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Fraktur in der DDR

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Þorsten

image-628738-galleryV9-lkcf.jpg Eine der spätesten staatsoffiziellen Verwendungen von Fraktur überhaupt? Interessant erscheint mir besonders, dass die Fraktur hier in einem aus offizieller DDR-Sicht positiven und zukunftsgerichteten Kontext verwendet wird, statt z.B. für angeblich überkommene bürgerlich-kapitalistische Ideen zu stehen.

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Pachulke

Soweit ich mich an die wenigen Frakturanwendungen in der DDR erinnere, wurde diese eher im Sinne von »historisch; alt; abgeschlossene Periode« verwendet als im Sinne von »reaktionär; bürgerlich; faschistisch« — also alles in allem recht emotions- und ideologiefrei. Ich kann mich freilich auch nicht an moderne Adaptionen erinnern, die der Fraktur eine Brücke in die Gegenwartstypographie gebaut hätten. Fraktur war Geschichte — Punkt. Hatte Typoart eigentlich eine Fraktur im Angebot? Ich kann mich nicht erinnern. Sie war aus dem Alltag schon weitgehend verschwunden, aber, wie mir scheint, eher aus Desinteresse und allgemeiner Fortschrittsgläubigkeit heraus. Die offizielle Ästhetik war halt die eines Plattenbaus, das hat sich auch in der Typographie bemerkbar gemacht und da war für Schnörkel kein Platz.

Aber, wie gesagt: Seltsamerweise scheint der Fraktur ausgerechnet in der DDR die Discreditierung als Nazischrift erspart geblieben zu sein.

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Thomas Kunz
Hatte Typoart eigentlich eine Fraktur im Angebot?

Typoart hatte an gebrochenen Schriften die Luthersche Fraktur, die Caslon-Gotisch und eine Schwabacher im Sortiment. Als digitalisierte Version sind diese Schriften aus der Typoart-Bibliothek bei Elsner + Flake zu beziehen. (Die Verlinkungen führen dort hin.)

Luthersche Fraktur:

»Volker Küster wählte typische Merkmale aus und vereinigte sie mit viel Stilgefühl zu einer sehr geschlossen wirkenden Werkschrift. Noch schmaler, etwas kräftiger und vor allem mit reicheren Schmuckdetails versehen, präsentieren sich die Großkegelgrade, die der Grafiker Herbert Lemme zeichnete.«

Luthersche-Fraktur.jpg

Caslon-Gotisch:

»Die Fotosatz-Replik wurde von Erhard Kaiser künstlerisch betreut.«

Caslon-Gotisch.jpg

Schwabacher:

»Die künstlerische Überarbeitung durch Herbert Lemme orientierte sich an historischen Drucken. Anstelle der falschen Versalziffern, wie sie von anderen Schwabachertypen bekannt sind, wurden bei der vorliegenden Fotosatzschrift Minuskelziffern eingesetzt.«

Schwabacher.jpg

(Bilder und Textauszüge aus: Albert Kapr, Detlef Schäfer »Fotosatzschriften Type-Design und Schriftherstellung« VEB Fachbuchverlag, Leipzig 1989 )

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Þorsten

Kein Widerspruch, verehrter Pachulke. Ich meinte das mit den negativ bürgerlichen Konnotationen nur als Beispiel für etwas, das man vielleicht etwa erwarten können nicht dass es so war. Ich bin mir sicher, dass man zum Lutherjahr 1983 einiges an gebrochenen Schriften gesehen hat. Trotzdem hat mich die Verwendung hier für Liebknechts und Luxemburgs »Programm« einigermaßen überrascht. Denn dieses war nach offizieller Lesart ja alles andere als »historisch; alt; [Teil einer] abgeschlossene[n] Periode«.

:-?

Danke, Pomeranz, für die hübschen Beispiele!

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Pachulke
Ich meinte das mit den negativ bürgerlichen Konnotationen nur als Beispiel für etwas, das man vielleicht etwa erwarten können – nicht dass es so war.

So in etwa hatte ich Dich auch verstanden.

Die Kombination von Fraktur und Grotesk im Beispiel war einfach das Mittel des Graphikers, die Verbindung der objektiv ja doch historischen Personen Liebknecht / Luxemburg mit der DDR-Gegenwart herzustellen. Und damit war er durchaus »auf Linie«.

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Þorsten

Stimmt, so erklärt ist das durchaus plausibel. Ich wäre mir nur nicht sicher gewesen, ob die Bonze, die diese Arbeit abnehmen musste, das auch so logisch gesehen hätte und den armen Gestalter nicht etwa in Generalverdacht genommen hätte, L und L in eine »revanchistische« Ecke zu stellen. Du weißt ja selbst, mit welch Lächerlichkeiten man so anecken konnte.

Ich betrachte dieses Thema übrigens nicht als abgeschlossen. Wenn ihr noch andere Beispiele von Fraktur in der DDR herum zu liegen habt, immer her damit! :huhu:

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Pachulke

Ich denke, durch die gut belegte Tradition von Fraktur in der KPD (Thälmann-Wahlplakate u. dgl.) wäre der Graphiker gut abgesichert gewesen. Vermutlich sind das auch die Assoziationen gewesen, die hier sowohl bei Graphiker als auch bei Zensurbehörde die entscheidenden Trigger betätigt haben.

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Joshua K.
Volker Küster wählte typische Merkmale aus und vereinigte sie mit viel Stilgefühl zu einer sehr geschlossen wirkenden Werkschrift.

Und das ist nicht nur Werbeunsinn sondern stimmt ausnahmsweise mal. Die Luthersche Fraktur ist eine der ausgeglichensten, schönsten Frakturschriften überhaupt. Und die Typoart-Luthersche dürfte die beste digital verfügbare Fraktur sein!

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Phoibos

ich finde, bei einer fraktur sollten auch die ziffern gebrochen sein, zumindest so anmuten. und natürlich minuskelziffern sein *find*

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Frakturfreak

Merkwürdigerweise sehen die Ziffern in gebrochen Schriften sehr oft wie Fremdkörper aus, die man noch schnell aus einer Antiqua eingefügt hat.

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Joshua K.

Ich finde auch, daß es am besten ist, wenn die Ziffern ordentlich gebrochen sind. Aber eine ausgeglichene, harmonische, sauber gezeichnete und gut ausgebaute Fraktur mit runden Ziffern ist mir lieber als eine schlechtere Schrift mit gebrochenen Ziffern.

Ich habe folgende Vermutung, wie es zu den runden Ziffern gekommen sein könnte:

Früher (19. Jh.) war es üblich, daß man in einer Setzerei nur Ziffern aus einer einzigen Schrift hatte, d. h. in allen Sätzkästen lagen die gleichen Ziffern. So konnte man, wenn man mal mehr Ziffern benötigte und ein Fach leer wurde, einfach die Ziffern aus einem anderen Kasten verwenden. Es könnte sein, daß man sich so daran gewöhnt hat, Fraktur mit runden Ziffern zu mischen.

Bei den digitalisierten Schriften ist natürlich gut möglich, daß man einen Druck als Vorlage verwendet hat, in dem auf diese Weise Frakturbuchstaben mit Antiquaziffern gemischt worden sind, die Ziffern also ursprünglich gar nicht zur Fraktur gehört haben.

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  • 9 Monate später...
Martin Z. Schröder

Gebrochene Schriften sind in der DDR reichlich verwendet worden und hatten keinen ideologischen Geschmack. Sie wurden in der Buch- und Plakatkunst und für Akzidenzen angewendet, und Lehrlinge wurden im Bleisatz mit ihr vertraut gemacht. Verbreitet war die Sinkwitz-Gotisch von Paul Sinkwitz aus dem Jahre 1941, die oft für Urkunden verwendet wurde. Ich habe sie als Lehrling in Ostberlin Anfang der 1980er Jahre benutzt, später als angestellter Akzidenzer, und sie steht heute in meiner Werkstatt, kommt allerdings nur sehr selten zum Einsatz (im Gegensatz zur Unger-Fraktur). Bernhard Schnelles Darstellung (Link im vorigen Beitrag) kann ich bestätigen. Die ideologischen Zuschreibungen in Westdeutschland waren uns nicht geläufig, wir unterschieden zwischen schöner und häßlicher Schrift, nicht zwischen guter und böser.

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boernie

Danke für die eindeutige Bestätigung meiner Aussage. Wenn ich früher den Design-Studenten diesen Sachverhalt zu erklären versucht habe,

wurde ich teilweise angeschaut, als ob ich von einem anderen Stern käme.

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  • 1 Jahr später...
Þorsten

Vor ein paar Tagen gesehen: Fraktur in der, nun ja, »heutigen DDR«. :party:

 

olvenstedt-fussball-poster-2013.501295_s

(größeres Bild per Klick)

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Þorsten

„Euch“ kann man es aber auch nicht recht machen! Da versucht der Fußballtournierankündigungszettelverantwortliche schon zu gestalten, ohne nur Arial oder TNR (oder eine der Schriften, „die genauso aussehen“) zu nehmen, greift dabei sogar um die Comic Sans herum – und dann ist es doch wieder falsch! :bandit:

 

Hoffentlich freuen sich wenigstens die Befürworter eines Fraktureinsatzes in allen modernen Lebenslagen. Immerhin geht es bei der Fußballtournierankündigung gar nicht um Geschichte.

bearbeitet von Þorsten
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Pachulke

…  ohne Arial oder TNR …

 

Also ich sehe da eine Times. Und sie ist nicht einmal das schlechteste auf diesem Zettel. Und gegen diese roten Dinger da links von der Times wäre selbst CS eine Wohltat.

  • Gefällt 1
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Þorsten

Is ja klar. Deshalb das oben fett eingeschobene Wort.

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