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The Mess Age

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Lars Kähler

Ist das die „message“, also die Botschaft unserer Zeit, dass wir in einem „mess age“, einem Zeitalter des typografischen Mülls, leben? Sowohl Luc Devroye als auch Hans Reichardt wie ebenso meine Wenigkeit sind der Meinung, dass ein Großteil der heute und früher verfügbaren Schriften schlichter Schrott sind. Diese Entwicklung hat sich in den 80ern und 90ern entscheidend verschärft.

Bei der Arbeit am „Digitalen Seemann“ habe ich mit Schrecken feststellen müssen, dass dies jedoch bereits in den 20er und 30er Jahren auch vorkam. Es ist gelinde gesagt erstaunlich, wie viele Duplikate es bereits im Bleisatz gegeben hat – seinerzeit sprach man von „bildgleichen“ Schriften. Das jedoch ist nicht anderes als Schriften- bzw. Ideenklau unter den Herstellern. Dazu kommen unzählige Nachahmungen und Variationen. Im Fotosatz hatte dann jeder Anbieter schon aus rein technischen Gründen seine eigene Helvetica, Bodoni und Garamond, da die Systeme untereinander nicht kompatibel waren. Viele davon haben sich auch ins PostScript-Zeitalter hinübergerettet.

Ich werfe diese Frage deshalb auf, weil ich derzeit überlege, in die Datenbank einen Zeitschnitt einzuführen, also eine Art Erscheinungsdatum, nach dem die DB quasi nicht mehr zuständig ist für all das, was danach entstanden sein mag und noch entsteht. Das könnten ja dann myfonts.com und Konsorten übernehmen.

Zwei Vorschläge stehen zur Diskussion:

1980 (Luc) – damit wäre der Müll der letzten 25 Jahre verschwunden, aber auch viele interessante Neuentwicklungen.

2000 (Lars) – das würde die Gesamtheit der Schriften des 20. Jahrhunderts umfassen, aber auch viel Schrott beinhalten.

Luc schrieb mir etwas von einem „minimal quality or historical importance test“, den die Schriften in der Sammlung durchlaufen sollten. Das aber bringt eine Willkür bzw. individuelle Sichtweise ins Spiel, die sich für einen archivarischen Ansatz eher verbietet.

Wie ist Eure Meinung dazu?

Lars

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Bleisetzer

Die historische Entwicklung im Markt der digitalisierten vollzieht sich selbstverständlich genau wie in der allgemeinen kapitalistischen Marktwirtschaft.

Auf der einen Seite wird ein Massenmarkt geschaffen:

"Kaufen Sie XYZ und werden Sie Ihr eigener Gestalter."

Auf der anderen Seite führen die relativ billigen Software-Produkte zu einem Preisverfall beim Produkt, hier der digitalisierten Schrift.

Beides sind Marktmechanismen, die durchaus gewollt und auch gefördert werden.

Die Folge:

Nachdem zunächst der Massenmarkt geschaffen wurde, versuchen sich immer mehr Anbieter in diesem zu etablieren. Und es gelingt ihnen zunächst auch, denn die Nachfrage ist durchaus groß genug.

In der nächsten Phase kommt es dann zu einer Konsolidierung des Marktes. Bedeutet: In einem durchaus sozial-darwinistischen Ausleseverfahren etablieren sich Marktführer, die aufgrund des investierten Kapitals und einem Zusammenlegen von Know How den Anbietern, die über keine Investitionsmöglichkeiten verfügen, überlegen sind und diese mittelfristig entweder komplett aus dem Markt drücken oder sie übernehmen. Einzelne dieser kleineren Anbieter können sich dennoch behaupten, sofern es ihnen gelingt, eine Nische innerhalb des Gesamtmarktes zu besetzen. Diese Nischen sind für die Etablierten nicht interessant, da sie den Großteil ihres Profits im Hauptmarkt generieren, den sie mittlerweile auch dominieren.

Nach dieser Konsolidierung des Marktes stagniert die Entwicklung - es gibt keine Bewegung, keine größere Veränderung mehr. Nun kommt die Zeit der Oligarchie: Eine Minderheit der Anbieter teilt den Markt unter sich auf, ähnlich, wie wir das in Deutschland im Mobilfunk-Markt sehen, wo es nur vier Anbieter gibt. Kennzeichen eines solchen Marktes: Es wird oftmals ein Schein-Wettbewerb geführt. Dennoch ist offensichtlich, daß Preis-/Leistungsverhältnisse vergleichbar zu bewerten sind.

Stagnation ist immer Rückschritt.

Ein Aufbrechen dieses Zustandes kann nur gelingen durch ein Besinnen und Fordern von Qualität und vor allem Innovation. Zwar werden beide Kriterien vom reinen Massenmarkt nicht angenommen, ja, ignoriert, da diesen Käuferschichten oftmals die Kompetenz fehlt, um Qualität und Inovation überhaupt zu erkennen. Aber es bilden sich mit der Zeit Parallel-Märkte: Hier Massenmarkt, dort ein Markt mit professionellen Anforderungen an die Produkte. Diese Trennung wirkt sich natürlich auch auf das Preisgefüge aus.

Fazit:

Lamentiert nicht über eine Proletarisierung des Massenmarktes mit ständig sich verschlechternder Qualität der Produkte, sondern geht bewußt weiter Euren Weg in der Professionalität und vor allem: Sucht Euch Eure Nische. Dort seid Ihr auch für Eure großen Konkurrenten unangreifbar.

Georg

PS: Laßt Euch von niemandem erzählen, es hieße "Wettbewerber" und nicht "Konkurrenten", zweiteres wäre zu aggressiv formuliert. Wenn Ihr Euch durchsetzen wollt, dann seid Ihr klug beraten, zu verstehen, daß Ihr im Existenzkampf steht. Ihr kämpft um Eure Existenz und spielt nicht Volleyball gegen Eure Konkurrenten.

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Norbert P

Ich wäre eher für einen Schnit nach 1980. Die Zeit von Carter und Brody fiele dann irgendwie raus, fände ich schade. Wären davon nicht auch die Meta und andere moderne Klassiker betroffen?

Ein Vorschlag für den Quality Test: Mindestens drei nennenswerte gedruckte und/oder publizierte (z.B. Schilder im öffentlichen Raum) Beispiele pro Schrift (ich würde ganz bewusst "normale" Logos und eine Verwendung im Web nicht zählen wollen). Ist ein Haufen Arbeit, aber ließe sich wohl nicht vermeiden ...

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RobertMichael

vergiss doch die schriften die nicht zu erwerben sind/waren, also nur kommerziell genutze schriften, somit fallen diese ganzen schrecklichen freefonts raus. (von den 10 % guten freefonts mal abgesehen) ich wöllte in einer datenbank nicht auf die jahre ab 1980 verzichten wollen. aber es kommt auch drauf an was du mit der db erreichen willst.

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GRIOT

Ich würde es schade finden, wenn ein solcher Zeitschnitt eingeführt werden würde. Schließlich entstanden und entstehen sie jederzeit und werden auch in Zukunft immer entstehen: gute Schriften.

Interessant finde ich auch eine andere Frage: waren denn die Originale immer auch die besten Varianten einer Schrift? Oder waren Kopien nicht manchmal vielleicht auch besser? Schließlich konnte man damals nicht einfach den Code kopieren, sondern mußte die Schriften wirklich nachbauen und selber neu zurichten...

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Herr Sharif
... Das aber bringt eine Willkür bzw. individuelle Sichtweise ins Spiel, die sich für einen archivarischen Ansatz eher verbietet.

Du hast dir die Antwort schon selber gegeben.

Zumal ja auch die Häufung von "schlechten" Schriften ein Spiegel der ästhetischen und technischen Entwicklung ist und von einem Archiv berücksichtig werden müßte.

Ich würde auf die Free-Fonts verzichten. Obwohl es auch da schöne Beispiele gibt. Schwierig.

Gruß, Sharif

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Poms

Wie du selbst sagst, früher gab es auch "Schriftenschrott und Schriftenklone", darum würde ein Zeitschnitt bei der "Objektivierung" nicht helfen, eher das Gegenteil bewirken.

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das würde die Gesamtheit der Schriften des 20. Jahrhunderts umfassen, aber auch viel Schrott beinhalten.

Zumal ich die Definition von »Schrottschriften« für schwierig halte. Eine wilde 90er-Jahre-Fontographer-Grunge-Schrift hatte in ihrem Einsatzbereich – etwa einen Musik-Magazin – absolute Berechtigung als Element des Zeitgeistes.

Ein Schnitt um 1980 entbehrt für mich jeglicher Grundlage. Das bereits angesprochene herauslassen von Freefonts halte ich aber für sinnvoll.

Ralf

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Sebastian Nagel

Wie wäre es, die Freefonts wegzulassen, dann aber in begründeten Ausnahmefällen zu erlauben? Das Kriterium "Schrift kostet nichts, ist also potentiell schlecht" stimmt vielleicht für die meisten Freefonts, es gibt aber auch Perlen, die aus welchen Gründen auch immer frei verfügbar sind, und die nicht ausgeschlossen werden sollten, nur weil sie verschenkt werden.

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hey
Wie wäre es, die Freefonts wegzulassen, dann aber in begründeten Ausnahmefällen zu erlauben? Das Kriterium "Schrift kostet nichts, ist also potentiell schlecht" stimmt vielleicht für die meisten Freefonts, es gibt aber auch Perlen, die aus welchen Gründen auch immer frei verfügbar sind, und die nicht ausgeschlossen werden sollten, nur weil sie verschenkt werden.

Ich glaube »Perle« allein hilft nicht, ein gutes Archiv sollte auch die oft eingesetzten Freefonts auflisten, das sind ja leider nicht unbedingt die selben. Ich nehme an, Du denkst bei Perlen an so etwas wie die Baskerville Old Face? Die ist schöner, ohne Frage, aber Neuropolitical seh ich an jeder Ecke (und hier wird sie ja auch öfter gesucht). Im übrigen würde ich die Datenbank auch ohne willkürlichen Schnitt bevorzugen. Die genannten Datenbanken wie Myfonts haben ja der unterschiedlichen Verkaufspolitik der Foundries wegen nie alle Schriften im Angebot.

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Lars Kähler

Vielen Dank erst mal für die vielen Antworten. Wie so oft in der abendländischen Dialektik gibt es ein Für und Wider, das sorgfältig erwogen werden will. Tendenziell scheint eine Mehrheit von Euch gegen diesen Zeitschnitt zu sein, schon gar nicht schon bei 1980.

Freefonts würde ich nicht grundsätzlich ausschließen wollen, zumal ja das Konzept seinerseits auch non-kommerziell ausgerichtet ist. Nur sehe ich mich eher wenig bemüßigt, denen hinterher zu jagen, das wäre eine echte Sisyphusarbeit. Stattdessen dachte ich an eine Möglichkeit, von außen neue Einträge vorzunehmen, ganz im Sinne von Open Content – wobei die bisherige Samlung allerdings gegen Änderungen gesperrt bleiben wird. Ob so etwas angenommen werden wird?

Lars

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Norbert P

Als User hätte ich gar nicht den Anspruch an so eine Datenbank, dass - zack! - alles ab dem ersten Tag da ist. Die klassischen/kommerziellen Fonts, ja, sicher. Aber gerade bei den Freefonts wäre eine Datenbank mit OpenContent wohl die einzige Möglichkeit, dass es hier überhaupt mal so was wie einen Überblick gibt. Selbst der akribischste Sammler wird nicht alle Quellen im Netz (und anderswo) kennen.

Und die bestehenden, "geprüften" Artikel gegen Zugriffe zu schützen finde ich sehr vernünftig, das ist es ja gerade, was mich an Wiki so stört.

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