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Schriftmuster Tannenberg

Empfohlene Beiträge

Martin Z. Schröder

 

(...) eine überzeugende Erklärung, die ohne historisch-assoziatives Hineininterpretieren entsteht, vermisse ich weiterhin. 

  • Warum bedeutet »gerade« gleich »millitärisch«? Wie lässt sich das formal-gestalterisch erklären?
  • Was macht gebrochene Schriften, die seit über 800 im Einsatz sind, plötzlich »teutonisch«? Wie lässt sich das formal-gestalterisch erklären?

 

 

Mir ist es ein Rätsel, wie diese Fragen von einem Fachmann gestellt werden können. Es muß eine Theorie von inhaltsfreier Form dahinter stecken, die mir unbekannt ist. Jede Form, ausnahmslos jede Form trägt einen Inhalt. Eine inhaltsleere Form ist nicht denkbar.

 

Nehmen wir an, mir werden diese beiden Fragen im Unterricht von Schülern oder Studenten gestellt. Nein, nicht Studenten. Wenn mir Studenten solche Fragen stellten, würde ich ihnen eine Literaturliste aufstellen, weil ihnen Grundlagen fehlen. Kinder dürfen aber jede Frage stellen.

 

Unter Form verstehen wir die Erscheinung, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. In der Natur ist die Form gegeben. Auch wir selbst sind Wesen der Natur. Wir sind geformt durch unser Leben. Unser Körper bildet sich danach, wie wir leben. Wer jeden Tag auf Bäume klettert, bekommt muskulöse Glieder. Wir verändern diese Erscheinungsform auch willentlich. Viele von uns lassen vom Kieferorthopäden das Kauwerkzeug richten, damit es gut funktioniert und unserer Vorstellung von gutem Aussehen näherkommt. Wir sagen dem Friseur, wie er uns die Haare schneiden soll, weil wir damit etwas zum Ausdruck bringen. Wir entwickeln einen Sinn für Stil. Wer es praktisch mag, läßt sich die Haare ganz kurz schneiden. Wer nicht auffallen möchte, nimmt den Haarschnitt der gegenwärtigen Mode. Wer auffallen will, betreibt größeren Aufwand, vielleicht mit Farbe. Abgeschlossen wird unser Erscheinungsbild durch unsere Kleidung. Wir wollen nicht nur nicht frieren, wir bringen etwas zum Ausdruck. Wenn es uns egal ist, was wir anziehen, bringen wir auch das mit unserer Kleidung zum Ausdruck, ob wir wollen oder nicht. Jede Form, die wir uns geben, beruht auf einer Entscheidung.

 

Nun bauen wir ein Haus. Vier Wände und ein Dach? Das ist klingt simpel, aber es ist schon eine ganze Reihe von Entscheidungen nötig. Das Haus kann auch drei oder fünf Wände haben oder nur eine, wenn es rund ist. Wo bauen wir die Fenster hin? Soll das Dach flach, schräg, spitz aussehen oder aus lauter Türmchen bestehen wie eine Kleckerburg aus Sand?

 

Dort steht ein Schloß. Es hat ein gewaltiges, reich verziertes Portal, einen Innenhof, Arkaden, Galerien, Türme. Es ist riesig, es soll mächtig wirken, groß und reich, damit wir merken, daß wir klein sind und arm und uns unterordnen müssen, dem, der dort wohnt. Er hat das Geld und die Macht, uns mit seinem Wohnen einen Unterschied zu zeigen. Er zeigt ihn also durch eine Form.

 

Dort steht eine Kaserne. Sie ist lang und rechteckig. Alle Fenster sind gleich, alle Tore und Türen sind in gleichen Abständen eingefügt. Es ist ein Kasten für Soldaten, die in Uniformen stecken. Alle sollen so gleich wie möglich aussehen, nur kleine Rangabzeichen zeigen große Unterschiede. Je mehr Verzierungen eine Uniform hat, desto weniger Menschen tragen sie. Wer am reichsten verziert ist, ist der Oberste, der General. Nur dieser eine trägt rote Streifen an der Hose und geflochtene goldene Verzierungen auf den Schultern. Er wohnt auch nicht in der Kaserne, sondern in einem eigenen Haus. Wenn er die Soldaten nicht hätte, würde er fast drollig aussehen, wie in einem stark verzierten Kostüm. Aber er befiehlt die Soldaten. Sie geben ihm die Macht, und ihre Form beeindruckt uns. Was ist eine soldatische Form? Es ist die Form der unbedingten Ordnung. Einer soll dem anderen so ähnlich wie nur irgend möglich aussehen. Die Dicken werden aussortiert, die zu kleinen und die zu großen. Alle tragen die gleiche Frisur, die gleichen Jacken, Hosen und Stiefel, ganz egal, wie das Wetter ist. Wenn sie irgendwohin gehen, tun sie das in einem Block und im gleichen Schritt, dafür üben sie sehr viel, das sogenannte Exerzieren.

 

Hier nun sehen wir zwei Schriften. Die eine heißt Trump-Deutsch fett, die andere Tannenberg fett. Wir nehmen noch eine dritte hinzu, sie heißt Fleischmann-Gotisch. Letztere wurde Mitte des 18. Jahrhunderts gezeichnet, sie hat viele Verzierungen. Die ersten beiden aus den 1930er Jahren haben diese Verzierungen abgelegt. Sie sollten moderner wirken. Schauen wir, wie sie gemacht sind. Die Trump-Deutsch wirkt lebendig, obwohl sie keine Häkchen mehr hat und keine Füße angesetzt sind und viele der feinen Zierlinien wie in der Fleischmann-Gotisch verschwunden sind. Sie wirkt wie flott mit der Feder geschrieben, hat viele verschiedene Bewegungen bekommen. Nicht eine einzige Linie ist ganz und gar gerade. Trotzdem wirkt sie einfach. Und nun die Tannenberg. Diese hat nur ganz gerade Linien, wir finden nicht einen einzigen Bogen. Wenn wir Unterschiede in der Dicke der Linien finden wollen, müssen wir sehr suchen. Dort, im kleinen e, und hier, im k. Wie kommt der rechte Winkel in das große D? Wirkt sie wie flott geschrieben, vereinfacht? Oder ist sie mit großer Genauigkeit und mit einem Lineal gezeichnet? Eine Schrift, die ohne Bogen auskommt, keine einzige Rundung zeigt. Dabei setzt sie immer schräg an, die Breitfeder soll zu sehen sein. Aber sie ist immer nur in geraden Linien gezogen worden. Wenn man mit einer Breitfeder schreibt, dann drückt man immer unterschiedlich stark auf, man setzt mit etwas Druck an, wird schneller und dabei leichter und am Ende des Striches langsamer. Dadurch sind die Linien etwas durchgebogen, so wie in der Trump-Deutsch. Das gibt ihr ein Bild, als sei sie rasch geschrieben worden. Die Fleischmann-Gotisch zeigt solche Bewegungen nicht, sie ist auch ganz gerade. Aber sie hat Rundungen und Verzierungen bekommen, damit sie durch die steifen Linien nicht langweilig wird. Wenn man diese Verzierungen wegläßt und etwas modernes und flottes machen möchte wie Georg Trump mit seiner Schrift, wird der kalligrafische Zug besser nicht versteckt. Kalligrafie? Das bedeutet Schönschreiben. In der Tannenberg ist keine Kalligrafie zu sehen, sondern das Reißbrett, also ein Arbeitsgerät für technische Zeichnungen.

 

Warum ist die Tannenberg so eckig und gerade? Erinnern wir uns an die Soldaten. Sie sollen so gleich wie möglich aussehen. Auch die Buchstaben der Tannenberg wurden diesem Willen unterworfen. Sie sehen nur so unterschiedlich aus, daß ihr Laut noch erkennbar ist. Sie dürfen keine Besonderheiten haben außer denen ihres Skeletts, der Natur, die sie mitgebracht haben und die begradigt wurde. Als diese Schrift gezeichnet wurde, entsprach das dem Willen derer, die die politische Macht hatten. Sie betonten das Gleiche, wenn sie von Volk, Nation und Rasse sprachen. Alles, was ihrem Ideal von Form nicht entsprach, wollten sie aussortieren. Sie zeichneten sogar Bilder von Menschen, die nach ihrem Ideal falsch aussahen und aussortiert werden mußten. Sie versuchten, Menschen zu züchten, die ihrem Ideal nahekamen. Dieser »Rassenhygiene« ist auch die Tannenberg angepaßt worden, sie galt in ihrer Herkunft als deutsch, auch wenn das nicht stimmt, und sie wurde in der denkbar strengsten Art begradigt, wie es von den Machthabern der damaligen Zeit verlangt wurde.

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Martin Z. Schröder

Ich war zwar noch nicht fertig, aber die Drohung der Strangschließung ließ mich den Text abbrechen. Bevor ich mit der Schließung der Diskussion überrascht werde, ziehe ich mich aus ihr zurück. Ich kann Ralf durchaus verstehen. Ich halte dieses ständige abschweifende Rekurrieren auch für anstrengend, aber ich möchte mir nicht das Wort abschneiden lassen. Ich äußerte ja schon, daß diese Auseinandersetzung sich in längeren Ausführungen und anderen Medien, also auch stärker kontrolliert, besser führen ließe als in einem Forum.

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Thomas Kunz

Martin, ich denke Ralfs Strangschließungsandrohung bezog sich auf die Diskussion zur Nazi-Täter/-Mittäterschaft. Das, was du schreibst, ist ja durchaus auf die Typografie bezogen und sollte auf jeden Fall gesagt werden dürfen.
 
Zur Veranschaulichung habe ich mal die drei von dir genannten Schriften abgebildet:
 
Fleischmann-Trump-Tannenberg.png

bearbeitet von Thomas Kunz
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Phoibos

Martin, vielen Dank für Deine Ausführungen, die ich als sehr nachvollziebar empfand!

In der Tannenberg ist keine Kalligrafie zu sehen, sondern das Reißbrett, also ein Arbeitsgerät für technische Zeichnungen.

Oja, dass kann ich sofort bestätigen, meine ersten Versuche, freihändig ein wenig "gebrochener" zu schreiben, führten genau zu solchen konstruierten Buchstaben.

 

 

Sie sehen nur so unterschiedlich aus, daß ihr Laut noch erkennbar ist. Sie dürfen keine Besonderheiten haben außer denen ihres Skeletts, der Natur, die sie mitgebracht haben und die begradigt wurde. Als diese Schrift gezeichnet wurde, entsprach das dem Willen derer, die die politische Macht hatten. Sie betonten das Gleiche, wenn sie von Volk, Nation und Rasse sprachen. Alles, was ihrem Ideal von Form nicht entsprach, wollten sie aussortieren. [...] Sie versuchten, Menschen zu züchten, die ihrem Ideal nahekamen. Dieser »Rassenhygiene« ist auch die Tannenberg angepaßt worden, sie galt in ihrer Herkunft als deutsch, auch wenn das nicht stimmt, und sie wurde in der denkbar strengsten Art begradigt, wie es von den Machthabern der damaligen Zeit verlangt wurde.

Das ist jedoch eine Menge Spekulation und Assoziation. Und nicht ganz richtig, denn die Form des Züchtens, des Sortierens, des Gleichmachens ist älter als der Nationalsozialismus, der sich zweifellos dieses Instrumentes bediente, es aber nicht erfand. Dazu empfehle ich die Lektüre, zumindest das Durchblättern von Überwachen und Strafen von Michel Foucault. Dieses Normieren, Ausrichten, Kontrollieren konstituiert unseres bürgerlichen Systems, heute perfekter denn je, siehe Deleuzes Postscriptum auf die Kontrollgesellschaft

Dass Formen Inhalte transportieren, ist nicht zu widerlegen. Jedoch ist der Inhalt fluide, er wird vom Former wie vom Betrachter jeweils neu assoziiert. Nur weil ich die dorische Form der Säulen lieber hab als die korinthische oder gar römische, heisst das noch lange nicht, dass ich auch ein Befürworter des spartanischen Systems bin. Mein Hang zur Schlichtheit mag vielleicht erklären, dass ich die linksintellektuelle Sicht auf unser heutiges System bevorzuge, doch erklärt es mich nicht zum Mitglied des Schwarzen Blockes.

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Plaeus

Hallo Martin,

ich finde Deine Erklärung zu der Frage der Form der Tannenberg sehr bildhaft und auch sehr stimmig.
Leider hast Du, wie geschrieben, mitten im Satz abgebrochen. Ich finde das sehr schade und möchte Dich bitten, dass Du, wenn schon nicht im Forumsstrang, dann per PN die Zeilen vervollständigen könntest.
So ein detailliertes und nachvollziehbares Herantasten an die Gestalt und Wirkung einer Schrift darf nicht unveröffentlicht bleiben.
Bitte vervollständige doch Deinen Aufsatz und gib uns den Rest.
Ich glaube nicht, dass ich der einzige bin, der darauf wartet.

Gruß plaeus

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Þorsten

diese »massiven Bestrebungen« (von wem eigentlich?) gab es bei der schlichten Gotisch auch nicht.

Ach? Ich dachte immer, da sei quasi über Nacht eine neue Schriftgattung entstanden, ca. ein Dutzend Vertreter wurden – stark beworben – innerhalb kurzer Zeit auf den Markt gebracht und die Anwender hätten diese Schriften schnell und dankbar angenommen. Dabei haben beide Seiten die unmissverständlich beworbene Assoziation, dass so die »neue Zeit« am besten vermittelt werden kann, zumindest billigend in Kauf genommen. Die Anbieter riefen: »Kauft diese Schriften, so schreibt ihr im neuen Geist!« und die Anwender riefen: »Her damit! Wir (und unsere Produkte) verkörpern diesen neuen Geist 100%ig!«

 

Gleichschaltung und ideologische Unterwerfung funktionieren doch auf vielfältigere Weise als nur durch klar dokumentierte Edikte der Machthaber.

 

Du sagtest »Frakturformen (zumindest der Minuskeln), die sich anscheinend aber nur schlecht begradigen lassen«.

Du billigst mir schon zu, dass ich weiß, dass ich Frakturen (im engeren Sinne) nur eine Teilmenge aller gebrochenen Schriften sind? Natürlich gibt es gerade gebrochene Schriften. Und man kann sicher auch, von einer Fraktur ausgehend, eine gerade Schrift entwerfen. Aber wäre die dann noch als Fraktur (im engeren Sinn) erkennbar? Mir scheint es so, als ob die Macher von Tannenberg und ihrer engsten Verwandten aber darauf bedacht waren, klare Ableger der »deutschen« Frakturen zu schaffen, die sich deutlicher von anderen Gebrochenen unterschieden. Und so einfach war das eben anscheinend nicht und wirkt in meinen Augen eben inkonsequent, wenn einerseits Versalien teils radikal verändert wurden, andererseits Eigenheiten von z.B. k und  x beibehalten wurden, obwohl sie in die neuen Gestaltungsprinzipien nur schlecht zu passen scheinen.

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Martin Z. Schröder

Danke, Plaeus, das ist nett. Ich will mich auch nicht groß bitten lassen. Was ich noch ausführen wollte, betrifft die Vereinfachung der Antiqua im Vergleich zu jener der Gebrochenen und die Frage nach der Assoziation an sich. Die Assoziation von Schrift zu Zeitgeist ist unstrittig, nur werden noch immer Belege dafür verlangt, daß die Assoziation in der Schrift angelegt ist.

 

Allerdings würde ich darum bitten, die politischen Interpretationen des Dritten Reiches so eng an der Form wie nur möglich zu diskutieren. Was Arbeitslosigkeitsstatistik und dergleichen Abwege angeht, soll, wer das diskutieren möchte, es in Historiker- oder Politforen tun. Ich wäre viel weniger tolerant und geduldig als Ralf als Forumseigner und verstehe, daß Grundlagendiskussionen über Politik so ein Forum unbrauchbar machen können und man das deshalb ausschließt.
 

Martin, vielen Dank für Deine Ausführungen, die ich als sehr nachvollziebar empfand!

Oja, dass kann ich sofort bestätigen, meine ersten Versuche, freihändig ein wenig "gebrochener" zu schreiben, führten genau zu solchen konstruierten Buchstaben.

 

 

Das ist jedoch eine Menge Spekulation und Assoziation. Und nicht ganz richtig, denn die Form des Züchtens, des Sortierens, des Gleichmachens ist älter als der Nationalsozialismus, der sich zweifellos dieses Instrumentes bediente, es aber nicht erfand. Dazu empfehle ich die Lektüre, zumindest das Durchblättern von Überwachen und Strafen von Michel Foucault. Dieses Normieren, Ausrichten, Kontrollieren konstituiert unseres bürgerlichen Systems, heute perfekter denn je, siehe Deleuzes Postscriptum auf die Kontrollgesellschaft

Dass Formen Inhalte transportieren, ist nicht zu widerlegen. Jedoch ist der Inhalt fluide, er wird vom Former wie vom Betrachter jeweils neu assoziiert. Nur weil ich die dorische Form der Säulen lieber hab als die korinthische oder gar römische, heisst das noch lange nicht, dass ich auch ein Befürworter des spartanischen Systems bin. Mein Hang zur Schlichtheit mag vielleicht erklären, dass ich die linksintellektuelle Sicht auf unser heutiges System bevorzuge, doch erklärt es mich nicht zum Mitglied des Schwarzen Blockes.

Zum eigenen Hintergrund: Ich war Soldat, und ich war Mitte der 90er Sozialarbeiter im Gefängnis. Foucaults Buch mußte man für letzteres natürlich lesen, vor allem aber Erving Goffman (»Asyle«) über die totale Institution. Ich glaube allerdings nicht, daß der Staat vor und nach dem Dritten Reich annähernd so totalitär war. Mit Foucault konnte ich nach der zweiten oder dritten Lektüre übrigens nichts mehr anfangen, das ist im Grunde doch eher Schreckensliteratur für Romantiker und von der Wirklichkeit ziemlich weit weg.

 

Phoibos, auf deine Einwände gehe ich gern noch ein, wenn es niemand sonst in meinem Sinne tut. Ich meine, daß man eine Assoziation bei einem Schriftentwurf im 20. Jahrhundert nicht unwillentlich herstellt. Es waren schon vor zweihundert Jahren freie Entscheidungen, ein Werkzeug zu verwenden und eine Form zu schaffen, keine aus einer Handschrift entstandenen unwillentlichen Formen, deren Assoziation nicht bis ins Detail geplant waren, also auf deutsch die Verknüpfung von Idee, Gedanke, Gefühl und Form. Nur muß ich es vertagen, denn ist der Fußboden meiner Kleckerburg gerade mit der 2014er Steuererklärung ausgelegt, und dafür gehe ich jetzt wieder in die Knie.

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Þorsten

Nachweisbare Beziehungen von den Nazis zu den Schaftstiefelschriftentwürfen (in Form von Verträgen, ideologischen oder gar ideologisch-gestalterischen Bekenntnissen etc.) konnten nicht aufgezeigt werden.[1] Und nur weil deren Existenz theoretisch möglich ist, ist sie noch lange nicht wahrscheinlich.[2]

[1] Verträge oder andere explizite Bekenntnisse sind aber kein notwendiges Kriterium für die Verstrickung von Menschen und ihrer Arbeit in eine Ideologie. Wer die Möglichkeit einer Verstrickung ohne solche Dokumente abstreitet, hat entweder keine Ahnung, wie Gesellschaften funktionieren oder argumentiert unredlich.

 

[2] Ach, jetzt haben wir uns auch noch von »kann man nicht beweisen« zu »ist noch lange nicht wahrscheinlich« bewegt?

 

Behauptest du jetzt ernsthaft, dass es nicht mal wahrscheinlich ist, dass die Macher dieser Schriften die Vermarktung und Rezeption ihrer Werke als ideologisch zielführend nicht antizipieren konnten und diesen Markt bei der Gestaltung also kein bisschen im Blick hatten?

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Wer die Möglichkeit einer Verstrickung ohne solche Dokumente abstreitet, hat entweder keine Ahnung, wie Gesellschaften funktionieren oder argumentiert unredlich.

Meine Güte, fängst du jetzt auch an wie Martin und willst meine Sätze absichtlich falsch verstehen, um sie gegen mich zu verwenden?

Meine Aussage ist völlig in Ordnung. Martin hat damit angefangen, dass es solche Beziehungen geben könnte und darauf verwiesen, dass man sie aber erst noch erforschen müsste. In diesem Zusammenhang habe ich nur noch einmal zusammengefasst, dass wir bislang nichts dergleichen schriftlich vorliegen haben. Gäbe es so etwas, wäre der Nachweis ein leichter, ohne wird er schwieriger. Das ist alles. Und der zweite Satz ist lediglich ein logischer Zusatz. Alles völlig in Ordnung, alles redlich.  Und es impliziert keineswegs, was du mir in den Mund legst.

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Mir ist es ein Rätsel, wie diese Fragen von einem Fachmann gestellt werden können. Es muß eine Theorie von inhaltsfreier Form dahinter stecken, die mir unbekannt ist. Jede Form, ausnahmslos jede Form trägt einen Inhalt. Eine inhaltsleere Form ist nicht denkbar.

 

Nehmen wir an, mir werden diese beiden Fragen im Unterricht von Schülern oder Studenten gestellt. Nein, nicht Studenten. Wenn mir Studenten solche Fragen stellten, würde ich ihnen eine Literaturliste aufstellen, weil ihnen Grundlagen fehlen. Kinder dürfen aber jede Frage stellen.

Ahh, wieder ein traumhafte Mischung aus Arroganz und Unfähigkeit oder Unwillen, abweichende Haltungen zu verstehen.

Nein, mir fehlen keine Grundlagen und nein, es steht auch keine Idee einer inhaltslosen Form dahinter. Es steht der Wille zu ordentlichen fachlichen Debatten dahinter. Denn was erwartest du? Dass wir deine subjektiven bis polemischen Begriffen einfach so als sinnvolle oder richtige Beschreibung hinnehmen? Oder dass sie gar so selbstverständlich wären, dass sie keiner Diskussion benötigen, weil alle außer Kindern ja zwingend zum gleichen Ergebnis kommen müssten? Dem ist nicht so.

Daher debattieren wird und es ist selbstverständlich in so einer Debatte, dass man den Dinge auf den Grund geht. Subjekte und assoziative Beschreibungen wie hässlich, militärisch, gleichgeschaltet usw. sind keine Argumente. Im besten Fall sind sie das Ergebnis reiflicher Überlegungen und die müssen eben so gründlich wie möglich erklärt werden. Das sollte schon in deinem Interesse sein. Eigentlich ganz selbstverständlich. Genauso selbstverständlich ist es in einer Debatte Fragen zu stellen, gegebenenfalls auch vermeintliche dumme. Davor scheue ich mich nicht im geringsten, denn es geht mir in so einem Debatte um den diskutierten Inhalt, nicht darum, besonders weise zu wirken. Wenn bestimmte Fragen helfen, die Diskussion voran zu bringen und auf den Kern der Sache zu kommen, dann werde ich sie stellen und das habe ich gemacht. 

 

So, und nun zu deiner »Antwort«: du schreibst viel Text und holst weit aus, aber du bleibst auf der vagen Ebene von Assoziationen und Korrelationen. Auf der Ebene kommen wir nicht weiter und sie ist ja auch nicht streitig. Daher hatte ich um mehr Tiefe und objektivere Aussagen gebeten.

Ich glaube dir gern, dass du und Kapr und wer auch immer beim Anblickt von Schaftstiefelgrotesken dort z.B. etwas hässliches oder militärisch wirkendes seht. (Für’s Protokoll: ich sehe das nicht.)

Die entscheidende Frage ist nach wie vor: wo kommt diese, eure Wahrnehmung dieser Schriften her? Wir haben da zwei Pole ausgemacht: A) es ist vornehmlich durch assoziative Aufladung (also von außen gedanklich hinzugefügt und formal kaum bis gar nicht vorhanden). B) es wurde von den Designern der Schriften willentlich in die Form gelegt und findet sich dort also objektiv wieder. 

 

Wenn B richtig ist, sollte sich das zeigen lassen. Betrachter aus aller Welt müssten das hässliche/militärische/gleichgeschaltete unabhängig von ihrem Wissen über diese Schriftgattung und die Zeit sehen. (Ich halte dieses Ergebnis für ziemlich unwahrscheinlich.)

Das hässliche/militärische/gleichgeschaltete müsste sich formal beschreiben lassen, ohne dass man auf Assoziationen und Geschichtszusammenhänge angewiesen ist. Man müsste spezifische Eigenschaften der Schrift und der Buchstaben benennen können, die diese Wahrnehmung auslösen. Man könnte dann streng formal sämtliche Schriften auf das Vorhandensein dieser Eigenschaften prüfen und müsste dann die Schriften ebenso in hässlich/nicht hässlich, militärisch/nicht militärisch einteilen können. 

 

Und dies klappt meiner Meinung einfach überhaupt nicht. Das Bild, dass du versuchst zu zeichnen, passt nicht auf die Welt (der Schriften). Das einzige formal-gestalterische Spannungsfeld, das du in deiner Antwort aufmachst ist begradigt/konstruiert vs. lebendig/kalligrafisch. Ja, das existiert. Aber es existiert unabhängig von Ideologie und es liefert deshalb eben keine kausalen Zusammenhänge von Form und Ideologie. Das sind Elemente von Stilen und gestalterischen Strömungen, die (gern in stetigem Wechsel) durch die Zeit gehen. Und da sind wir wieder und wieder bei Willbergs später Frage, auf die du auch meines Wissens nach nie eingegangen bist. Warum steht eine Reißbrett-Schrift einmal im direkten Zusammenhang mit Rassenhygiene (mein Güte!) und eine andere nicht, wenn sie etwa als Antiqua eine dem Bauhaus nahestehenden Designer konstruiert wurde? Das geht nicht auf! Prunk und Vereinfachungen ziehen sich durch tausende Jahre Schrift (und Gestaltung im Allgemeinen). Warum ist der grafisch reduzierende Sprung von Fleischmann Gotisch zu Trump Deutsch akzeptabel, aber ein ebensolcher Sprung von Trump Deutsch zur Tannenberg nicht mehr? Formal ist er das ganz gewiss. Der Unterschied ist dein Wissen über die Entstehungszeit der letzteren Schrift. 

Und deine Gegenüberstellung der drei Schriften kann man eben auch identisch mit Antiqua-Schriften wiederholen. Warum ist die letzte, begradigt-konstruierte Antiqua-Schrift dann nicht idelogisch, millitärisch, hässlich …? Auf formal-gestalterischen Ebene bleiben deine Aussagen widersprüchlich. 

 

Und eine der ersten begradigten und elementarisierten Gotischen schuf schon Albrecht Dürer vor hunderten Jahren. 

 

duerer_textualis_constr_02.jpg

 

War Dürer also ein Vertreter einer Rassenideologie, die ihn zu solchen Formen bewegte? Sicher nicht. Würde mir ein Student die kurzsichtige Herleitung vortragen, dass die Schaftstiefelgrotesken gerade Formen haben, weil dies die Rassenideologie der Nazis grafisch darstellt, würde ich ihm auch mangelnden Wissen über gestalterische Grundlagen und Schrifthistorie vorwerfen. 

 

Die ganze Diskussion hat meinen ursprünglichen Eindruck nur bestätigt. Meiner Meinung nach erliegst du hier der typischen Post-hoc-Rationalisierung. Du hast deine Wahrnehmung dieser Schriften, die auf Wissen und Assoziation aufbaut und wenn du gefragt wirst, suchst du dann nach formal-gestalterischen Argumenten. (Erstaunlicherweise muss man da auch noch insistieren.) Aber diese Argumente kann ich nicht glauben, solange sie nicht in einem größeren (schrift-)gestalterischen Kontext ohne Widersprüche funktionieren. Einige der Widersprüche habe ich ja gerade noch einmal aufgezählt.

Und überhaupt ist es ja, wie ich schon sagte, schon bezeichnend, dass eben die verwendeten Begriffe von Natur aus schon assoziativ sind. Begriffe wie militärisch oder gleichgeschaltet sind ganz deutlich assoziativ und es spricht auch nichts grundsätzlich gegen ihre Verwendung, solange man sie eben als Metaphern in einem Dialog verwendet, um eben einen Eindruck zu beschreiben. Aber wenn assoziative Begriffe tatsächliche als objektive Parameter verstanden werden sollen, dann ist das mindestens verdächtig. Und der Verdacht konnte für mich bislang in keiner Weise zerstreut werden. Ganz im Gegenteil. 

Interessant übrigens auch der Umgang mit Gegenbeispielen. Du beschreibst diese vermeintlichen militärischen, begradigten, steifen, stumpfen, grobschlächtigen Schriften und liefere mit einer Abbildung der Gotenburg ein Gegenbeispiel wo nichts davon wirklich überzeugend zutrifft. Aber da gibt es kein Einlenken und keine Auseinandersetzung. Natürlich nicht. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. 

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pürsti

pürsti schrieb:snapback.png

Hab auch nicht den Ehrgeiz zu ergründen ob sie mir ob ihrer (Entsehungs-)Geschichte nicht gefallen. Kann schon mitschwingen.

Es reicht mir eigentlich schon als Ergebnis dieser Diskussion, dies herausgekitzelt zu haben.

Denn damit lägen die Positionen nahezu aller Diskutanten gar nicht mehr weit auseinander, weil sich letztlich alle einig sind, dass die Umstände die Entwicklung dieser Beschriften beeinflusst haben. Über das Ausmaß kann man unterschiedlicher Ansicht sein, aber dies ist nicht faktisch greifbar und somit gibt es da nicht mehr viel rauszuholen.

 

Was meinst jetzt eigentlich genau damit: „die Umstände die Entwicklung der [be]schriften beeinflußt haben.“ Also doch ein Produkt der Ideologie?

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Gast Schnitzel

Die entscheidende Frage ist nach wie vor: wo kommt diese, eure Wahrnehmung dieser Schriften her? Wir haben da zwei Pole ausgemacht: A) es ist vornehmlich durch assoziative Aufladung (also von außen gedanklich hinzugefügt und formal kaum bis gar nicht vorhanden). B) es wurde von den Designern der Schriften willentlich in die Form gelegt und findet sich dort also objektiv wieder. 

Ich denke es täte der Auseinandersetzung mit dieser Frage gut, wenn man sich von dem schwarz/weiß-Denken* etwas distanziert und das Thema differenzierter betrachtet. Es gab nicht nur Bauhaus, neue Demokratie, Jazz, Expressionisten bis '33 und danach nur noch Nazis auf der einen Seite und (aus heutiger Sicht) heldenhaften Widerstand auf der anderen. So schön einfach macht es uns das Leben leider nie ...

Meines Erachtens haben diese Schriften durchaus einen militärischen Charakter, da sie in ihrer Gleichförmigkeit und Steifigkeit an Uniform und Strammstehen erinnern, deswegen müssen sie aber nicht gleich Sinnbild für Euthanasie und Holocaust sein. Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass die Gestalter dabei an Blumenwiese und ›Leichte Brise über Kornfelder in der Dämmerung‹ gedacht haben. Die gestalterischen Ideen die dadrin stecken, werden schon ihre Schnittmenge mit teutonisch militaristischen Drill haben – Gleichförmigkeit, Geradlinichkeit, Ordnung, Konformismus statt Individualität. Und sicherlich gibt es auch Schriften, die formal irgendwie in diese Gruppe gehören, die aber im Detail nicht so stark die benannten Attribute darstellen.

Außerdem möchte ich noch die Frage in den Raum stellen, wie wichtig es für uns heute überhaupt ist, welche (politische) Einstellung die Gestalter hatten?! Oder ist nicht die Wirkung, die diese Schriften hinterlassen für uns als Gestalter wichtiger? Ist es wirklich unsere Aufgabe Schriftarten oder Symbole (wie die Swastika) ihres schlechten Rufes™ zu befreien? Oder sollten wir uns nur der Wirkung und Funktionsweise von Symbolen und (Schrift-)Formen bewusst sein?

Die Fragen fände ich in dem Zusammenhang interessanter als einen Wald voll Strohmänner aufzustellen und diese ständige Metadiskussion einfließen zu lassen ...

 

* Damit will ich Ralf nichts unterstellen, nur weil ich seinen Text zitiert habe. Nur schien er mir sehr aussagekräftig für diese Diskussion.

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pürsti

Und nochwas könnte zur Versachlichung beitragen:

Einfach nur Zusammentragen was  eher für formale und was eher für ideologische Gründe für die Entstehung der SSGen geführt hat.

So wie denen, die eher zu letzterem tendieren hier unterstellt wird, daß sie ob der unstrittig vorhandenen Assoziationen dieser Schriften den Blick getrübt hätten für eine objektive Betrachtung (was ich für mich auch nicht asuschließen mag) hab ich aber auf der anderen Seite das Gefühl, daß jedes Argument (ob jetzt faktisch oder subjektiv) eher als Anklage verstanden wird. Die Tatsache, daß ich ob der klaren Indizien eine Ideologiebehaftung der Schriften sehe, beinhaltet noch keine Bewertung. (daß eine Wertung wenn es um Nazideologie geht dann automatisch gleich mitschwingt, das ist dann eben das Problem der nicht abschüttelbaren Assoziation). Ich für meinen Teil (und ich glaub auch für alle Mitdiskutanten sprechen zu können) hab mit keinem Posting von einer wie auch immer gearteten „Schuld“ (im Sinne der Naziverbrechen) gesprochen. Wenn also persönliche Schuldzuweisungen z. B. an Schriftgestalter (die ja tatsächlich schon allein ob dem Fehlen an Informationen nicht möglich sind) gar nicht zur Debatte stehen, dann erübrigen sich aber auch pauschale Relativierungen, Beschönigungen, Bagatellisierungen … von Naziverbrechen. Es geht also erstmal um eine wertfreie Erörterung der Problematik. Wenn man denn da zu einem Ergenis tatsächlich kommen könnt (was eher nicht zu erwarten ist) könnt man sich daran machen wie das Ergebnis dann zu bewerten wär.

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Erwin Krump

Ein bedeutendes Gebäude Österreichs, die „Wiener Secession“, trägt die aussagekräftige Aufschrift:

 

„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“

 

Schriftgestaltung zählte zumindest zur damiligen Zeit zur Kunst. 

 

Kunst spiegelte immer die Zeit wider, in der sie entstand. Auch die Schriftkunst.

 

 
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pürsti

Die entscheidende Frage ist nach wie vor: wo kommt diese, eure Wahrnehmung dieser Schriften her? Wir haben da zwei Pole ausgemacht: A) es ist vornehmlich durch assoziative Aufladung (also von außen gedanklich hinzugefügt und formal kaum bis gar nicht vorhanden).

Der Unterschied ist dein Wissen über die Entstehungszeit der letzteren Schrift. 

 

 

Nein, es ist nicht nur mein (oder sein) Wissen, es ist auch das Wissen der Schriftgestalter wie sie eine Schrift gestalten damit sie denen gefällt, denen sie gefallen soll.

Schreibst immer nur von „Assoziationen“ die formal nicht objektivierbar wären. Aber deshalb sind die Schriften ja ideologisch: weil ihnen gerade ganz bewußt bestimmte Assoziationsmöglichkeiten mitgegeben werden sollten.

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pürsti

B) es wurde von den Designern der Schriften willentlich in die Form gelegt und findet sich dort also objektiv wieder. 

 

Wenn B richtig ist, sollte sich das zeigen lassen. Betrachter aus aller Welt müssten das hässliche/militärische/gleichgeschaltete unabhängig von ihrem Wissen über diese Schriftgattung und die Zeit sehen.

 

Natürlich muß es Militär auch geben damit man eine Schrift militärisch ausehen lassen kann. Und ich sehe auch militärisches in den SSGen. Daß jetzt die Tannenberg in den Orbit geschoßen und dort auf lustig chaotische Außerirdische treffend diese dann allein beim Anblick der Tannenberg anfangen, sich Springerstiefel zu schustern und im Gleichschritt zu marschieren, das wird kein Mensch einer Schrift zutrauen. (schon gar nicht Martin).

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Und ich sehe auch militärisches in den SSGen.

Na dann wage du dich doch mal an eine Beschreibung dieses Merkmals, wenn Martin sich darum drückt.

 

Aber deshalb sind die Schriften ja ideologisch: weil ihnen gerade ganz bewußt bestimmte Assoziationsmöglichkeiten mitgegeben werden sollten.

Und das ist eben strittig. Unser Blick auf die Schrecken der Nazi-Herrschaft und die Assoziationen, die wird dabei haben, basieren auf einem Rück(!)-Blick, von dem wir nicht so einfach auf die Motivation und Rezeption von 1933 schließen kann. Eigentlich sollte das doch selbstverständlich sein.

Die Optima wird gern in der Kosmetik-Industrie verwendet und weckt bei mir auch durch die sich wiederholende Aussetzung mit dieser Anwendung entsprechende Assoziationen. Ich sehe förmlich eine Pflegecreme vor mir, selbst wenn ich in Optima nur schwarz auf weiß »Hamburgefonts« vorliegen habe. Kann ich daraus ableiten, dass Zapf diese Anwendung bewusst im Sinn hatte und sie gestalterisch entsprechend angelegt hat? Nein, kann ich nicht. Oder sollte ich nicht. Natürlich wäre es ein leichtes, entsprechende Merkmale zu suchen und über entsprechende Motivationen bei der Gestaltung zu spekulieren. Aber sie sind deshalb noch lange nicht wahr. 

 

Und bei anderen Gebieten angewandter Gestaltung (aber weniger der freien Kunst) ist das ähnlich. Insofern ist Martins Vergleich zur Architektur nicht so verkehrt, auch wenn er es erwartungsgemäß anders auslegt. Die Kaserne sieht so aus, wie sie aussieht, weil sie a) vornehmlich ein Zweckbau ohne Repräsentationscharakter ist und b) weil sie auf gestalterisch/architektonischen Strömungen der vorausgehenden Zeit aufbaut. Aber die Nazis haben den schnörkellosen Zweckbau eben genauso wenig erfunden wie die konstruierte, elementarisiere Schrift und nur weil man beides zusammen vorfindet oder gedanklich miteinander assoziiert, kann man daraus nicht automatisch die vorgebrachten Kausalitäten ableiten. 

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Gast Schnitzel

Man kann aber auch nicht behaupten, die Optima hätte gar nix mit Kosmetika zu tun. Was interessiert es mich als Anwender, dass die Schrift von Grabsteinen stammt – wenn ich sie anwende muss mir bewusst sein, dass sie mit Cremes und Puder assoziiert werden und den Grabsteinkontext kaum einer weiß. So sehe ich das auch mit diesen Schriften …

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pürsti
Na dann wage du dich doch mal an eine Beschreibung dieses Merkmals, wenn Martin sich darum drückt.

 

Jetzt bist unfair. Martin hat das auf seine recht persönliche Art recht eindrucksvoll genacht. (eindrucksvoll jetzt nicht in dem Sinn daß jede Silbe inhaltlich mich zu Begeisterungsstürmen hinreißen würd. Eindrucksvoll weil ausführlich, engagiert, beredt, und in weiten Teilen mich auch überzeugend. ok. k., letzteres war wohl nich so schwer).

Meine Beschreibung (kein Satz ohne Klammer: für meine Argumentation keine notwendige tu aber gern den gefallen): steif, schnittig, straff, geordnet, streng, kalt, leidenschaftslos, geordnet…

 

 

Edith:

Ein „geordnet“ war doppelt also nur 7 Richtige.

bearbeitet von pürsti
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pürsti

Ralf, aber bei einem formalen Punkt ist ja eh noch Klärungsbedarf. Dem der „Elementarisierung“ in dem Du den Grund für die Entwicklung der SSGen zeitlich   nahe den Nationalsozialismus retten möchtest. Für mich hat das über 100 Jahre zuvor begonnen und Du traust ja dem nicht mehr, wofür Du für den hier nicht Mitlesenen noch immer als Autor stehst.

Das Argument war, bisschen Serifen wegschneiden wär keine Elamentarisierung. Ich sage (quatsch nicht ich, die Schriftgeschichte sagt): sie hat sogar schon vor den Grotesken begonnen. Die klassizistische Antiqua mit ihren „Konsequent konstruierte[n] Buchstaben“ (darf ich hier dem Wiki trauen?) war ja auch schon ein Schritt in diese Richtung.  Auch heute noch gültige typografische Normierungen fielen in diese Zeit. Und der Schritt zur Grotesk war  dann eben der nächste einer solchen „Elementarisierung“.

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Erwin Krump

… Die klassizistische Antiqua mit ihren „Konsequent konstruierte[n] Buchstaben“ (darf ich hier dem Wiki trauen?) war ja auch schon ein Schritt in diese Richtung …

 

Es gab keine Entwicklung oder auch nur einen Schritt von der Klassizistischen Schrift zur SSG.

 

Wo würde man die Schriften des Jugendstils einreihen? 

 

Mitte oder letztes Viertel 19. Jh. kann man im Historismus z. B. in den typischen Schriften der Kaiserzeit eine deutliche Hinwendung zu Gefälligkeitsschriften an die Machthaber erkennen.

 

Und dann wurde mit den von vielen verschmähten Jugendstil-Schriften ein Bruch vollzogen und gegengesteuert. Mit dem Historismus wurde aufgeräumt. War ja auch die Zeit des Expressionismus.

 

Diese Schriften brachen 100 Prozent mit der Tradition. Alles was nachher kam, war ein Rückgriff.

 

Schriftentwicklung folgte seit der Antike immer der Architektur und ging mit ihr einher, das ist klar ersichtlich. Und jede Stilepoche bringt ihre Architektur, ihre Mode, ihre Schrift usw. hervor.

 

So ist eben auch das Zustandekommen der unseligen SSG erklärbar. Diese Zeit hatte sich keine andere Schrift verdient. Trotzdem wurden ja sehr viele andere Schriften von den Zeitungsmachern, Inserat- und Buchgestaltern verwendet. Also gegen den Strom der Zeit.

 

Wieweit nun einzelne Künstler oder Gestalter dem Regime nahestanden, steht auf einem anderen Blatt und lässt sich im Bereich Schrift ja nicht eruieren. 

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pürsti

Diese Schriften brachen 100 Prozent mit der Tradition. Alles was nachher kam war ein Rückgriff.

 

Schriftentwicklung folgte seit der Antike immer der Architektur und ging mit ihr einher, das ist klar ersichtlich. Und jede Stilepoche bringt ihre Architektur, ihre Mode, ihre Schrift usw. hervor.

 

So ist eben auch das Zustandekommen der unseligen SSG erklärbar.

 

Erkärbar klar. Nur gibt es eben zwei Erklärungsmodelle hier.

Eigentlich ganz schlüssig (bis auf Nuancen) erklärt.

Die „Mode“ ging bis kurz vor den SSGen in eine andere Richtung. Bis eben ideologisch abrupt und auch brutal eingegriffen wurde. Und dann ging es eben plötzlich ganz schnell mit

den SSGen.

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catfonts

und was wäre passiert, wäre herr Meyer nicht auf die Tannenberg gekommen? Sagt jetzt nicht, dass dan eben noch die anderen da gewesen wären...

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Martin Z. Schröder

Ich gehe die Punkte am besten einzeln durch, zu denen ich etwas sagen möchte, auch wenn es viel ist.

 

Zitat Ralf:

Subjekte und assoziative Beschreibungen wie hässlich, militärisch, gleichgeschaltet usw. sind keine Argumente. Im besten Fall sind sie das Ergebnis reiflicher Überlegungen und die müssen eben so gründlich wie möglich erklärt werden.

 

Ich habe dich das schon einmal gefragt, aber du hast das übersehen: Was ist in einer Schrift-Diskussion ein Argument, und was ist Wahrheit? Betrachtest du Typografie und Schriftbeurteilung als eine exakte Wissenschaft, die in eine Wahrheit führt? Ich halte Typografie nicht für eine Wissenschaft, sondern für Kunsthandwerk. Das heißt, es gibt handwerkliche Regelwerke, denen man Objektivität zugesteht. Also keine naturwissenschaftliche Wahrheit, sondern eine Einigung, ein Werk aus Konventionen. Man kann diese Regeln brechen, d.h. es sind keine Naturgesetze. Argumentiert man für oder gegen Regeln, gibt es auch nur wenige Wahrheitsbeweise. So ein Beweis wäre, daß man eine 2p-Schrift nicht mit bloßem Auge lesen kann. Aber lesen kann man jede Schrift, die ungefähr die Bedeutung ihres Zeichens wiedergibt, groß genug ist und sich durch Kontrast halbwegs zeigt. Ob die Schrift »gut gemacht« ist, dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Alles, was die Schrift darüber hinaus beschreibt in Hinsicht auf ihre Form, ist kein Qualitätsurteil, sondern eine entweder grafische oder historisch einordnende Beschreibung. Das ist objektiv möglich. Zum Beispiel: diese Schrift ist mit dem Bleistift geschrieben, und die Grundform der Schrift leitet sich ab von der Schulausgangsschrift des 20. Jahrhunderts. Eine weitergehende Beschreibung ist subjektiv. Zum Beispiel: Das ist eine schöne Handschrift. Man kann das etwas objektivieren, wenn man Bezüge herstellt. Sowohl positive als auch negative Bewertungen sind nicht objektiv, sondern bilden sich aus subjektivem Wissen, subjektiven Gefühlen. Und das sind Argumente, weil es keine anderen in diesen Kategorien gibt. Assoziationen sind deshalb Argumente.

 

Zitat Ralf:

So, und nun zu deiner »Antwort«: du schreibst viel Text und holst weit aus, aber du bleibst auf der vagen Ebene von Assoziationen und Korrelationen. Auf der Ebene kommen wir nicht weiter und sie ist ja auch nicht streitig. Daher hatte ich um mehr Tiefe und objektivere Aussagen gebeten.

 

Ich habe die Form beschrieben, so gut ich kann. Ich habe gesagt, daß die Tannenberg durchweg gerade Formen hat, vollkommen am Reißbrett gezeichnet zu sein scheint. Welche Art von Tiefe fehlt dir darin? Was ist in diesem Zusammenhang eine objektive Aussage?

 

 

Zitat Ralf:

Ich glaube dir gern, dass du und Kapr und wer auch immer beim Anblickt von Schaftstiefelgrotesken dort z.B. etwas hässliches oder militärisch wirkendes seht. (Für’s Protokoll: ich sehe das nicht.)

Die entscheidende Frage ist nach wie vor: wo kommt diese, eure Wahrnehmung dieser Schriften her? Wir haben da zwei Pole ausgemacht: A) es ist vornehmlich durch assoziative Aufladung (also von außen gedanklich hinzugefügt und formal kaum bis gar nicht vorhanden). B) es wurde von den Designern der Schriften willentlich in die Form gelegt und findet sich dort also objektiv wieder. 

 

Kapr und »wer auch immer«, du meinst Tschichold, Caflisch und Willberg. Letzterer hat eine Überlegung geäußert und im nächsten Absatz offenbar verworfen, ich habe das ausführlich zitiert. Du bringst immer nur Willbergs Frage ins Spiel, die anderen Kapazitäten sind keine mehr, weil sie diese Frage nicht für erörterungswürdig hielten? Ja, ich glaube an Autorität: um es genau zu sagen, nicht an die autoritäre, sondern die autoritative Persönlichkeit. Als junger Handwerker habe ich nie darüber nachgedacht, als älterer, der vor über dreißig Jahren erstmals die Finger in einen Setzkasten steckte und mit dem Bleistift Entwürfe zu zeichnen versuchte, glaube ich heute an die Unterwerfung. Handwerk ist Arbeit in der Überlieferung. Zeitgemäße Arbeit entsteht unbewußt. Tschichold und Caflisch sind nicht nur für mich Institutionen, nicht irgendwelche Leute. Tschichold hat zur Begründung unseres Berufsbildes fundmental beigetragen, er hat typografisches Argumentieren gerade durch seine grundsätzlichen Meinungswechsel eigentlich begründet. »Wer auch immer« klingt in meinen Ohren nur trotzig. Niemand hat wie Caflisch Schrift analysiert, er ist für die Schriftanalyse das Vorbild per se. Aussagen von solchen Kapazitäten haben Gewicht. Zumal wenn ihre Auffassungen in der Literatur unbestritten sind. Die Randbemerkung von Willberg formuliert einen Zweifel, keinerlei Widerruf seiner vor dieser und nach dieser Randbemerkung mit deutlichen Worten dargelegten Kritik. Kein namhafter Typograf hat sich je positiv über die Schaftstiefelgroteskartigen geäußert, selbst eine gezeichnet oder eine verwendet. Daß das nichts bedeuten soll, erscheint mir wirklichkeitsfremd.

 

Du siehst zwei Pole (»wir« haben das nicht »ausgemacht«):

1. Assoziative Bedeutung einer Form, die nicht in der Form liegt.

2. Eine der Form gegebene Bedeutung, die sich objektiv ablesen läßt.

Mir ist das unbegreiflich. Ich verstehe es mit Sicherheit falsch, wenn ich ein Beispiel wie dieses gebe:

1. Keramiker Müller formt eine Schüssel. Sie ist rund. Sie erinnert mich an einen halben Ball. Das ist falsch, denn der Künstler hat nicht an einen Ball gedacht.

2. Keramiker Meier formt eine Schüssel. Sie ist rund. Er wollte damit den Vollmond symbolisieren. Das ist richtig, den jeder sieht in der Schüssel das Symbolf für den Vollmond.

Du siehst, wie ich deine beiden Pole verstehe. Kannst du mir an einem Beispiel erklären, wie du es gemeint hast? Denn so kannst du es ja nicht gemeint haben.

Du hast schon Schriften entworfen. Hast du dabei eine Bedeutung in den Entwurf gelegt, die »Betrachter aus aller Welt« wiedererkennen müßten? Ist jemals von irgendwem eine Bedeutung in eine Schrift gelegt worden in der Erwartung, daß Betrachter aus aller Welt sie erkennen müßten? Wen meinst du eigentlich damit? Den New Yorker Intellektuellen oder den birmanischen Reisbauern?

 

Zitat Ralf:

Wenn B richtig ist, sollte sich das zeigen lassen. Betrachter aus aller Welt müssten das hässliche/militärische/gleichgeschaltete unabhängig von ihrem Wissen über diese Schriftgattung und die Zeit sehen. (Ich halte dieses Ergebnis für ziemlich unwahrscheinlich.)

 

Ich halte es sogar für ausgeschlossen. Unabhängig von Wissen kann man nie etwas sehen, das nur durch das Wissen sichtbar wird. Das hat nicht einmal etwas mit Schrift zu tun. Wenn ein Säugling jammert, dann wissen seine Eltern, ob er müde oder hungrig ist. Wer den Säugling und seine Sprache nicht kennt, weiß es nicht. Schriftbeurteilung erfordert Schriftkenntnis. Schriftkenntnis ohne Geschichtskenntnis gibt es nicht. Kannst du vertiefend erklären, worauf deine Darstellung zielt? Wann ist Schönheit und Häßlichkeit für dich objektiv? Ist für dich eine militärisch anmutende Schrift überhaupt denkbar? Ich vermute, es hakt in der Verständigung an den Kategorien. Ich verstehe nicht, was du mit Objektivität in Hinsicht auf Schönheit und Häßlichkeit meinst. Vielleicht finde ich das im nächsten Absatz:

 

Zitat Ralf:

Das hässliche/militärische/gleichgeschaltete müsste sich formal beschreiben lassen, ohne dass man auf Assoziationen und Geschichtszusammenhänge angewiesen ist. Man müsste spezifische Eigenschaften der Schrift und der Buchstaben benennen können, die diese Wahrnehmung auslösen. Man könnte dann streng formal sämtliche Schriften auf das Vorhandensein dieser Eigenschaften prüfen und müsste dann die Schriften ebenso in hässlich/nicht hässlich, militärisch/nicht militärisch einteilen können. 

Und dies klappt meiner Meinung einfach überhaupt nicht. Das Bild, dass du versuchst zu zeichnen, passt nicht auf die Welt (der Schriften). Das einzige formal-gestalterische Spannungsfeld, das du in deiner Antwort aufmachst ist begradigt/konstruiert vs. lebendig/kalligrafisch. Ja, das existiert. Aber es existiert unabhängig von Ideologie und es liefert deshalb eben keine kausalen Zusammenhänge von Form und Ideologie. Das sind Elemente von Stilen und gestalterischen Strömungen, die (gern in stetigem Wechsel) durch die Zeit gehen. Und da sind wir wieder und wieder bei Willbergs später Frage, auf die du auch meines Wissens nach nie eingegangen bist. Warum steht eine Reißbrett-Schrift einmal im direkten Zusammenhang mit Rassenhygiene (mein Güte!) und eine andere nicht, wenn sie etwa als Antiqua eine dem Bauhaus nahestehenden Designer konstruiert wurde? Das geht nicht auf! Prunk und Vereinfachungen ziehen sich durch tausende Jahre Schrift (und Gestaltung im Allgemeinen). Warum ist der grafisch reduzierende Sprung von Fleischmann Gotisch zu Trump Deutsch akzeptabel, aber ein ebensolcher Sprung von Trump Deutsch zur Tannenberg nicht mehr? Formal ist er das ganz gewiss. Der Unterschied ist dein Wissen über die Entstehungszeit der letzteren Schrift. 

Und deine Gegenüberstellung der drei Schriften kann man eben auch identisch mit Antiqua-Schriften wiederholen. Warum ist die letzte, begradigt-konstruierte Antiqua-Schrift dann nicht idelogisch, millitärisch, hässlich …? Auf formal-gestalterischen Ebene bleiben deine Aussagen widersprüchlich. 

 

Entnehme ich daraus richtig, daß es für dich in der Schriftbeurteilung die Kategorien Schönheit und Häßlichkeit nicht gibt? Militärisch bedeutet für mich in bezug auf Schrift: überstreng, allzu gleichförmig, übermäßig eckig, hart, unvermittelt, abweisend, unzugänglich. Schönheit in der Schrift entsteht zuerst durch die Erfüllung von Kriterien. Wenn ich diese wiedergeben soll, würde ich sie bei Johnston abschreiben.

Es gab hier mal eine Diskussion über Weiblichkeit von Schrift. Ich weiß nicht mehr, ob du das auch so vehement abgelehnt hast wie ich, daß es so etwas überhaupt geben kann. Ich habe es nicht abgelehnt, weil es eine assoziative Zuschreibung wäre, eine verschnörkelte Schrift weiblich zu nennen, sondern weil ich dieses Geschlechterbild spießig, miefig und »objektiv« falsch finde.

Es kommt bei der Schrift nicht darauf an, ob sie, sondern wie sie vereinfacht oder auch verziert wurde, also wie sie im Ganzen gemacht ist. Aus meinem Vergleich der Trump-Deutsch mit den anderen beiden ist sicherlich deutlich geworden, daß es unterschiedliche Arten von Vereinfachung gibt. Feine und grobe. Ich meine auch: geschickte, zartfühlende, intelligente und grobe, mechanische, übereifrige. Ist die Tannenberg die radikalste von allen? Sie zeigt keine einzige Rundung, es ist eine egalisierte Schrift, der jeder menschliche Zug genommen wurde. So eine Antiqua gibt es nicht, sie wäre schwer oder unlesbar. Was man in der Antiqua als konstruiert bezeichnet, ist nicht oder nur in einer Näherung konstruiert. Nicht einmal das o der Futura ist ein Kreis. Sie täuscht die Konstruktion vor. Über die Binnenform des O hat Frutiger sich in einem Film mal sehr interessant geäußert und gezeigt, wie er freihändig mit der Schere eine O-Punze aus einem Karton schneidet. Keine Serifenlose ist tatsächlich konstruiert. Daß man das so nennt, erschien mir immer falsch, weil es den Unkundigen (auch manchen Kundigen?) auf die falsche Fährte setzt. Die Tannenberg ist aber nun wirklich am Reißbrett gezeichnet, das unterscheidet sie von wahrscheinlich allen Schriften der Welt.

Daß der elementaren Typografie ein Hang zum Totalitären vorgeworfen wurde, und zwar von einem ihrer Begründer im Rückblick, Jan Tschichold, und daß er einen Zusammenhang zur Zeit, zum Unbedingten, übermäßig Genormten, wenn ich jetzt nicht irre, auch zum Militärischen darin sah, ist hier unbekannt? Auf diese Sichtweise hat mich Axel Bertram vor Jahren hingewiesen. Das trifft nicht auf die farbigen Arbeiten von El Lissitzky zu, klar, aber die Blöcke und fetten Linien haben durch ungekonnte Anordnung durchaus zu Arbeiten geführt, die ich nicht als schön bezeichnen würde. Ich greife grundsätzlich seltener zu Serifenlosen. Einige brauchen mehr Entwurfsaufwand, damit sie nicht langweilig aussehen. Die Futura gehört nicht dazu, eine Versalzeile aus Futura ist weniger konstruiert als klassisch proportioniert.

 

Konstruktion bedeutet in der Schrift nicht, daß man jede Linie geometrisch einpaßt. Ich verweise auf das Alphabet des Damianus Moyllus. Wer das Heft von Tschichold nicht kennt: Die Google-Bildersuche zeigt etwas davon. Schriftkonstruktion ist nicht Reißbrettzeichnung.

 

Zitat Ralf:

Und eine der ersten begradigten und elementarisierten Gotischen schuf schon Albrecht Dürer vor hunderten Jahren. 

War Dürer also ein Vertreter einer Rassenideologie, die ihn zu solchen Formen bewegte? Sicher nicht. Würde mir ein Student die kurzsichtige Herleitung vortragen, dass die Schaftstiefelgrotesken gerade Formen haben, weil dies die Rassenideologie der Nazis grafisch darstellt, würde ich ihm auch mangelnden Wissen über gestalterische Grundlagen und Schrifthistorie vorwerfen. 

 

Dürers Schrift war ein mißlungener Versuch. Sie ist ja auch nicht verwendet worden. Und sie zeigt natürlich auch ein paar Rundungen und Verzierungen, einen menschlichen Zug, sie ist kein Tannenberg-Vorläufer oder nur in geringen Teilen. Aber daß man es so nicht machen kann, war nach diesem Versuch eigentlich klar.

 

Zitat Ralf:

Die ganze Diskussion hat meinen ursprünglichen Eindruck nur bestätigt. Meiner Meinung nach erliegst du hier der typischen Post-hoc-Rationalisierung. Du hast deine Wahrnehmung dieser Schriften, die auf Wissen und Assoziation aufbaut und wenn du gefragt wirst, suchst du dann nach formal-gestalterischen Argumenten. (Erstaunlicherweise muss man da auch noch insistieren.) Aber diese Argumente kann ich nicht glauben, solange sie nicht in einem größeren (schrift-)gestalterischen Kontext ohne Widersprüche funktionieren. Einige der Widersprüche habe ich ja gerade noch einmal aufgezählt.

Und überhaupt ist es ja, wie ich schon sagte, schon bezeichnend, dass eben die verwendeten Begriffe von Natur aus schon assoziativ sind. Begriffe wie militärisch oder gleichgeschaltet sind ganz deutlich assoziativ und es spricht auch nichts grundsätzlich gegen ihre Verwendung, solange man sie eben als Metaphern in einem Dialog verwendet, um eben einen Eindruck zu beschreiben. Aber wenn assoziative Begriffe tatsächliche als objektive Parameter verstanden werden sollen, dann ist das mindestens verdächtig. Und der Verdacht konnte für mich bislang in keiner Weise zerstreut werden. Ganz im Gegenteil. 

Interessant übrigens auch der Umgang mit Gegenbeispielen. Du beschreibst diese vermeintlichen militärischen, begradigten, steifen, stumpfen, grobschlächtigen Schriften und liefere mit einer Abbildung der Gotenburg ein Gegenbeispiel wo nichts davon wirklich überzeugend zutrifft. Aber da gibt es kein Einlenken und keine Auseinandersetzung. Natürlich nicht. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. 

 

Auf die Gotenburg bin ich kurz eingangen, das hast du vielleicht übersehen. Ich habe auch geschrieben, daß nicht alle Schaftstiefelgrotesken gleich sind. Ich habe die Tannenberg beschrieben, weil sie hier eingangs exemplarisch gezeigt wurde, die Überschrift unserer Diskussion trägt ihren Namen. Die Gotenburg ist weniger radikal »durchgestaltet«, gewiß.

Was nun die objektiven Parameter für Schriftbeurteilung sein sollen, das bitte ich dich zu erklären.

Eine Schriftbeurteilung, die Assoziationen ausschließt, kann ich mir nicht denken. Eine formale Beschreibung ist uninteressant, leblos, eben nur eine Formbeschreibung. Danach wäre ein Hakenkreuz auch nur eine Verbindung von gewinkelten Linien. Was dem Zeichen innewohnt, ist in es hineingetragen worden, das betrifft alle Zeichen. Es gibt keine bezuglose, assoziationslose Schriftbeurteilung. Selbst die Bedeutung eines Zeichens ist Assoziation. Ein A ist ein Lautzeichen, weil wir es so definieren, nicht, weil es die Natur eines durchgestrichenen Winkels wäre, ein A darzustellen. Die Schriftanalysen von Caflisch leben von Bezügen. Die Schaftstiefelgrotesken sind heute nicht ohne starke Verfremdung einsetzbar, weil ihnen ihre Herkunft innewohnt und sichtbar ist: die Hinwendung (Zurückwendung) zum Nationalen und die übermäßige, unnatürliche Konstruiertheit und daraus entstehende Leblosigkeit. Sichtbar natürlich nur für jene, die etwas von Schrift verstehen. Das ist bei Schrift so wie auf jedem anderen Gebiet. Auch eine bestimmte Art der Kleidung wird als Kommunikationsmittel nur verstanden, wenn man die Sprache der Kleidung versteht.

 

Zitat Schnitzel:

Außerdem möchte ich noch die Frage in den Raum stellen, wie wichtig es für uns heute überhaupt ist, welche (politische) Einstellung die Gestalter hatten?! Oder ist nicht die Wirkung, die diese Schriften hinterlassen für uns als Gestalter wichtiger? Ist es wirklich unsere Aufgabe Schriftarten oder Symbole (wie die Swastika) ihres schlechten Rufes™ zu befreien? Oder sollten wir uns nur der Wirkung und Funktionsweise von Symbolen und (Schrift-)Formen bewusst sein?

 

Gute Frage! Nein, es ist nicht die Aufgabe von Entwerfern, Assoziationen ändern zu wollen. Sie müssen mit Assoziationen arbeiten, immer. Aber geht das eine ohne das andere: Kann man die Motive der Entwerfer für eine Schrift außer acht lassen, wenn die Schrift sie so stark darstellt und für jeden sofort einer Zeit und einer geistigen Haltung zuzuordnen ist (sofern er die Schrift beurteilen kann)? Caflisch hat in seinen Analysen die Künstler und ihre Absichten einbezogen. Das gehört zu jeder Analyse eines künstlerischen Werkes.

 

Zitat Ralf:

Unser Blick auf die Schrecken der Nazi-Herrschaft und die Assoziationen, die wird dabei haben, basieren auf einem Rück(!)-Blick, von dem wir nicht so einfach auf die Motivation und Rezeption von 1933 schließen kann. Eigentlich sollte das doch selbstverständlich sein.

 

Wissen wir nicht sehr, wirklich sehr viel über diese Zeit? Seit 70 Jahren wird die Zeit intensiv erforscht, die Quellen sind riesig und zeigen selbstverständlich auch Motivationen und Rezeptionen.

 

Zitat Erwin Krump:

Schriftentwicklung folgte seit der Antike immer der Architektur und ging mit ihr einher, das ist klar ersichtlich. Und jede Stilepoche bringt ihre Architektur, ihre Mode, ihre Schrift usw. hervor.

So ist eben auch das Zustandekommen der unseligen SSG erklärbar. Diese Zeit hatte sich keine andere Schrift verdient. Trotzdem wurden ja sehr viele andere Schriften von den Zeitungsmachern, Inserat- und Buchgestaltern verwendet. Also gegen den Strom der Zeit.

Wieweit nun einzelne Künstler oder Gestalter dem Regime nahestanden, steht auf einem anderen Blatt und lässt sich im Bereich Schrift ja nicht eruieren. 

 

Den ersten Sätzen stimme ich vollkommen zu. Es wurden auch nicht nur andere Schriften verwendet, sondern auch gemacht (Trump-Deutsch, oder, um mal eine andere zu nennen, die Zentenar-Fraktur). Ob die Entwerfer der Schaftstiefelgrotesken dem Regime nahestanden, wurde gar nicht erforscht. Nach dem Stand der Forschung gab es gar keine Typografen, die dem Regime dienten.

 

Das ist wieder viel Text, aber ich habe im Moment wenig freie Zeit und kann es nur so zusammenfassen.

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