Vor 100 Jahren im Bleisatz waren Schriftproduktion und Vertrieb noch so teuer, dass sich die Bestseller unter den Schriften meist nur bei den großen, finanzstarken Schriftgießereien fanden. Mit der Digitalisierung der Schrift und offenen, weltweit zugänglichen Vertriebsplattformen wie MyFonts können heute aber auch schriftgestalterische »Einzelkämpfer« in kurzer Zeit Bekanntheit erlangen. Vor einigen Jahren war etwa der Niederländer Jos Buivenga einer der ersten der neuen »MyFonts-Stars«. Ein Schriftgestalter, der aktuell mit fast jeder neuen Schrift in die Bestseller-Listen einsteigt, ist der Berliner Hannes von Döhren mit seinem Label HvD Fonts. In einem beim »Hermann Schmidt Verlag« erschienenen Buch stellt er nun sein Schriftschaffen der letzten sechs Jahre vor.
Den größten Teil des 272 Seiten starken und komplett englischen Festeinband-Buches machen die Vorstellungen bzw. Präsentationen von 31 Schriftentwürfen aus. Die Aufmachung entspricht den üblichen Schriftmustern, wie man sie heute meist digital auf Webseiten und in PDFs vorfindet: ein kurzer (werblicher) Beschreibungstext, Alphabet-Übersichten sowie fiktive Textdarstellungen mit Einzelwörtern und Blindtextabsätzen.
Angereichert wird das Buch von einem Fachtext von Jan Middendorp, der über Hannes von Döhren und die neuen Möglichkeiten des Schriftvertriebes schreibt. Außerdem gibt es zwei Interviews: eines mit Hannes von Döhren und eines mit Freund und Mitarbeiter Livius Dietzel. Am Ende des Buches gibt es eine Bildersammlung mit HVD-Fonts in realen Anwendungen.
Käufer des Buches erhalten auch einen persönlichen Code und können sich fünf HvD-Einzelfonts im Wert von 99 Dollar auf der Website von Fontspring herunterladen.
Fazit: Das Werk ist vor allem ein Schriftmusterbuch, das sämtliche HvD-Fonts in gedruckter Form zeigt – früher hätte man von einer so genannten Hauptprobe gesprochen. Jedoch waren solche Schriftmuster in der Regel kostenlos, denn sie waren vor allem Werbematerial, das zum Schriftenkauf animieren sollte. Mit einem Kaufpreis von 39,80 Euro ist das hier vorliegende Schriftmusterbuch in diesem Sinne vergleichsweise teuer und bietet abgesehen von der Druckform der Schriftmuster inhaltlich leider kaum einen Mehrwert – man denke etwa an mögliche Hintergrundinformationen zu den Schriftentwürfen, Skizzen und Anekdoten aus dem Gestaltungsprozess oder schriftgestalterische Einordnungen und Analysen, aus denen der Leser des Buches etwas lernen könnte. Schade! Für knapp 40 Euro sind mir rein werbliche Schriftmuster zu wenig. So kann ich leider keine allgemeine Kaufempfehlung aussprechen und das Buch nur eingefleischten Schriftmustersammlern und Von-Döhren-Fans empfehlen.
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