand das auf älteren Betriebssystemen – selbst bei nicht aktivierter Glättung – gute Resultate sicher stellt. Wir mussten daher im Oktober die Weiterentwicklung PostScript-OpenType-Fonts unterbrechen, um uns um die TrueType-Outlines zu kümmern. Da wir damit rechnen mussten, dass die Schriften auch auf recht alten Betriebssystemen betrachtet werden, war neben dem ClearType-Hinting auch ein Graustufen-Hinting notwendig.


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Die diversen Präsentationen beim Kunden haben wir zusammen mit der Agentur geplant und durchgeführt. Viele ästhetischen Fragen wurden hier erörtert und unser jeweiliger Fortschritt aufgezeigt, sowohl digital aus auch auf Ausdrucken. Von Repräsentanten der verschiedenen Ministerien wurden die Ergebnisse begutachtet. Neben der Form ging es auch häufig um die Implementierung. Die Frage nach den verwendeten Browsern und Programmen, die es zu untersützen galt.


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Prof. Jürgen Huber und Martin Wenzel lehren an der HTW-Berlin und arbeiten in Berlin.
Jürgen Huber betreibt zusammen mit Malte Herok das typedepartment.de.
Martin Wenzels Schriften sind bei fontshop.com und bei martinplusfonts.com erhältlich.

(Foto rechts: Richard Kurc)

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