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Scharf und versal und dennoch ein S?

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Markus Wäger

Hallo liebe Mitleser und -Innen,

ich habe mich bisher vor der Diskussion gedrückt und die Debatte mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement verfolgt. Nun bin ich aber doch neugierig geworden.

Ich selbst kann dem Gedanken an ein versales ß wenig abgewinnen. Zum Einen wünsche ich mal, nach der Erfahrung mit der Rechtschreibreform viel Glück mit einer solchen Schreibform. Ich kann mir dabei nur zwei Resultate vorstellen: das versale ß wird von der Öffentlichkeit ignoriert oder die Verantwortlichen werden an einer Straßenlaterne aufgehängt.

Ich würde mich an die Verwendung eines versalen ß halten, so es zum Standard würde, nach meiner Meinung gefragt lehne ich es aber bisher ab. Zum Einen stellt sich mir die Frage ob es das in der Geschichte der lateinischen Buchstaben schon einmal gegeben hat, dass sich aus einer Ligatur zweier Gemeinen eine Versalie gebildet hat.

Dies ist jedoch nicht der Grund für meine Ablehnung. Die rührt eher daher, dass mir noch keine überzeugende ß-Versalie unter die Augen gekommen ist. Wenige andere Buchstaben haben dem Schriftgestalter so viel Freiraum für Kreativität gegeben. Und dieser Freiraum wurde auch genutzt. So haben wir eine breite Vielfalt an Varianten der Form des ß.

Die versalen ß die ich bisher gesehen habe gingen ohne weiteres als Variante des gemeinen ß durch. Man muss schon ein Schriftkenner und Typophiler sein um ein solches neues versales ß von der gemeinen Gemeine zu unterscheiden.

Und so stellt sich für mich die Frage was für einen Sinn der ganze Aufruhr hat, wenn ein versales ß von einem gemeinen ß kaum zu unterscheiden ist? Wäre es da nicht einfacher die Regel, dass ein gemeines ß niemals in Versaltext vorkommen darf über Bord zu schmeißen und im Sinne einer einfacheren Handhabung drei gerade sein lassen?

Das sind jetzt rein typografische Überlegungen. Vom technischen Standpunkt betrachtet würde sich die Sache ja wohl ohnehin kaum durchführen lassen, denn es hieße, dass alle Schriften die wir heute verwenden – wums – Zwecklos wären. Wir könnten sie gleich neben den deutschen Tastaturen entsorgen. Denn ein versales ß in den unerreichbaren Tiefen einer OpenType-Schrift ist doch absurd, oder?

Mich erinnert das Ganze etwas an den oft beschworenen ›Talk im Turm‹, nämlich im Elfenbeinturm.

Ich bin schon auf eure Argumente gespannt und würde mich ja auch überzeugen lassen, wenn es treffende wären.

Liebe Grüße. Markus.

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Niklaus

Gibt es oder gab es in Österreich eigentlich diesbezüglich abweichende Regeln? In der Schweiz gab es das ß ja ohnehin nie …

Ich sehe es ganz ähnlich wie Du: Es ist eine ebenso interessante wie faszinierende Diskussion unter Fachleuten und Maniacs (die wir alle sind), von der die Außenwelt wohl kaum je besonders Kenntnis nehmen wird. Vor allen Dingen wäre ja die ganze ß-Reform für die Katz, da der Durchschnittsbürger wohl kaum den Unterschied zwischen einem kleinen und einem versalen ß überhaupt auszumachen vermöchte …

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Markus Wäger
Gibt es oder gab es in Österreich eigentlich diesbezüglich abweichende Regeln? In der Schweiz gab es das ß ja ohnehin nie …

Nein. Österreich folgt in vielen Belangen dem Vorbild Deutschlands. Es gibt ein paar Worte die im Duden als typisch österreichisch ausgezeichnet sind, aber im Grunde ist Deutsch und Österreichisch dasselbe (nur die unsägliche neue-Rechschreibung-Diskussion ist relativ spurlos an uns vorbei gegangen).

Die Schweizer orientieren sich traditionsgemäß auch sehr stark nach Frankreich. Das sieht man auch in der Typografie ganz gut: «Französische Anführungszeichen wie von den Franzosen angewendet».

Aber ich bin mir sicher, da könnte eine Mitleser aus der Schweiz mehr dazu sagen.

Greetinx

Markus

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Markus Wäger

Locarno liegt in der Schweiz …

War mir gar nicht bewusst (dass du Schweizer bist).

Schönes Bild. Hast das grad gemacht?

So die Seenlandschaft Tessin, Italien – das wäre ja mein Traum Lebensort. Berge, Wasser, Wäler – alles was wir hier auch haben, nur mit mehr Sonne. :-)

Liebe Grüße. Markus.

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Tholan
... In der Schweiz gab es das ß ja ohnehin nie …

Du meinst mit nie wohl ab den 30er Jahren?

Bitte unterschlag nicht 700 Jahre Benutzung des ß in der detuschsprachigen Schweiz mit 70 Jahren Nichtbenutzung.

An Formgebung. Die ganze Thematik wurde doch in den Beiträgen schon hoch und runter mit allen Pro- und Contra Punkten diskutiert, darunter auch deine Fragen.

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Markus Wäger

An Formgebung. Die ganze Thematik wurde doch in den Beiträgen schon hoch und runter mit allen Pro- und Contra Punkten diskutiert, darunter auch deine Fragen.

Du meinst mit nie wohl ab den 30er Jahren?

Bitte unterschlag nicht 700 Jahre Benutzung des ß in der detuschsprachigen Schweiz mit 70 Jahren Nichtbenutzung.

Gehe ich Recht in der Annahme, dass du mich und nicht Henning (Formgebung) gemeint hast? Muss ich mich wohl entschuldigen. Ich hatte gar nicht daran gedacht, diesbezüglich in den alten Beiträgen zu stöbern.

700 Jahre Benutzung in der Schweiz: würde mich interessieren, wann das scharfe ß überhaupt als eigener Buchstabe quasi zum ersten mal urkundlich erwähnt wurde. Weiß das jemand?

Liebe Grüße. Markus.

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Andreass

Hallo Markus,

wenn ich Deinen einleitenden Text lese und Deine Fragen sehe, wundere ich mich doch schon sehr. - Guten Morgen! Aufgewacht? möchte ich schmunzelnd fragen.

All diese Fragen wurden schon oft gestellt und diskutiert. Hier im Forum und auch auf Typeforum.de. - In der aktuellen Signa 9 http://www.signographie.de steht vieles und noch mehr zusammengefaßt drin.

Zur Geschichte des ß usw. gibt es tonnenweise Artikel. - z.B. wikipedia.de, Gutenbergjahrbücher usw. Google ist Dein Freund.

Wenn Du Dich dafür so brennend interessiert, lies doch einfach. - Meine Lust permanent auf die selben Fragen und Spekulationen zu regieren hat stark nachgelassen. - Bitte nicht böse sein. :-)

Nur mal einige Fragen:

Meinst Du, das versale ß wird noch gar nicht von der Bevölkerung benutzt?

Meinst Du, amtliche Dokumente werden in Zukunft keine GROßSCHREIBUNG mehr verwenden oder gar ß zu SS bzw. SZ umwandeln?

Meinst Du, eine Versalform muß sich von der Minuskelform grundlegend unterscheiden?

(Denk mal an c, j, k, u, v, w, x, z.)

Meinst Du, irgend jemand wird verbindlich festlegen: "So, ab jetzt gibt es ein großes ß und ein jeder hat es zu benutzen."?

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Tholan
Gehe ich Recht in der Annahme, dass du mich und nicht Henning (Formgebung) gemeint hast? ... würde mich interessieren, wann das scharfe ß überhaupt als eigener Buchstabe quasi zum ersten mal urkundlich erwähnt wurde. Weiß das jemand? ...
Hallo Markus, ja ich meinte Dich. Versehen meinerseits, sorry.

Als früheste Quelle für ein scharfes Ess sehen manche das Wolfdietrich-Fragment, von ca. 1300 an. Weitere Beispiele finden sich dann häufig im ablaufenden 14. Jhdt. Von der Schweiz, speziell Solothurn habe ich ein Beispiel von 1428, hier wird das ß schon regelmäßig angewendet, nehme aber an, dass bei genauerer Untersuchung sich auch Beispiele aus dem 14. Jahrhundert finden lassen.

Das ß verschwand ja erst in den 30er Jahren in der Schweiz, um Platz auf der Schreibmaschine für die französischen Sonderzeichen zu schaffen. Bis heute kann man, muss man es aber nicht anwenden. Mir ging es hauptsächlich um die Behauptung, dass es das ß in der Schweiz nie gab.

Nur aus Interesse, gibt es auch ein französisches Sonderzeichen, welches in der französichen Schrift in der Schweiz – im Gegensatz zu Frankreich – nicht mehr benutzt werden muss, weiß das jemand?

Zum ß siehe aber auch:

Zur handschriftlichen und typographischen Geschichte der Buchstabenligatur ß aus gotisch-deutschen und humanistisch-italienischen Kontexten von Prof. Dr. Herbert E. Brekle

http://www-nw.uni-regensburg.de/~.brh22 ... IGATUR.HTM

Eine umfassende Untersuchung mit großem Datenmaterial unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede gibt es aber zum ß bisher noch nicht.

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Bleisetzer
Gibt es oder gab es in Österreich eigentlich diesbezüglich abweichende Regeln? In der Schweiz gab es das ß ja ohnehin nie …

Ich sehe es ganz ähnlich wie Du: Es ist eine ebenso interessante wie faszinierende Diskussion unter Fachleuten und Maniacs (die wir alle sind), von der die Außenwelt wohl kaum je besonders Kenntnis nehmen wird. Vor allen Dingen wäre ja die ganze ß-Reform für die Katz, da der Durchschnittsbürger wohl kaum den Unterschied zwischen einem kleinen und einem versalen ß überhaupt auszumachen vermöchte …

Aber ist denn die Unterscheidung überhaupt zwingend notwendig? Aus welchem Grunde muß denn die Versal-Form eines Buchstabens zwingend anders aussehen als die Form des Gemeinen?

Gerade beim ß, das ja auch gegenüber dem s die Aussprache des Wortes beeinflußt, kommt es doch zunächst einmal auf den Erkennungswert eben dieses Merkmales an. Und das ist beim Gemeinen ß bereits gegeben. Überträgt man das Gemeine ß nun aus typographischen Gründen auf die Größe der Versalien und paßt es optisch entsprechend an, dann empfinde ich das Versal-ß überhaupt nicht als Fremdkörper. Natürlich als gewöhnungsbedürftig. Aber wie das Wort schon sagt: Halt nur, weil ich es nicht gewohnt bin. Aber es erscheint mir bei näherem Betrachten als durchaus logisch.

Hier noch einmal am Beispiel der Ehmcke-Antiqua:

Georg

1012_ehmcke_2.jpg

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Rosigg
Als früheste Quelle für ein scharfes Ess sehen manche das Wolfdietrich-Fragment, von ca. 1300 an. Weitere Beispiele finden sich dann häufig im ablaufenden 14. Jhdt. Von der Schweiz, speziell Solothurn habe ich ein Beispiel von 1428, hier wird das ß schon regelmäßig angewendet, nehme aber an, dass bei genauerer Untersuchung sich auch Beispiele aus dem 14. Jahrhundert finden lassen.

Ja natürlich. Es finden sich hier auch Bsp. aus dem 14. Jahrhundert, z.B. in Schaffhausen. Das älteste Beispiel, das ich gerade gefunden habe, ist auf 1356 datiert. Wichtig finde ich noch zu sagen, dass die s-Ligatur damals eine andere Bedeutung hatte als heute. Insbesondere sagte sie nichts aus über die Länge des vorangehenden Vokals!

Grüsse von Roman, der gerade mit alten Urkunden arbeitet. :)

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Markus Wäger

Es finden sich hier auch Bsp. aus dem 14. Jahrhundert, z.B. in Schaffhausen. Das älteste Beispiel, das ich gerade gefunden habe, ist auf 1356 datiert.

Das was wir heute als scharfes ß kennen war ja ursprünglich eine Ligatur. Ich nehme mal an, dass die genannten Jahreszahlen sich auf das in Erscheinungtreten dieser Ligatur beziehen.

Nun würde mich interessieren ab wann diese Ligatur tatsächlich als eigenständiger Buchstabe gehandelt wurde – also wirklich ein scharfes ß, und nicht etwas wie heute eine fl-Ligatur etc.

Ich habe mal die zuvor genannte Quelle der Uni Regensburg überflogen, bin daraus aber nicht schlüssig geworden zu welcher Zeit dem so war (oder ich habe den entsprechenden Teil tatsächlich überflogen).

Danke und Grüße aus dem Regen. Markus.

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Rosigg
Ich habe mal die zuvor genannte Quelle der Uni Regensburg überflogen, bin daraus aber nicht schlüssig geworden zu welcher Zeit dem so war (oder ich habe den entsprechenden Teil tatsächlich überflogen).

Ich habe es auch durchgeschaut. Habe aber keine Antwort auf diese Frage gefunden. Der Beitrag war auf die Verwendung als Ligatur fokussiert. Ich werde heute Abend, wenn ich Zeit finde, zuhause nachschauen, oder halt morgen und das Resultat nachliefern.

Grüsse aus Schaffhausen, wo es gerade zu regnen aufgehört hat. -)

Roman

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Rosigg

Also ich habe mal hier im Büro geguckt. In der Bibliothek Abteilung Graphematik (Schriftsysteme) fanden sich ein paar Hinweise. Der Buchstabe <ß> ist gemäss Bramann (1987: 163) in der Antiqua-Variante erst mit der Rechtschreibreform von 1901 eingeführt worden. Davor war es im Antiquasatz üblich ſs zu schreiben. Der Wechsel von der Ligatur zum Buchstaben dürfte zu diesem Zeitpunkt massenwirksam stattgefunden haben.

In einem Aufsatz zum Problem der ß-Graphie habe ich den Hinweis gefunden, dass Jacob Grimm für seine Deutsche Grammatik von 1822 als erster ein ß giessen liess. (Die Grimm'sche ß-Schreibung orientierte sich allerdings an anderen Regeln als die – mit Einschränkungen – bis heute übliche Frakturschreibregelung. Grimm setzte konsequent auf eine etymologische Schreibweise.)

In meiner ältesten Dudenauflage von 1957 heisst es S. 71: "In Antiqua werden im allgemeinen folgende Ligaturen gebraucht: ff, fi, fl und ß (das heute aber als ein Buchstabe empfunden wird)" (Hervorhebung im Original).

Bessere Hinweise habe ich jetzt nicht gefunden. Eine Literaturangabe zur Frage, warum wir Schweizer kein Esszett schreiben möchte ich nicht unterschlagen, da der Verfasser auch andere Gründe, als die üblichen Beschränkungen, anführt.

Literaturangaben:

Bramann, Klaus-Wilhelm (1987): Der Weg zur heutigen Rechtschreibnorm: Abbau orthographischer und lexikalischer Doppelformen im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M.

Gallmann, Peter (1996): Warum wir Schweizer auch weiterhin kein Esszett schreiben. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape ... t_1997.pdf

Poschenrieder, Thorwald (1997): S-Schreibung – Überlieferung oder Reform? In: H.-W. Eroms und H. H. Munske (Hgg.). Die Rechschreibreform: Pro und Kontra. S. 173–184.

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Tholan

Diese Argumentation geht doch in die falsche Richtung. Die erste einheitliche Rechtschreibregelungen gab es doch erst in Preußen 1876.

Man muss die Geschichte des ß trennen

1) in den gebrochenen Schriften

2) in den viel späteren Antiquaschriften, wo die Form des Buchstabens erst noch gefunden werden musste. (taucht im 17. Jhdt. aber auch schon in einer reinen Antiqua auf)

Deutsche Texte wurden im 14. und 15. Jhdt. fast aussschließlich in der gotischen Kursive geschrieben und nicht in der Antiqua, die es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab, mit der kann doch gar nicht argumentiert werden.

Und im 14. und 15. Jhdt. wurde das ß doch schon als scharfes Ess am Wortschluß benutzt, das zeigen doch auch die Beispiele.

Nach der zweiten Lautverschiebung, als sprachlich das scharfe Ess entstand und die im 13. Jhdt. weitgehend abgeschlossen war, wurde aus dat -> daz und dann daß.

Ersatzformen für ß wurden erst in der Antiqua gesucht, als im 19. Jhdt. auch einzelne deutsche Texte gedruckt wurden und dort kein einheitlicher Buchstabe zur Verfügung stand. Die Bemühungen von Jakob Grimm sollten auch auf eine eigenständige Graphie hinauslaufen und der spätere Ersatz mit sz war nur ein Notbehelf.

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Rosigg

Hallo Tholan

Es ging doch darum, wann wurde es erstmals als "richtiger" Buchstabe angesehen, oder? Die Verwendung in der Fraktur und davor in der mittelalterlichen Handschrift hatte eindeutig Ligaturcharakter. Dass für die Antiqua lange Zeit kein spezielles ß benötigt wurde, sondern die Kombination von langem s und rund s ausreichte, zeigt m. E., dass ß kein Buchstabe war, sondern Ligatur.

Erst als man ein eigenes graphisches Zeichen in allen Schriftarten benötigte und dessen Verwendung im Duden zuerst einmal überhaupt vorschreiben musste, ist für mich der Zeitpunkt, an dem man überhaupt einen Buchstaben benötigte.

Grimm benötigte das ß vorher, weil er den Unterschied zwischen ss-Schreibungen die auf ein s durch Lautverschiebung zurückgehen und solchen die auf altes germanisches s zurückgehen markieren wollte.

In der Tat gab es eine offizielle (reichs-)deutsche Rechtschreibung erst 1876. Allerdings wurden die Beschlüsse ausgerechent von Preussen, namentlich von Reichskanzler Bismarck abgelehnt. Dieser verbot (!) den Beamten bei Strafe die Verwendung der neuen Orthographie. Eine wirklich einheitliche Regelung der Rechtschreibung erfolgte meines Wissens erst mit den Beschlüssen der Berliner Konferenz von 1901.

P. S. ich habe weder die Geschichte der Fraktur, noch der Antiquaschrift unterschlagen wollen, sondern mich auf die Frage von Designworker konzentriert.

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Tholan

Hallo Rossig,

kann man die Definition, das ß erst dann als richtiger Buchstaben anzusehen, als er in der sehr viel späteren Antiqua auftauchte, mit der zumeist lateinische Texte geschrieben wurden und die kein ß benötigten, als richtig ansehen? Wahrscheinlich sollten wir ersteinmal dies klären?

Bemühungen einzelner Drucker, das längst in den gebrochenen Schriften bestehende ß auch in Gotico-Antiquas und erst recht in reinen Antiquas umzusetzen, gibt es seit den Anfängen der Antiqua. So findet man es schon früh in deutschen Antiquatexten. Das ß ist ein eigener deutscher Buchstabe, dass er in den Schriften anderer Länder nicht vorkommt, ist ja selbstverständlich.

Meiner Meinung nach ist das ß eine Buchstabenligatur oder ein lat. Abkürzungszeichen (ist beides noch nicht abschließend geklärt) das auf die gebrochenen Schriften zurückgeht und hier seit Beginn die Funktion des scharfen Ess hat oder zumindest sehr bald schon etabliert war. Wenn anstelle z nunmehr ß geschrieben wird, kann dann schon von einem eigenen Buchstaben gesprochen werden? Und zudem, wenn es als Druckbuchstabe bereits schon etabliert in den gebrochenen Schriften vorkommt! Wann ist eine Ligatur noch eine reine Ligatur von zwei Buchstaben und hat nicht die Funktion eines Buchstabens. Ich glaube, darüber sollte wir uns einig werden.

Den Zeitpunkt, an dem eine Kommission oder Konferenz dies zum Buchstaben erklärt, verkennt die Geschichte der Buchstaben und vor allem die politische Geschichte der Länder, als dies überhaupt möglich war.

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Tholan

:wink: Ist natürlich möglich, aber wir könnten versuchen, die Ausgangslage zu erörtern und unsere Begriffe zu definieren. Ich glaube zumindest, dass Rosigg in seinem Beispiel von 1356 dem ß die Funktion des scharfen Ess zubilligt, ob es schon als eigener Buchstabe gesehen werden darf (sollte), darum unterhalten wir uns ja gerade.

Aber Du hast ja die Frage gestellt, ist sie beantwortet und vor allem noch von Relevanz?

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Formgebung
Aber Du hast ja die Frage gestellt,

Ich?!? Nee, das war Markus (Designworker) ...

Die Antwort auf die Frage

Welche Kriterien unterscheiden Ligaturen von Buchstaben?

würde ich nun jedoch gerne wissen.

Henning

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Rosigg

Tja

Ich glaube, wir müssen mal definieren, was die Funktion des scharfen S ist.

Das mittelalterliche scharf S, worauf du dich ja in der Altersdiskussion beziehst, hat abgesehen vom Aussehen, wenig mit dem heutigen scharf S gemein. Im Mittelalter gibt es die Unterscheidung von 3 verschiedenen S-Formen: lang s für alle Positionen ausser Wort- und Silbenende, rundes s für Silbenende und langes z oder zz, das durch die 2. Lautverschiebung aus t entstanden war. Die zz Schreibung wurde dann teilweise zu einer sz Schreibung normalisiert und voilà sowas wie ß entstand. Soweit sind wir uns einig. Nachdem ich einige historische Quellen im Original gesehen habe, kann ich sagen, dass die meisten Schreiber im Mittelalter wenig Ahnung von den Grundlagen der Schreibungen hatten. Dass (alte Rechtschreibung daß) habe ich in den meisten mittelalterlichen Texten als daz geschrieben gesehen, kein scharfes S, dafür findet sich häufig vermechtniß oder unß (scharfes S?)

Das Druckhandwerk vereinheitlichte die Verwendungsregeln der sz-Ligatur. Die Unterscheidung zwischen lang s und lang z wurde mit der Zeit fallengelassen. Die Verwendung der Ligatur ß wurde reglementiert auf den bekannten Fall: wenn zwei ss aneinanderstossen, wobei das letztere an der Silben oder Wortgrenze steht wird ß geschrieben.

Das ganze mischen wir jetzt mit der oben angedeuteten etymologisch motivierten Schreibung und erhalten Chaos. Insbesondere auch deshalb weil einige Schreiber zwischen Lang-S-Z-Ligatur und Lang-S-Rund-S-Ligatur unterscheiden wollten. Wie gesagt "amtliche" Einführung der Schrifttype erst 1901. Dass sie zuvor schon verbreitet war, lässt sich nicht bestreiten. Ob ihr Graphemwert zukommt, wird auch heute noch diskutiert. Guck mal in die reiche Literatur rund um die Rechtschreibreform. In dieser Frage sind sich übrigens weder Gegner noch Befürworter der Reform untereinander einig. Dies war jedenfalls mein Eindruck.

Ich schlage mal folgenden Kompromiss vor: Die Form ist prinzipiell seit dem Mittelalter bekannt. Die Funktion im Mittelalter ist teilweise gleich wie heute, teilweise nicht. In der Zeit bis ins 19. Jh. war der Einsatz nicht obligatorisch. Seit 1901 ist die Verwendung der Glyphe vorgeschrieben. Seit dem 19. Jahrhunder wohl zunehmend als [it]ein[/it] Buchstabe wahrgenommen. Davor bleibt es unklar.

Gruss

Roman

Der von Hause aus Linguist und Historiker ist und das Mittelalter liebt.

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Niklaus

Lieber Roman,

Deine Beiträge lese ich sehr gerne. Sie machen deutlich, wo die Grenze zwischen Fachmann und halbinformiertem ‹Kenner› liegt.

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Markus Wäger
..., sondern mich auf die Frage von Designworker konzentriert.

Und ich bedanke mich dafür.

Liebe Grüße. Markus.

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Markus Wäger
Deine Beiträge lese ich sehr gerne. Sie machen deutlich, wo die Grenze zwischen Fachmann und halbinformiertem ‹Kenner› liegt.

Ich bin neugierig: Auf welcher Seite der Grenze würdest du Roman sehen.

Schöne Grüße vom nichtauskennenden Markus.

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