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Warum man ein großes Eszett benötigt

Ralf Herrmann

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts setzte man Deutsch vornehmlich in gebrochenen Schriften. Dabei verbot es sich auf Grund der ornamentalen und ausladenden Großbuchstabenformen generell, einzelne Wörter oder Sätze ausschließlich in Großbuchstaben zu setzen. Und da es auch kein einziges Wort gibt, das mit einem Eszett beginnt, bestand schlicht kein Bedarf für einen Eszett-Großbuchstaben. Die heute üblichen lateinischen Buchstaben werden allerdings sehr wohl in Großbuchstaben gesetzt, und deshalb klafft im deutschen Alphabet schon seit vielen Jahrzehnten eine Lücke.

Warum benötigt man heute ein Großbuchstaben-Eszett?
Schreibung von Eigennamen

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Sprachen, deren Zeichen auf dem lateinischen Alphabet beruhen, besitzen ein Klein- und Großbuchstabenalphabet. Es ist dabei ein universelles Prinzip, dass man einen Text wahlweise in gemischter Schreibweise oder in Großbuchstaben setzen kann, ohne den Inhalt anzutasten. Dies funktioniert überall, nur in Deutschland und Österreich nicht. Man kann zwar einen Namen wie »Meißner« im Großbuchstabensatz in »MEISSNER« auflösen, aber der umgekehrte Weg bleibt verwehrt, denn es ist dann nicht mehr ersichtlich, ob es sich bei Herrn »MEISSNER« nun um Herrn »Meißner« oder Herrn »Meissner« handelt. Und dies ist kein konstruierter Einzelfall. Gut 2 Millionen Deutsche tragen ein Eszett im Familien- oder Ortsnamen und schlagen sich tagtäglich mit diesem Problem herum, etwa wenn sie ein Formular in Großbuchstaben ausfüllen sollen. Schließt man durch Schaffung eines Großbuchstaben-Eszetts die Lücke im deutschen Alphabet, löst sich das Problem der Eigennamenschreibung auf.

Rechtschreibreform
Mit der Rechtschreibreform von 1996 wurde die Anzahl der deutschen Wörter mit Eszett verkleinert. Für die verbliebenen Anwendungen wurde die Funktion des Eszetts allerdings sogar noch gefestigt. Die Unterscheidung von Eszett und Doppel-S gibt nun im Geschriebenen eindeutig Auskunft über die Länge des Vokals vor dem S-Laut.
  • Der Fluss: kurz gesprochener Vokal
  • Der Fuß: lang gesprochener Vokal

Dieses einfache Prinzip wird leider im Schriftsatz mit Großbuchstaben ad adsurdum geführt, wenn das Eszett in Doppel-S aufgelöst wird. Plötzlich muss der FUSSBALL anders ausgesprochen werden als der Fußball und aus den Maßen werden MASSEN. Ein Großbuchstaben-Eszett kann diese Ungereimtheiten beseitigen.

Zu den typischen Gegenargumenten
Man kann doch keine neue Buchstaben erfinden!
Schriftzeichen sind – genau wie Wörter und Orthographie – lediglich Werkzeuge, die sich den jeweiligen Bedingungen der Zeit anpassen müssen. Dies war schon immer so. Auch das lateinische Alphabet war nicht von Anfang an komplett, sondern bestand lediglich aus 21 Buchstaben. G, J, U, W, Y wurden im Nachhinein hinzugefügt, da ein Bedarf danach bestand. Auch die deutschen Umlaute und die unzähligen Akzentzeichen der europäischen Sprachen wurden später zum Alphabet hinzugefügt.

Wozu ein Großbuchstabeneszett? Es gibt doch kein einziges Wort, das mit Eszett beginnt!
Das ist richtig. Aber die GROSSSCHREIBUNG einzelner Wörter oder ganzen (Ab-)Sätze ist gängige Praxis – ob in Textdokumenten, Formularen, auf Schilder, in Anzeigen und so weiter. Hier fehlt der entsprechende Buchstabe und alle gängigen Notlösungen führen zu Problemen in den Aussprache-Regeln beziehungsweise bei der Wiedergabe von Eigennamen.

Warum nimmt man nicht einfach das Kleinbuchstaben-Eszett auch bei Großbuchstaben?
Das ist im Prinzip genauso falsch, wie so etwas wie »GROSSBUCHSTaBE« zu schreiben. Einzelne Kleinbuchstaben können nicht zwischen Großbuchstaben eingefügt werden. Zwischen der Entstehung der Klein- und der Großbuchstaben liegen gut 1000 Jahre. Die beiden Alphabete folgenden unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien. Deshalb muss ein Großbuchstaben-Eszett auch als Großbuchstabe gestaltet werden.

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Ein Großbuchstaben-Eszett ist Unsinn, denn das Eszett ist eine Kleinbuchstaben-Ligatur
Leider hält sich hartnäckig die Meinung, dass ein »Buchstabe« und eine »Ligatur« verschiedene Dinge sein müssen. Die Bezeichnung Ligatur bedeutig lediglich, dass irgend etwas verbunden (»legiert«) wurde. Es gibt in der Tat Ligaturen (etwa fi und fl), die rein typografische Zwecke im Satz mit Kleinbuchstaben verfolgen und die man deshalb auch nicht als Großbuchstabe braucht. Andere Ligaturen erfüllen als vollwertige Buchstaben des Alphabets einen sprachliche Funktion, etwa unser W, das eine Ligatur aus zwei Vs ist. Oder Buchstaben wie æ und œ, deren legierte Bestandteile noch gut zu erkennen sind. Ob das Eszett überhaupt aus einer Ligatur entstanden ist, bleibt weiterhin stark umstritten. Es spielt aber für die Überlegungen zum Versaleszett keine Rolle, denn das Eszett ist heute in jedem Falle ein vollwertiger Buchstabe des Alphabets in Deutschland und Österreich – völlig unabhängig davon, ob es aus einer Ligatur entstanden ist oder nicht.

Einen Eszett-Großbuchstaben kann es nicht geben, da es ja das im Eszett enthaltene Lang-s nicht als Großbuchstabe gibt.
Schriftzeichen sind reine Konventionen. Sie stehen als abstraktes Zeichen für die bezeichnete Sache. Man kann einen Buchstaben deshalb schon per Definition nicht als falsch oder richtig bezeichnen. Sonst könnte man auch argumentieren, dass der Buchstabe A falsch ist, weil ja der Stierkopf, auf dem er beruht, verkehrt herum abgebildet wird. Es zählt allein, welches Aussehen und welche Funktion wir den Zeichen heute(!) zuschreiben.
Es ist auch nichts Neues, dass sich Großbuchstaben aus Kleinbuchstaben entwickeln. Zu unseren deutschen Umlauten (eine Verschmelzung aus ae, oe und ue) wurden auch Großbuchstaben geschaffen. Wer argumentiert, dass man wegen des Lang-s im Eszett daraus keinen Großbuchstaben machen könnte, der müsste auch die Umlaute wegen ihrer formalen Bildung mit einem Kleinbuchstaben-E ablehnen.

In einer globalisierten Welt macht das Eszett einfach keinen Sinn mehr. Es sollte gänzlich abgeschafft werden.
Die Kinderkrankheiten der weltweiten digitalen Kommunikation sind längst überwunden. Die Zukunft spricht Unicode, den weltweiten Zeichensatzstandard, der jedem Sinn tragenden Zeichen der Welt einen eindeutigen Kode zuweist. Da das Großbuchstaben-Eszett bereits im Unicode enthalten ist, sind diesbezüglich keinerlei Probleme zu erwarten und es gibt generell keinen Grund mehr, irgend ein Zeichen der Welt abzuschaffen, damit es in der internationalen Kommunikation besser funktioniert.

Das Eszett gehört abgeschafft. In der Schweiz geht es doch auch ohne.
Sagen Sie das mal den 1,6 Millionen Deutschen, die ein Eszett im Familiennamen tragen!
Das Eszett erfüllt in der Schriftsprache in Deutschland und Österreich eine distinkte sprachliche Funktion. Es gibt daher keinen plausiblen Grund, dieses etablierte System zugunsten eines Systems abzuschaffen, das mit deutlich mehr Zweideutigkeiten leben muss. Dass diese Reduktion funktioniert, heißt noch lange nicht, dass sie die bessere Alternative sein muss. SONSTKOENNTEMANAVCHWIEINDERANTIKESCHREIBEN.

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Iwan Reschniev: eine Schriftfamilie basierend auf Schriftentwürfen von Jan Tschichold.
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