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Postkarten-ABC zum Sammeln oder Verschenken …

Interview mit Schriftgestalter Friedrich Althausen

Ralf Herrmann

Friedrich Althausen studierte Mediensysteme und Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar und arbeitet heute als freischaffender Typograf, Schriftgestalter und Illustrator in Potsdam.

 

Ursprung: Was hat Dein Interesse an Typografie und Schriftgestaltung geweckt?

Erst kürzlich habe ich die staubigen Dachbodenkisten mit alten Kinderzeichnungen und Schulheften aufgeräumt – ich hatte völlig vergessen, dass ich schon damals gerne Buchstaben gezeichnet habe!
Beim Studium in Weimar brach diese Faszination neu hervor. Im Kurs von Gastprofessor Alexander Branczyk, angestiftet unter anderem von Yanone, begann ich mit Schriften-am-Wegesrand-erkennen und Buchstabenzeichnen. Seitdem bin ich von der Schrift nicht mehr losgekommen.
Ich finde, Schriftgestaltung ist die ureigentlichste Grafikkunst – es geht nur um Form und Gegenform in der 2D-Ebene. Es geht nicht um Text-Bild-Kombination oder Papierformate, sogar die Größe und Farbe fehlen.

 

Bauhaus: Du hast mit anderen Schriftgestaltern wie Jan »Yanone« Gerner, Georg Seifert und Ralf Herrmann ein Studium an der Bauhaus-Universität absolviert, obgleich Schriftgestaltung hier gar kein expliziter Teil der Lehre ist. Wie bewertest Du das relativ freie, projektbasierte Bauhaus-Studium, das auf die Konzepte des ursprünglichen Bauhauses zurückgeht, im Nachhinein? Hat es Deine heutige Arbeitsweise beeinflusst?

Dieses Studienkonzept funktioniert eher wie ein Raum von Angeboten, um den sich die Studenten mit ihren eigenen Ideen und Projekten gruppieren, und weniger wie ein Schulhaus mit Tafel und Lehrplan.
Das empfinde ich, nicht zuletzt seit der kompakten Bachelor-Idee, als ein wichtiges Angebot. Und erst dadurch konnten wir in Weimar überhaupt Schriftgestalter werden. Allerdings ist keins von beiden Konzepten allein seeligmachend. Ich empfand das strenger strukturierte Gastsemester an der FH-Potsdam bei Lucas de Groot als sehr gute Ergänzung.
Aber ich vermute, das Projektstudium hat meinen Wunsch bestärkt, mich gleich nach dem Diplom in die freiberufliche Arbeit zu stürzen.

 

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Technik: Du hast ein Praktikum bei einem Schildermaler in Weimar gemacht und arbeitest auch im Schriftbereich gern mit analogen Mitteln, wie auch Dein Projekt One Letter a Day aus dem Jahr 2010 beweist. Beginnst Du grundsätzlich mit Entwürfen auf Papier? Wie gehst Du beim Gestalten von neuen Schriften vor?

Ich arbeite gern mit meinen Händen. Und obwohl oder eben gerade weil mit digitalen Schriften quasi alles möglich ist, halte ich die Verwendung traditioneller Schreibwerkzeuge für eine wichtige Grundlage im Schriftgestaltungsprozess. Schriftideen erwachsen in meinem Skizzenbuch zwar meistens aus Umrisszeichnungen einzelner Zeichen oder Worte. Aber einzelne Logo-Schriftzüge schreibe ich mit Pinsel und Feder – im Sinne von »Lettering« aufwändig nachkorrigiert oder rau als Kalligrafie.

 

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Tradition: Als Diplom-Projekt hast Du unter der Betreuung von Friedrich Forssman ein Redesign der Bücher der in der DDR sehr bekannten »Knabes Jugendbücherei« erarbeitet und dabei neben dem ursprünglichen Layout auch eine Adaption der Typoart-Schrift Liberta entworfen. (Siehe auch TypoJournal 1) Erzähle uns etwas mehr über dieses spannende Projekt und Deine Herangehensweise dabei!

 

Das war tatsächlich ein traumhaftes Projekt. Denn einerseits hatte ich historische Vorgaben – andererseits konnte ich von der Schrift über die Typografie und Illustrationen bis zum Produktdesign des Buchobjekts alles selbst gestalten. Und zu guter Letzt wurde ein Großteil meiner Arbeit tatsächlich gedruckt und verkauft.

 

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Die Übertragung einer Schrift vom Blei- in den Digitalsatz empfand ich als sehr interessante Aufgabe. Herbert Thannhaeuser wusste beim Entwurf seiner Liberta ganz genau, dass Bleilettern sich beim Druck abnutzten und dass ein Teil der abgedruckten Farbe an den Seiten jedes Buchstabens herausgequetscht. Die bleisatztypische Weichheit des Druckbildes war also zu einem gewissen Maße unvermeidbar und damit nicht Teil des Schriftentwurfes. Meine Liberta-Interpretation würde mehr scharfe Ecken bekommen, als man im alten Druckbild findet. Ich stellte mir die Frage: Wie hätte Thannhaeuser entworfen, wenn er die heutige Technik zur Verfügung gehabt hätte?

 

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Scan der Original-Liberta

 

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Die Neuinterpretation im Einsatz in den aktuellen Büchern des Verlages


Ich habe den Zeichenvorrat ausgebaut, die Familie auf sechs Strichstärken – jeweils normal und kursiv – erweitert. Die Höhenproportionen sind durch eine vergrößerte Mittellänge kompakter geworden. Das frakturich aussehende ß habe ich auf die Alternativzeichenplätze verbannt und ein neues gezeichnet.
Einiges habe ich bewusst nicht modernisiert – zum Beispiel das kleine f mit seinem eingezogenen Kopf. Es erinnert an die Enge auf dem Bleikegel und erspart gleichzeitig viele Kollisionsprobleme, so dass f-Ligaturen nicht zwingend gebraucht werden.

 

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Das Netz: Deine Vollkorn-Schrift kann als gut ausgebaute Schriftfamilie in vier Schnitten kostenlos heruntergeladen werden und war eine der ersten Schriften, die durch Google zur kostenlosen Nutzung über einen Webfontservice zur Verfügung standen. Wie ist heute Dein Fazit dazu, eine so relativ aufwendige Schriftentwicklung gratis anzubieten. Hat es sich für Dich gelohnt?

Vollkorn entstand und wuchs in meiner Weimarer Zeit als Student und einem kurzen Kraftakt im Frühjahr 2010. Insofern steht die einmalige Vergütung, die Google mir für die Veröffentlichung unter der sehr freien OpenFont-Lizenz zahlte, in einem guten Verhältnis zum Schriftentwicklungsaufwand. Schwer zu sagen, ob ich mit der Vollkorn, über Jahre gerechnet, mehr verdient hätte …

 

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Bleibt der manchmal geäußerte Vorwurf, ich würde die eigene Schriftbranche damit beschädigen. Angesichts der heutigen Fülle an neuen Schriften und derer Lizenzierungs- und Finanzierungsmodelle weise ich dies bescheiden zurück. Im Gegenteil – ich überlege, ob sich ein weiterer Vollkorn-Ausbau über Crowdfunding finanzieren ließe – wer macht mit?

 

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Vielfalt: Welche Schriften außer Deinen eigenen hast Du kürzlich benutzt und warum?

Meine liebste Serifenlose ist Graublau Sans meines Freundes Georg. PT Serif – modern, selbstbewusst, bescheiden; Caecilia und FF Zine für zwei Stammkunden, entsprechend deren Thema fürs Erscheinungsbild ausgesucht. Ansonsten benutze ich tatsächlich vor allem meine eigenen Schriften!

 

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Gegenwart: An welchen gestalterischen Projekten arbeitest Du gerade?

Mich beschäftigt nach wie vor die Neuinterpretation der Typoart Liberta. Nach dem wenige Wochen schnellen Entwurf im Diplom möchte ich bald eine überarbeitete Version veröffentlichen. Am meisten Spaß machen mir wohl alle Projekte, in denen ich Buchstaben oder ganze Worte schreiben oder zeichnen darf.

http://friedrichalthausen.de



Überschrift: Ein Versalalphabet mit 200 ausdrucksstarken Ligaturen
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