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LRS/Legasthenie und Bleisatz als Zugang zur Schriftsprache

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Martin Z. Schröder

Die Druckerei als Ort des Lernens, der Bleisatz und der Buchdruck als Technologie, die das Schulehalten unterstützt, dieses Konzept ist in den 1920er Jahren von Célestin Freinet entwickelt worden. Schuldruckereien gab und gibt es, aber sie wurden seltener in dem Maße, wie die technischen Mittel allmählich weniger wurden.

Ein noch nicht so altes Phänomen wie der Buchdruck ist die Legasthenie, später LRS genannt (Lese-Rechtschreibschwäche, -störung, -schwierigkeiten). In den 1970er Jahren enstand dieses Konzept zur Beschreibung von mangelhaftem Schriftspracherwerb. Von Anfang an wurde es kritisiert als psychologische Erfindung. Aber alle profitieren davon, wenn man ein eher pädagogisches und didaktisches  Problem pathologisiert: Heute bekommen Kinder mit LRS-Bescheinigung in vielen Bundesländern mehr Zeit für schriftliche Tests und bessere Noten als Kinder, die gleiche Fehler ohne Attest machen. Deshalb sind sowohl Eltern als auch Lehrer durchaus interessiert an der Attestierung eines Problems, das außerhalb ihrer Verantwortung zu liegen scheint. Zur »Therapie« haben sich nicht nur Therapeuten und Psychologen und Nachhilfelehrer in Stellung gebracht, ganze Berufsverände haben sich zusammengeschlossen, um LRS als psychologisches Problem fest zu installieren. Die Honorare für LRS-»Therapie« liegen nämlich deutlich über den mageren Erträgen, die man mit profaner Nachhilfe erzielen kann.

Aus meiner Erfahrung mit Arbeitsgemeinschaften und Workshops mit Kindern ist die Idee des Einsatzes der Buchdrucktechnik, also vor allem natürlich des Handsatzes, für Kinder mit LRS entstanden. Das Konzept findet sich in diesem PDF.

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Þorsten

Ich finde deine Arbeit – hier wie auch allgemein – toll. Aber den zweiten Absatz deines obigen Beitrags verstehe ich nicht so ganz. Willst du etwa einer von denen sein, die an der Therapie eines »erfundenen Phänomens« verdienen? :neenee:

 

Es gibt Kinder, die lesen und schreiben später/langsamer/schlechter als andere. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass man durch eigene Erfahrung – wenn man die Lerninhalte im wahrsten Sinne des Wortes begreifen kann  – besser lernen kann. Du bietet da was tolles an. Ich vermute, dass dein Angebot besser ’rüber kommen würde, wenn du den ideologischen Ballast um LRS einfach weg ließest. :-?

 

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Martin Z. Schröder

Danke für den Hinweis. In dem PDF sind die Kosten aufgeführt. Sie orientieren sich eher an den üblichen Preisen für Nachhilfe als an jenen für Therapie und liegen auch noch deutlich unter dem Stundensatz für Handwerkerleistung in meiner Werkstatt. Ich meine, daß es zur offenen Darstellung eines Angebotes gehört, die gedanklichen Grundlagen zu erwähnen. Ich habe es hier etwas freimütiger gemacht als im Konzeptpapier, aus dem allerdings auch hervorgehen dürfte, daß ich an Legasthenie oder LRS nicht glaube, sondern die Ursachen des Problems, daß 4 bis 15 Prozent (so die großzügigen Schätzungen der LRS-Experten) der Schüler erhebliche Schwierigkeiten mit dem Schriftspracherwerb haben, woanders sehe als in den Genen oder der Psyche, nämlich in der Art der Beschulung (Zeitpunkt, Lehrmaterial, Didaktik). Ich glaube, daß es für Eltern eine wichtige Information ist, wie das Problem und auch das Kind gesehen wird.

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Hans Schumacher

Das ist ein schöner Ansatz – als Vater weckt so etwas sofort meine Neugierde. Letztes Wochenende durfte ich Zeuge der normativen Kraft der Werkstatt werden, als unser Sohn beim Vintage Computing Festival in der Lötecke einen »Pentabug« zusammengebaut hat – und Probleme konnten dank kundiger Anleitung geklärt werden, ich hab mit jeder Lötstelle mitgefiebert. Ursprünglich wollten wir das zu Hause versuchen, aber mir waren dann Zweifel gekommen, nachdem ich den erworbenen Bausatz und das dazugehörige Video angeschaut hatte.

 

Vielleicht kannst Du das Projekt ja auch an Schulen bekannt machen, in deiner Umgebung wäre da z.B. die Grundschule an der Marie, da wird »Kunst« meines Wissens nicht nur als Bastelstunde begriffen.

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109

 

vor 16 Stunden schrieb Martin Z. Schröder:

... daß ich an Legasthenie oder LRS nicht glaube, sondern die Ursachen des Problems, daß 4 bis 15 Prozent (so die großzügigen Schätzungen der LRS-Experten) der Schüler erhebliche Schwierigkeiten mit dem Schriftspracherwerb haben, woanders sehe als in den Genen oder der Psyche, nämlich in der Art der Beschulung (Zeitpunkt, Lehrmaterial, Didaktik). ...

Warum sollten ausgerechnet die Hirnfunktionen und Hirnareale, die zum Lesen und Schreiben notwendig sind, kategorisch von Störungen und Erkrankungen ausgeschlossen sein?

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catfonts

Auch ich sehr das etwas anders als schlicht ein Ergebnis fehlerhafter Didaktik, Das kommt mir vor, wie die lange ebenso abgestrittene Anders sein von Linkshändern oder gar Homosexuellen, als man meinte, das könne man ebenso durch gezielte Erziehungsmaßnahmen "heilen".

 

Ich hatte so einen Fall unter den Fachhochschul-Kollegen. Ein Sohn eines FH-Hausmeisters war eigentlich ein ausfesprochebn aufgewecktes und pfiffiges Kerlchen, mit außer bei Deutsch recht guten Noten. Aber er hatte gewaltig das Problem, gespiegelte Glyphen als andere Buchstaben zu erkennen. b und d sowie p und q waren für ihn schlicht die gleichen Zeichen und ein s malte er schon mal wie ein Fragezeichen.

 

Ich glaube ehrlich nicht, dass diesem Jungen da der Umgang mit Lettern sehr geholfen hätte. Die meisten Buchstaben hätte er dann vielleicht sogar leichter als wir anderen erkennen können, nur seine Problemfälle treten da dann auch noch gespiegelt auf.

 

Beim Lesen hat er sich zu helfen gewusst, indem er eben das ganze Wort zu erkennen lernte, beim Schreiden in Druckschrift rutschten ihm aber immer wieder die falschen Buchstaden hinein.

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Martin Z. Schröder
vor 5 Stunden schrieb 109:

 

Warum sollten ausgerechnet die Hirnfunktionen und Hirnareale, die zum Lesen und Schreiben notwendig sind, kategorisch von Störungen und Erkrankungen ausgeschlossen sein?

Das habe ich nicht gesagt. Nur gibt es für Legasthenie oder LRS keinen Beweis. Es gibt nicht einmal eine allgemein anerkannte Methode der Diagnose und dementsprechend auch keine Definition, der alle zustimmen. Die einen diagnostizieren so, die andern so. Die einen sagen, LRS wäre Schlechtrechtschreiben/-lesen bei normalem IQ, die andern haben Alterstabellen. Die Gegenmaßnahmen helfen aber allen gleich, ob nun LRS diagnostiziert wurde oder nicht. Hier sind einige Kritikpunkte aufgezählt. Es gibt ein schönes Büchlein mit dem Titel »Legasthenie gibt es nicht ... Was nun?« mit einer Sammlung kritischer Beiträge, erschienen 1977. Seither haben sich die Diagnosen nicht entwickelt, nur die Zahlen betroffener Schüler sind deutlich angestiegen. In neuerer didaktischer und kritischer Literatur wird auf diese alten Kritikpunkte verwiesen. Brügelmann und Brinkmann haben nach ihren Untersuchungen in den 90er Jahren alle Fibeln bis auf eine für untauglich erklärt, um damit Lesen zu lernen. Und selbst neue Methoden entwickelt (Stichworte Anlauttabelle und Ideen-Kiste Schriftsprache). Das ist alles ausführlich begründet, aber zu lang, um es hier darzustellen. (Literatur: Die Schrift erfinden, 1998. Es gibt auch andere Bücher von den beiden.) Die Auffassung, daß es LRS nicht gibt, wird auch von vielen Grundschullehrern geteilt, die Schriftsprache in einem offeneren Unterricht vermitteln und dabei sowohl visuell als auch akustisch orientierten Kindern keine Hürden durch Beschränkung auf nur eine Methode aufbauen. Ich kenne eine Lehrerin, die sagt, sie habe keine LRS-Schüler. Und sie meint damit nicht, daß sie Schüler mit mangelhaften Fähigkeiten einfach nicht beachtet, sondern sie meint, daß die Probleme bei ihren Schülern nicht auftreten. Die lernen es eben. Sie unterrichtet auch nach Methoden von Brügelmann und Brinkmann. Es spricht alles dafür, daß es sich um ein pädagogisches Problem handelt, kein psychologisches und kein physisches. Daß es selten vorkommende physiologische Ursachen für Schwierigkeiten mit der Schriftsprache gibt, bestreitet meines Wissens niemand. Nur bei heute bis zu 15% der Schüler kann das nicht sein, während andere in der Praxis das Problem bei 0% sehen.

 

Ich finde es durchaus wichtig, daß man das Konzept enttarnt. Nicht der Schüler ist defizitär, sondern die Schule ist nicht kindgerecht.

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Martin Z. Schröder
vor 45 Minuten schrieb catfonts:

Auch ich sehr das etwas anders als schlicht ein Ergebnis fehlerhafter Didaktik, Das kommt mir vor, wie die lange ebenso abgestrittene Anders sein von Linkshändern oder gar Homosexuellen, als man meinte, das könne man ebenso durch gezielte Erziehungsmaßnahmen "heilen".

 

Ich hatte so einen Fall unter den Fachhochschul-Kollegen. Ein Sohn eines FH-Hausmeisters war eigentlich ein ausfesprochebn aufgewecktes und pfiffiges Kerlchen, mit außer bei Deutsch recht guten Noten. Aber er hatte gewaltig das Problem, gespiegelte Glyphen als andere Buchstaben zu erkennen. b und d sowie p und q waren für ihn schlicht die gleichen Zeichen und ein s malte er schon mal wie ein Fragezeichen.

 

Ich glaube ehrlich nicht, dass diesem Jungen da der Umgang mit Lettern sehr geholfen hätte. Die meisten Buchstaben hätte er dann vielleicht sogar leichter als wir anderen erkennen können, nur seine Problemfälle treten da dann auch noch gespiegelt auf.

 

Beim Lesen hat er sich zu helfen gewusst, indem er eben das ganze Wort zu erkennen lernte, beim Schreiden in Druckschrift rutschten ihm aber immer wieder die falschen Buchstaden hinein.

Gerade das Konzept LRS erkennt einen Mangel, ein Defizit beim Kind, das mit Medikamenten, heilpraktischen Methoden, Psychoanalyse und dergleichen »behandelt« werden soll, während in Generalstudien festgestellt wurde, daß nur eine Methode das Problem lösen kann: Üben. Und davon profitieren alle, also sowohl die mit Diagnose als auch die ohne. Also wer an Legasthenie und ihre Therapie glaubt, glaubt vielleicht auch an die Therapie sexueller Orientierung, so wird ein Schuh draus. In meinem Konzept habe ich kurz etwas zum kindlichen Lernen ausgeführt. Ich sage ja gerade, daß es normal ist, daß nicht alle Kinder alles gleich gut können und daß man es nicht pathologisieren darf, sondern es eben allenfalls und »nur« ein pädagogisches und didaktisches Problem ist. Also eines, das eben nicht im Kind liegt, sondern darin, wie man dem Kind die Schriftsprache anträgt. Unterschiedliche Kinder – unterschiedliche Methoden.

 

Das Problem mit der Spiegelung beim Schreiben ist ein verbreitetes bei Schulanfängern. Kennt jeder, der mit Kindern zu tun hat. Gerrit Noordzij weist in seinem schönen Essay »Das Kind und die Schrift« explizit darauf hin und beschreibt die Abhilfe. Gerade dieser Fall ist einer, der falsche Didaktik vermuten läßt. Mit LRS/Legasthenie hat das nichts zu tun.

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Martin Z. Schröder

Zur Spiegelung von Buchstaben: mit dieser gerade aufgefrischten Maschine werden künftig auch Kinder drucken. Mal sehen, wem dann der Angelhaken auf dem Firmenschild auffällt:

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