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Schrift für Gutachten

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Phoibos
vor 9 Minuten schrieb R::bert:

Wenn ich mir aber vorstelle nur noch unformatierte E-Mails, Gesprächsprotokolle, Briefings, Konzepte, Gutachten und dergleichen in Courier lesen zu müssen, fände ich das eine ziemliche Zumutung:

Lass mich raten, Mac-Nutzer? ;)

Zum Einen gibt es einen nicht zu ignoriende Kreis von Nutzern, die sich bewusst gegen HTML-Emails entscheiden (Sicherheitsbedenken, Platzverschwendung, ...), zum Anderen bieten alle mir bekannten Programme die Möglichkeit, eigene Schriften zu definieren.

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Dieter Stockert
vor 14 Minuten schrieb R::bert:

Wenn ich mir aber vorstelle nur noch unformatierte E-Mails, Gesprächsprotokolle, Briefings, Konzepte, Gutachten und dergleichen in Courier lesen zu müssen, fände ich das eine ziemliche Zumutung

Andererseits sind aber gerade formatierte Mails oft eine ziemliche Zumutung, wenn die Schrift so klein bei mir ankommt, dass man sie nur mit Anstrengung lesen kann. Dann doch lieber Courier.

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R::bert
vor 13 Minuten schrieb Dieter Stockert:

Andererseits sind aber gerade formatierte Mails oft eine ziemliche Zumutung, wenn die Schrift so klein bei mir ankommt, dass man sie nur mit Anstrengung lesen kann. Dann doch lieber Courier.

Dann doch lieber unformatiert in Georgia oder Verdana. ;-) 

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spectator
vor 15 Stunden schrieb R::bert:

Zur von der Handschrift abgeleiteten Gattung gehören die Humanistischen Schriften (wie die Pensum, FF Quadraat oder Borges). Daher wirken sie üblicherweise auch dynamischer (siehe auch geneigte Schattenachse). Klassizistische Schriften dagegen (wie die Diogenes, Miller oder Whitman) haben eher ein geometrisch-konstruiertes Grundgerüst und in der Regel eine vergleichsweise statisch-ruhige Anmutung (siehe auch senkrechte Schattenachse). Daher finde ich diese Kategorie eher für Dein Vorhaben geeignet. Allerdings gibt es auch hier »Graustufen«, wie die Lyon, Meret oder Franziska bei denen Elemente aus beiden Welten miteinander verschmelzen – da wäre die Lyon als sachlich-neutrale Times-Alternative mit optischen Größen gar keine schlechte Wahl, wie ich finde.

Ein Nachtrag: Mir haben deine Ausführungen, die ein leichtes Prae für statische (klassizistische) Schriften gegenüber dynamisch-humanistischen ergeben haben, sehr eingeleuchtet. Daher hat es mich höchlich überrascht, die schätzenswerte Beorcana (deren Regular 'sturdy' ist und schön breit läuft) <https://www.myfonts.com/fonts/terrestrial-design/beorcana-pro/> unter anderem als Font für "dictionaries" angepriesen zu finden (siehe den Werbestext auf der verlinkten MyFonts-Seite). Lexika und Wörterbücher sind für mich der Inbegriff der neutralen Sachlichkeit und wissenschaftlichen Autorität - also sehr nahe an dem, was mir für ein Gutachten vorschwebt. Bin ich deiner Meinung nach hier schief gewickelt, oder sitze ich nur naiv einem Werbesprech auf?

Dein profundes Urteil, lieber R::bert, würde mich sehr interessieren!

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Dieter Stockert

Naja, der Werbetext sagt: »Beorcana’s Text styles offer comfort and liveliness in books, dictionaries, magazines and other reading-intensive settings.« Aber Wohlgefühl und Lebendigkeit wären für mich sicher keine vorrangigen Kriterien für die Schriftwahl in einem Wörterbuch. Da muss man schon viel Anderes außer Acht lassen, wenn man die Beorcana wirklich dafür einsetzen wollte.

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R::bert

@spectator

Wenn wir hier im Font-Wiki neue Schriften einpflegen, sind wir immer sehr vorsichtig was solche Werbetexte angeht, versuchen uns im Beschreibungstext eher an die offensichtlichen Fakten zu halten und gehen allenfalls auf den vom Gestalter erläuterten Entstehungsprozess und seine Absichten ein. Zur Eignung einer Schrift wird da natürlich gern viel behauptet, eine gesunde Skepsis schadet aber nie. Ein guter Schriftgestalter muss ja auch nicht zwangsläufig ein guter Typograf sein.

 

Mein Eindruck ist, dass Du schon ganz gut die Wirkung einer Schrift einschätzen kannst – nur die Entscheidung zu welcher Wirkung scheint Dir noch schwer zu fallen. Cala ist eben schon etwas anderes als Lyon, wenn Du verstehst was ich meine. Daher auch der Versuch von mir über die Kategorisierung erstmal zu einer Einordnung bzw. Sortierung zu kommen.

 

Jetzt würde es tatsächlich helfen zu wissen, was Dich noch konkret an der TheAntiqua, Lyon etc. stört. Dann könnten wir das formale Spektrum noch etwas mehr eingrenzen. Wie @Martin Z. Schröder schon richtig angemerkt hat, man könnte Dir immer noch hunderte Fonts nennen.

 

Ist Dein Anspruch freundlich, feingeistig mit distanziert und bestimmt zu vereinen oder könnte man zumindest einem Attribut die Führungsrolle überlassen und sich darauf einlassen, dass die anderen Attribute wenn überhaupt nur untergeordnet zur Entfaltung kommen?

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Phoibos
vor 5 Minuten schrieb R::bert:

 freundlich, feingeistig mit distanziert und bestimmt

Widersprechen sich freundlich und distanziert nicht?

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R::bert
vor 2 Stunden schrieb Phoibos:

Lass mich raten, Mac-Nutzer? 😉

Zum Einen gibt es einen nicht zu ignoriende Kreis von Nutzern, die sich bewusst gegen HTML-Emails entscheiden (Sicherheitsbedenken, Platzverschwendung, ...), zum Anderen bieten alle mir bekannten Programme die Möglichkeit, eigene Schriften zu definieren.

Die E-Mail war doch nur ein Beispiel von vielen. Mir ging es nur darum Martins Ansatz mal konsequent weiter zu spinnen.

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R::bert
vor 28 Minuten schrieb Phoibos:

Widersprechen sich freundlich und distanziert nicht?

Nicht unbedingt. Ein Polizist kann freundlich sein, wenn er Dich um das Zeigen Deiner Papiere bittet. Trotzdem erhöht das wohl den Schwierigkeitsgrad im vorliegenden Schriftfindungsprozess – und vielleicht ist eben genau das der Knackpunkt, warum wir bzw. @spectator hier nicht richtig weiterkommen. ;-) 

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spectator
vor 3 Stunden schrieb R::bert:

@R::bert

Ist Dein Anspruch freundlich, feingeistig mit distanziert und bestimmt zu vereinen oder könnte man zumindest einem Attribut die Führungsrolle überlassen und sich darauf einlassen, dass die anderen Attribute wenn überhaupt nur untergeordnet zur Entfaltung kommen?

Ein Hauptproblem bei Anmutungsfragen (die sich dann in Meinungsunterschieden über die "richtige" Schrift niederschlagen) sehe ich darin, dass die verschiedenen gestellten Anforderungen miteinander in Spannung stehen bzw. stehen können. (@Phoibos' Frage von eben war ein Paradebeispiel, auch wenn ich @R::berts Antwort/Lösungsvorschlag zustimme.) Deswegen ist es ganz richtig und wichtig, die Anmutungsforderungen zu hierarchisieren, damit die Richtung klar ist, in der die Auflösung von möglichen oder tatsächlichen Spannungen zu suchen ist. So viel zum Grundsätzlichen, das @R::bert ganz zutreffend geortet hat.

 

Zum Speziellen meiner Ausgangsfrage: Ich habe meines Wissens NICHT artikuliert, dass Gutachten freundlich anmuten sollen (das wäre angesichts des Inhalts vieler Gutachten geradezu irreführend!). Vielmehr habe ich die Bestimmtheit herausgestellt, die ich als ein Spezifikum der Gattung "Gutachten" ansehe. Natürlich kann man dagegen allerlei Einwände erheben und das Vorläufige auch wissenschaftlicher Ergebnisse und Urteile betonen - alles geschenkt. Trotzdem gibt das 'ideale' Gutachten ein Urteil nach bestem Wissen und Gewissen ab (dass es morgen revidiert werden kann, aber vielleicht auch in hundert Jahren nicht revidiert werden muss, steht auf einem anderen Blatt); und diese - wenn ich so sagen darf -: vorläufige Endgültigkeit kann und soll eine Schrift vermitteln können, und dafür darf sie weder zu lebhaft noch zu langweilig sein. (Deshalb kommt für mich - so sehr ich den Vorschlag verstehe - eine Allerweltsschrift wie die Times Roman nicht in Frage.)

Die von mir ebenfalls geforderte Sachlichkeit, Nüchternheit, Unaufgeregtheit und Unverspielheit sind m.E. alles Seiten- oder Nebenaspekte der sachlichen Autorität, die ein Gutachten ausstrahlen soll (ungeachtet seiner möglichen Fehlbarkeit). Es ähnelt dem Mengensatz in einem Physiklehrbuch (abzüglich seiner Formeln und dem Umstand, dass es viel umfangreicher ist): Man würde es wohl kaum in einer Beorcana, einer Bembo oder Alegreya setzen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil diese Schriften den Flair des "So ist es und nicht anders" weniger überzeugend transportieren können als eine Baskerville oder eine Walbaum (nehmt bitte bessere Beispiele, wenn ihr diese nicht überzeugend findet).

Die Fragen nach x-Höhe, Laufweite und Grauwert sehe ich ebenfalls der Bestimmtheits- bzw. Autoritätsfrage untergeordnet. Hier habe ich lediglich unsichere Hypothesen darüber, dass sehr geringe und extrem große x-Höhen, schmal laufende und helle Schriften dem abträglich sind, was mir vorschwebt. Hier lasse ich mich gerne korrigieren oder durch Beispiele eines Besseren belehren.

Ich hoffe, jetzt verdeutlicht oder vereindeutigt zu haben, worum es mir im Kern zu tun ist, und was nur Nebenaspekte meiner Frage sind.

 

 

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Phoibos
vor 13 Minuten schrieb spectator:

nicht zuletzt deswegen, weil diese Schriften den Flair des "So ist es und nicht anders" weniger überzeugend transportieren können

Also da möchte ich ganz entschieden widersprechen. Die französischen Renaissance-Antiqua haben jahrhundertelang das gedruckte Wort dominiert -- nicht zu unrecht.
Was ist denn Euer Hauptverlag für Standardwerke? Welche Schrift verwenden die?

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spectator
vor 1 Minute schrieb Phoibos:

Also da möchte ich ganz entschieden widersprechen. Die französischen Renaissance-Antiqua haben jahrhundertelang das gedruckte Wort dominiert -- nicht zu unrecht.
Was ist denn Euer Hauptverlag für Standardwerke? Welche Schrift verwenden die?

Das ist historisch zweifellos richtig, und ich sehe kein knock-out-argument dagegen, diese geschichtliche Wahrheit auch heute noch als ästhetische Richtschnur für typographische Urteile zu akzeptieren, wie du es offenbar tust. Trotzdem kann man das anders sehen, und viele Zeitungen, die eher klassizistische Schriften verwendet haben, zeigen, dass ich mit meiner Sicht nicht ganz allein stehe.

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spectator
vor 7 Minuten schrieb Phoibos:

Zum Vergleich der Anmutung im Griechischen (eine Renaissance-Antiqua gegen irgendwas erzhässliches):
https://www.loebclassics.com/view/plato_philosopher-apology/2017/pb_LCL036.107.xml?rskey=9hj2kB&amp;result=3

vs. 
https://en.calameo.com/read/0052959624e6874cde9a5

Sorry, but I'm not convinced. Zum einen kann ich das zweite Beispiel nicht einfach "erzhässlich" finden. Zum anderen - und viel wichtigeren: Eine Platon-Übersetzung ist ein ganz ander Ding als ein Gutachten. Als Philosoph lese ich selbstverständlich gerne Renaissance-Antiquas. Aber das hat wenig mit meiner Gutachten-Frage zu tun.

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Martin Z. Schröder
vor 2 Stunden schrieb spectator:

Die von mir ebenfalls geforderte Sachlichkeit, Nüchternheit, Unaufgeregtheit und Unverspielheit sind m.E. alles Seiten- oder Nebenaspekte der sachlichen Autorität, die ein Gutachten ausstrahlen soll (...). Es ähnelt dem Mengensatz in einem Physiklehrbuch (...): Man würde es wohl kaum in einer Beorcana, einer Bembo oder Alegreya setzen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil diese Schriften den Flair des "So ist es und nicht anders" weniger überzeugend transportieren können als eine Baskerville oder eine Walbaum (nehmt bitte bessere Beispiele, wenn ihr diese nicht überzeugend findet). 

Können wir uns die Beispiele würfeln? Das ist Esoterik. Baskerville und Walbaum für ein Physiklehrbuch. Es ist wirklich drollig. Ich würde noch die Bickham Script dazunehmen und die Zapfino, aber in Versalien.

Es ist schnurz, ob das Gutachten in Garamond oder Didot getippt ist, wenn die Schriften nicht typografisch angewandt werden. »Schrift ohne Anwendung ist wie eine Blume ohne Duft, ist wie eine ungekorkte Flasche und wie ein ungeküßtes Mädchen.« So hat es Günter Gerhard Lange gesagt (den letzten Vergleich hätte er sich in unseren Tagen überlegen müssen). Lange meint: Wie eine Drucksache wirkt, wird zuerst im typografischen Entwurf deutlich. Alle Elemente auf der Seite müssen planvoll angeordnet werden. Dieser Entwurf gibt der Sache das Gesicht. Ich kann mit ein und derselben Werksatzschrift ein nüchternes Bild herstellen ebenso wie ein heiteres.

 

Es gibt keine Werkschrift, also von Garamond über Caslon bis Walbaum mit allen zeitgemäßen Abkömmlingen, die als glatte Kolumne in einen Satzspiegel gesetzt nicht in der Lage wäre, einen beliebigen ernsthaften Text angemessen darzustellen. Alle diese Schriften transportieren das geschriebene Wort. Der gewöhnliche Leser nimmt die Typografie dessen, was er liest, nicht wahr – solange sie ihn nicht stört. Wenn ein Gutachten nicht durch zu kleine, zu dünne, zu enge Schrift stört, wird man schon zufrieden sein. Auf die Glaubwürdigkeit des Textes hat die Typografie erst einen Einfluß, wenn sie grob vom Gewöhnlichen abweicht. Ein Gutachten in Englischer Schreibschrift macht sich durch die Typografie verdächtig. Und es ist schwer lesbar.

 

Um auf Günter Gerhard Lange zurückzukommen: Er sagt in dem Zitat, daß eine Schrift angemessen behandelt werden muß, um ihre Eigenschaften ins Spiel zu bringen. Wenn man eine Times New Roman in WORD auf eine A4-Seite setzen kann, wie es die Voreinstellung vorgibt, qualifiziert einen das nicht, eine Walbaum oder Garamond anzuwenden, denn die Standareinstellung in WORD ist für die Times katastrophal schlecht.

 

Jede Schrift muß angemessen behandelt werden: welche Zeichenzahl ergibt im glatten Satz in einer bestimmten Größe und in einer festgelegten Weite und mit einem definierten Durchschuß in welchem Satzspiegel und zu welcher Gegenseite auf welchem Papier in welchem Druckverfahren den Eindruck, den sie haben sollte oder den ich mit ihr hervorbringen will. Eine Didot im Tintenstrahldrucker auf saugfähigem Papier auszudrucken wird es, um ein kleines Beispiel zu geben, nicht bringen. Die Didot wird verhunzt, wenn die Haarlinie bröselt. Typografie und Anwendung von Schrift sind nicht, was man mit einem Tip vom Fachmann in einer nennenswerten Qualität darstellen kann. Deshalb ist diese Diskussion hier in meinen Augen verfehlt. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen den technischen und den handwerklichen Möglichkeiten. Der Anwender kann sich die schönsten Schriften zulegen, – solange er sich mit keinem Gedanken der Anwendung zuwendet, die ein hochkomplexes Gebiet ist, wird er sowieso scheitern müssen oder nur mehr oder weniger annehmbare Zufallsergebnisse hervorbringen. Dabei ist die Schrift dann fünftrangig.

Für die Wirkungen von Schriften gibt es keine Beweise. Ob eine Walbaum seriöser wirkt als eine Garamond, liegt allein im Auge des Betrachters und seiner Lesegewohnheit. Für mich wäre eine klassizistische Schrift in einem Gutachten, gleich welchen Inhalts, verdächtig. Und zwar wegen der für mich sichtbaren ungewöhnlichen Anstrengung für die Formgebung. Und weil ich die Walbaum eher mit einer bestimmten Literatur, bestimmten Verlagen und sogar Buchgestaltern assoziiere. Sie ist zu selten, um im Rahmen bleiben zu können. An einer Universität wäre sie ein Exot. Die meisten Leute würden aber gar nicht sehen, daß die Schrift anders ist als die Times, wenn man sie nicht darauf hinweist. Und dann wäre es ihnen auch gleichgültig. Typografie ist auch eine Kunst des Unsichtbaren.

Wenn es darum geht, einem Gutachten ein Gesicht zu geben, einen bestimmten Ausdruck, dann sollte zuerst in einer alltäglichen Schrift wie etwa der Garamond oder einer moderneren, zeitgemäßen Fassung derselben, ein Entwurf angefertigt werden, der die ganze Textseite zeigt. Dabei können Fachbücher helfen, und dafür ist hier auch oft und ausgiebig beratend Hilfe geleistet worden. Man könnte auch einen Typografen damit beauftragen. Man wird dabei auf solche treffen, die der Schrift einen enormen Einfluß einräumen auf das Gesamtbild, viele Schriften gut kennen, analysieren und anwenden. Das zeichnet sich hier in der Diskussion schon ab. Man wird auch auf Leute wie mich treffen, die mit wenigen Schriften durch ihr ganzes Berufsleben kommen und dann amüsiert sind, wenn man darüber staunt, weil man es den Arbeiten nicht ansieht, wie klein der Werkzeugkasten war.

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spectator

@Martin Z. Schröder

Das ist eine sehr substanzielle Stellungnahme, die ich ernstnehme und für die ich mich bedanke! Gleichwohl kann ich nicht alles an ihr unterschreiben.

 

Vielleicht hätte ich dazu sagen sollen, dass ich VORAUSSETZE, dass die jeweils gewählte Schrift auch typographisch angemessen behandelt wird (ob ich das kann, ist ein ganz andere Frage - die meisten hier sind mir hierin sicherlich überlegen). Oder, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: Welche Schrift tut ihren Job - ceteris paribus - besser? Also, wenn ein Profi FÜR EINE GEGEBENE, WOHLDEFINIERTE AUFGABE (z.B. für die Anfertigung eines Gutachtens) nach allen Regeln der Kunst eine Bembo oder eine Walbaum einsetzt - willst du sagen, dass die Ergebnisse dann unter dem Strich gleichwertig und austauschbar oder die Unterschiede zwischen ihnen vernachlässigbar sind? (Sachlich offenkundig abwegige Schriften wie eine Zapfino lasse ich hier außen vor.)

 

Ich räume gerne ein, dass gute Buchgestalter mit einem kleinen Werkzeugkasten erstaunliche Resultate bewirken können. Aber daraus folgt natürlich in keiner Weise, dass sie mit einem großen Werkzeugkasten nicht NOCH bessere Resultate hätten erzielen können. Und natürlich folgt auch das Gegenteil nicht, dass sie mit einem großen Werkzeugkasten ZWANGSLÄUFIG bessere Resultate erzielen. Mit anderen Worten: Mich interessiert im Augenblick gar nicht, wie Profis de facto in einer Welt mit beschränkten Mitteln zurechtkommen, sondern welche Wirkungen mit welchen Mitteln idealerweise erzielt werden könnten. Ich gebe zu, dass das in manchen Ohren ein sehr akademisches Interesse ist, und ich nehme es niemandem übel, der meine Frage und die dazu gehörige Diskussion nicht relevant findet. Ich habe bereits einiges aus ihr gelernt, und mein Eindruck ist, dass viele Diskussionen in diesem Forum eine ähnliche Fragerichtung bedienen, wie ich sie verfolge, wenn es ihnen darum geht, die optimale Schrift für ihren speziellen Zweck zu finden.

 

Dass man die beste Schrift typographisch verhunzen kann, ist ebenso ein Truismus, wie dass man mit bescheidensten Mitteln Beachtliches leisten kann. Aber unter Berufung auf diese Truismen müsste man sehr viele Fragen abweisen, die hier mit ernsthaftem Interesse gestellt und glücklicherweise (z.B. von R::bert) auch ernsthaft beantwortet werden.

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R::bert
vor 3 Stunden schrieb spectator:

Zum Speziellen meiner Ausgangsfrage: Ich habe meines Wissens NICHT artikuliert, dass Gutachten freundlich anmuten sollen (das wäre angesichts des Inhalts vieler Gutachten geradezu irreführend!). Vielmehr habe ich die Bestimmtheit herausgestellt, die ich als ein Spezifikum der Gattung "Gutachten" ansehe. Natürlich kann man dagegen allerlei Einwände erheben und das Vorläufige auch wissenschaftlicher Ergebnisse und Urteile betonen - alles geschenkt. Trotzdem gibt das 'ideale' Gutachten ein Urteil nach bestem Wissen und Gewissen ab (dass es morgen revidiert werden kann, aber vielleicht auch in hundert Jahren nicht revidiert werden muss, steht auf einem anderen Blatt); und diese - wenn ich so sagen darf -: vorläufige Endgültigkeit kann und soll eine Schrift vermitteln können, und dafür darf sie weder zu lebhaft noch zu langweilig sein. (Deshalb kommt für mich - so sehr ich den Vorschlag verstehe - eine Allerweltsschrift wie die Times Roman nicht in Frage.)

Die von mir ebenfalls geforderte Sachlichkeit, Nüchternheit, Unaufgeregtheit und Unverspielheit sind m.E. alles Seiten- oder Nebenaspekte der sachlichen Autorität, die ein Gutachten ausstrahlen soll (ungeachtet seiner möglichen Fehlbarkeit). Es ähnelt dem Mengensatz in einem Physiklehrbuch (abzüglich seiner Formeln und dem Umstand, dass es viel umfangreicher ist): Man würde es wohl kaum in einer Beorcana, einer Bembo oder Alegreya setzen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil diese Schriften den Flair des "So ist es und nicht anders" weniger überzeugend transportieren können als eine Baskerville oder eine Walbaum (nehmt bitte bessere Beispiele, wenn ihr diese nicht überzeugend findet).

Sehr schön – ich glaube das hilft mir jetzt etwas klarer zu sehen. 

 

Stimmt, »Freundlichkeit« hast Du selbst nicht ins Feld geführt – zumindest nicht verbal. Aber Du hast die Cala verwendet und andere Schriften genannt, die ich durchaus auch als freundlich einstufen würde – daher das Nachhaken.

 

Gut dann gehen wir jetzt mal ins Detail. Wenn Du mich fragst, würde ich erstmal alles ausschließen, was irgendwie nur den Hauch von aufweichendem »Zierrat« oder ausladenden Elementen enthält. Das kann die Century Supra mit dem geschwungen Bein am R und den vielen Tropfenserifen sein oder abgerundete Serifen bzw. Strichenden einer Garamond bzw. Cala. Ich würde also formal nach absoluter Stringenz und Disziplin Ausschau halten. Gestalterische Extravaganzen sollten möglichst genauso wenig eine Rolle spielen wie feingeistige Finessen und ein filigranes Erscheinungsbild. Aus meiner Sicht könnte es sogar schon in Richtung Slab gehen, da diese Schriften durch ihre klaren und gut sichtbaren Serifenformen etwas mehr »Wucht« oder zumindest Eindeutigkeit ermöglichen.

 

Was fällt mir da momentan ein? Von oben nach unten immer mehr in Richtung Slab:

 

Noe

  • Ich glaube nach wie vor, dass man es mit dieser unverspielten, statischen Antiqua mal probieren könnte
  • Durch ihr beinah geometrisches Grundgerüst wirkt sie auf mich aufgeräumt und stringent
  • Noch vergleichsweise neu und unverbraucht
  • Möglicherweise sind nur die charakteristischen, spitzen Keilserifen schon zu extravagant 
  • Andererseits ist sie dadurch auch alles andere als weichgespült und lieblich

 

Cambria

  • Wurde als robustes Arbeitspferd und Times-New-Roman-Alternative für Windows konzipiert
  • Sticht durch einen überdurchschnittlich großen Zeichenumfang hervor, der auch wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden kann
  • Wurde meines Wissens nach auch schon für Nachschlagewerke eingesetzt
  • Ist aber als Windows-Systemschrift nicht total außergewöhnlich, was ich aber hier vernachlässigen würde 

 

Guradian Egyptienne

  • Sehr ausgewogene, ruhige humanistische Slab-Serif ohne unnötige Schnörkel
  • Ursprünglich für den Zeitungssatz entworfen und daher auch schön robust

 

TheSerif

  • Sehr ausgewogene, ruhige humanistische Slab-Serif ohne unnötige Schnörkel, ähnlich PMN Caecilia
  • Bietet einen überdurchschnittlich großen Zeichenumfang der auch wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden kann

 

Compatil Letter

  • Sehr ausgewogene, ruhige klassizistische Slab-Serif ohne unnötige Schnörkel
  • Bietet allerdings nur einen moderaten Zeichenumfang

 

 

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vor einer Stunde schrieb Martin Z. Schröder:

Deshalb ist diese Diskussion hier in meinen Augen verfehlt. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen den technischen und den handwerklichen Möglichkeiten. 

Und bei deiner Einlassung ein Ungleichgewicht zwischen Theorie und Wirklichkeit. Es werden jeden Tag Millionen Wordtexte ohne fachliche feintypografische Behandlung erstellt, verschickt, gedruckt, publiziert und dann wieder millionenfach gelesen. Grundsätzlich dagegen argumentieren zu wollen, ist absurd, weil einfach realitätsfern. »Man könnte auch einen Typografen damit beauftragen« sagst du. Nein, kann man nicht millionenfach. Poetische Vergleiche mit Musik und sexistische Typografen-Zitate ändern nichts an dieser Realität.

Die Typografie ist in der Hand der Masse angekommen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und so wirkt es ebenfalls absurd, wenn dann vorgeschlagen wird, man könne dem entgegentreten, indem man Texte ohne fachliche feintypografische Behandlung (was du »gesetzt« nennst), den Anschein eines vordigitalen Schreibmaschinendokuments gibt, damit es irgendwie aussieht, als hätte man ein Werkzeug verwendet, welches typografische Feinarbeit verbietet. Was natürlich faktisch einfach nicht stimmt. Daher ist es ein reiner Show-Effekt! Die Computerschreibmaschinenschrift verhält sich natürlich wie jede andere digitale Schrift auch – ist nur wie alle dicktengleichen Schriften tendenziell nicht sonderlich lesefreundlich für lange Texte. Fast alle typografischen Überlegungen und Feinarbeiten sind aber genauso möglich. Sie dann nur nicht zu machen, weil man optisch ein vordigitales Manuskript vorgaukelt, ist schon arg weit hergeholt. Und widerspricht sich meiner Meinung nach auch selbst. Gegen die »nicht gesetzten« Texte sagst du, dass sie Profis schmerzen. Aber Schreibmaschinentypografie (mit falschen Anführungszeichen, nicht vorhandener Bindestrich-Gedankenstrich-Unterscheidung und mangelnder Lesefreundlichkeit) soll kein Problem der Typografie und Lesbarkeit sein? Soll es wirklich wichtiger sein, dass z.B. der Lektor als Berufsleser ohne Not die schlechte Lesbarkeit der Schreibmaschinentypografie erdulden muss, nur damit man ihm gleichzeitig einen Manuskript-Effekt vorgaukeln kann? Will er das wirklich? Und wie soll man sich das in der Praxis vorstellen? Soll ich als digitaler »Manuskript-Tipper«,  der gegebenenfalls durchaus in der Lage ist, korrekte Interpunktion zu setzen, tatsächlich absichtlich alles "falsch" machen - damit es nach Manuskript aussieht, nur damit dann später der Typograf meine unnötigerweise eingebrachten »Fehler« wieder korrigieren darf? 

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spectator

@R::bert

Tausend Dank! Das sind großartige und hilfreiche Auskünfte! Die Noe habe ich mir angesehen und kann deine Beurteilung sehr gut nachvollziehen!

Dein Plädoyer für die anderen Schriften werde ich ebenfalls ernsthaft prüfen, zumal ich die Guardian Egyptienne vor Jahren mal ausprobiert und ohne rechten Grund wieder in die Ecke gestellt habe. TheSerif ähnelt der TheAntiqua, die ich nur wegen der etwas gering kontrastierenden Kursive und der recht großen x-Höhe nicht vollkommen überzeugend fand; grundsätzlich steht sie bei mir aber hoch im Kurs.

Gerade als tastender Dilettant bin ich sehr dankbar für jede Belehrung, die meine Defizite grundsätzlich als behebbar ansieht und mich nicht überheblich abbügelt. Deine Antworten waren eine fachliche UND menschliche Bereicherung für mich!

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Martin Z. Schröder
Am 2.10.2018 um 12:17 schrieb spectator:

Die Briefbögen gibt die Hochschule vor, leider auch den Satzspiegel, mit suboptimal schmalen Seitenrändern, so dass man von einer vollgepackten DIN-A-4-Seite mit ca. 16 cm langen Zeilen ausgehen muss.

vor einer Stunde schrieb spectator:

Also, wenn ein Profi FÜR EINE GEGEBENE, WOHLDEFINIERTE AUFGABE (z.B. für die Anfertigung eines Gutachtens) nach allen Regeln der Kunst eine Bembo oder eine Walbaum einsetzt - willst du sagen, dass die Ergebnisse dann unter dem Strich gleichwertig und austauschbar oder die Unterschiede zwischen ihnen vernachlässigbar sind?

»Nach allen Regeln der Kunst« würde ich diesen Auftrag ablehnen, weil mit einem solchen Satzspiegel keine Typografie zu machen ist, die größeren Aufwand rechtfertigt. Nach deinen Angaben von 11-Punkt-Schrift auf 16 cm kommt man auf etwa 90 Zeichen pro Zeile. Mit diesen Vorgaben würde ich allenfalls eine unauffällig breiter laufende Schrift empfehlen, um die Zeichenzahl zu reduzieren. Also eher Garamond als Times, den Schriftgrad müßte man anpassen, die metrischen Angaben dazu sagen nicht genug aus. Aber man kann aus diesen Vorgaben eigentlich nichts machen. Diese Vorgaben zu ändern, wäre für mich die Voraussetzung für nähere Befassung. In diesen Vorgaben würde ich eine leicht gesperrte Pica (Courier nicht, die ist schrecklich weil zu dünn und zu eng und voller Detailschwächen) mit anderthalbzeiligem Zeilenabstand und 65 Zeichen pro Zeile empfehlen, das ergäbe eine Schriftgröße von 11 Punkt. Das liest sich durchaus gut auf einer A-4-Seite mit engen Rändern, die man auch ein bißchen weiter schummeln kann. Daß man dieses Bild für Nostalgie halten könnte, sehe ich ein. Aber das würde ich dann aushalten. An solchen Schriften wird typografisch nie etwas gearbeitet, nicht einmal im Bleisatz, weil sie durch Bearbeitungen den Monospace-Charakter verlieren würden. Das macht es sehr einfach, mit dem Text umzugehen. Wenn ein Text für ein Buch gesetzt wird, ist es egal, in welcher Schrift er vorher erfaßt wurde. Je weniger Formatierung, desto leichter hat es der Setzer. Wer das Bild der Schreibmaschine nicht aushält, dem würde ich für den zu breiten A4-Satzspiegel eine breitlaufende Schrift mit kräftigen Serifen empfehlen.

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R::bert
vor 6 Minuten schrieb Martin Z. Schröder:

Wer das Bild der Schreibmaschine nicht aushält, dem würde ich für den zu breiten A4-Satzspiegel eine breitlaufende Schrift mit kräftigen Serifen empfehlen.

Schön, dass wir am Ende des Tages doch noch irgendwie zusammengefunden haben.

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spectator
vor 4 Minuten schrieb Martin Z. Schröder:

»Nach allen Regeln der Kunst« würde ich diesen Auftrag ablehnen, weil mit einem solchen Satzspiegel keine Typografie zu machen ist, die größeren Aufwand rechtfertigt. Nach deinen Angaben von 11-Punkt-Schrift auf 16 cm kommt man auf etwa 90 Zeichen pro Zeile.

@Martin Z. Schröder

Die etwa 90 Zeichen pro Zeile sind leider traurige Wahrheit, und die seltsamen Vorgaben des vorgeschriebenen Briefpapiers kann ich nicht ablehnen, ohne Ärger zu bekommen. Gutachten haben nämlich Rechtsfolgen, und wenn sie nicht formgerecht abgefasst werden, kann man in Teufels Küche kommen ...

 

Auch deine weiteren Ratschläge werde ich in meine künftigen Überlegungen einbeziehen, zumal sie zum Experimentieren einladen, was einem Dilettanten wie mir großen Spaß macht.

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