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Langes s in heutigen Texten in gebrochener Schrift – notwendig, möglich oder unsinnig?

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Martin Z. Schröder

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass dieses Wissen auch ohne Verwendung auf einem Spiegel-Titel vorhanden ist – also keine Spur von Verblödung  :-o

Mich würde ja mal interessieren, ob es eine Erhebung gibt wievielen Menschen (nicht Setzern) die Regeln vor hundert Jahren klar waren, und wem ein falsch gesetztes s aufgefallen wäre ..?

 

... und das man als Intellektueller unbedingt regelmäßig Fraktur lesen muss um sich als solchen bezeichnen zu dürfen, halte ich für eine sehr steile These  8-)

Also bitte, vor hundert Jahren waren alle deutschen Tageszeitungen in Fraktur gesetzt, man schrieb Kurrent, es gab nur wenige anderes, nur in Kunst und Wissenschaft kam Antiqua vor, später auch in Mode- und Lifestylemagazinen. Natürlich wäre jedem das falsche s in der Wortmitte aufgefallen, dazu braucht man doch keine »Erhebungen«.

Ich finde die These eigentlich recht gut, aber ich würde sie nicht von regelmäßiger Lektüre abhängig machen, sondern so formulieren: Wer keine Fraktur lesen kann, ist sicherlich kein deutscher Intellektueller. Vielleicht irre ich, aber eigentlich sollte ein Kopfarbeiter die Schulschrift der letzten lebenden Generation nicht für ein Geheimnis oder auch nur eine Schwierigkeit halten. Jeder geübte Antiqua-Leser liest binnen Minuten fließend Fraktur.

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Wenn einer keine Fraktur liest und in seinem Umfeld Fraktur nicht üblich ist, dann ist diese faktische Wirklichkeit nicht allgemeingültig.

Aber sicher ist das eine faktische Wirklichkeit. Zähle alle in Deutschland in diesem Jahr erschienenen Zeitungen und und prüfe sie auf auf die Verwendung von Fraktur oder Antiqua. Nehmen alle neu erschienenen Romane und prüfe. Du findest, dass weit über 90% (ich bin mal konservativ ;-) ) Antiqua-Satzregeln benutzen und kein ſ mehr vorkommt. Das ist ein Fakt und das ist die heutige Üblichkeit. Da beißt die Maus keinen Faden ab. 

Ob einzelne 8 Stunden am Tag Frakturbücher lesen, ist dabei doch völlig irrelevant. Du hängst weiterhin an dieser Idee, dass der Schriftanwender irgendwie eine kundige Elite in ihren Gewohnheiten bedienen müssten, selbst wenn diese bei der jeweiligen Publikation die absolute Minderheit darstellen. Klar, kann machen. Mir leuchtet aber nicht ein, warum das empfehlenswert sein soll. Warum, sagte ich ja schon mit meinem Versalien-Großbuchstaben-Beispiel. Schrift ist ein Kommunikationsmittel. Ich möchte jemanden erreichen. Nicht selten möchte ich sogar möglichst viele erreichen, möchte eine bestimmte Nachfrage bedienen und möchte nicht selten sogar Geld als Gegenleistung. Warum ich es dabei der Mehrheit der Empfänger schwerer machen soll, um gleichzeitig die Erwartung einer Elite zu bedienen, weiß ich nicht. Dies widerspricht meinem Verständnis von Typografie (und Orthografie, Ausdruck, …). 

 

Den Begriff »üblich« zu definieren, muß man denen überlassen, die alte Schriften lesen, nicht jenen, die einmal im Jahr ein Restaurant mit Fraktur ausstatten, weil das so gemütlich ausschaut oder einen »Spiegel«-Titel, auf dem es um den Nationalsozialismus geht, weil gebrochenen Schriften ganz allgemein idiotischerweise neben der Gemütlichkeit auch der Nationalismus zugerechnet wird.

 

Nö. Weder »muss« man das, noch ist es irgendwie realistisch. Üblich ist, was eben (allgemein) üblich ist. Und Üblichkeit entsteht in der Masse. Du kannst gern andere Gruppen bilden und sagen »unter Frakturfreunden üblich«, »unter Bleisatzdruckern üblich« oder ähnliches, aber dies wäre dann nicht mehr das allgemeingültige »üblich«. 

 

… weil Abweichungen davon das Bild empfindlich stören und das diesen Lesern lästig ist.

 

Tja, und dies ist nun eben einfach zunehmend umgekehrt. Für eine große Zahl von Schriftanwendungen ist es immer mehr Lesern heute »lästig« (wie du es sagst), mit historischen Konventionen konfrontiert zu werden, wenn sie nur die aktuellen Satzkonventionen gewöhnt sind. Ich sage das erstmal völlig wertfrei. Wenn du selbst Lästigkeit als Kriterium einbringst, musst du auch akzeptieren, dass Millionen heute klassische Satzregeln als lästig (weil ungewohnt) vorkommen. Und wenn du diese Lästigkeit vermeiden möchtest, würde das in gar vielen Fällen gegen traditionelle Regeln sprechen. Dein Argument verkehrt sich also zunehmend gegen dich, je mehre Jahre vergehen. Und es wird auch durch Einzelanwendungen nach klassischen Regeln nicht aufzuhalten sein. 

 

Als ich in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vor drei (nicht dreißig) Jahren eine ganze Seite in verschiedenen gebrochenen Schriften gesetzt hatte, kamen etliche Leserbriefe, die mich auf ein paar falsche Schluß-s hinwiesen. 

Glaube ich dir gerne. Und die Welt dreht sich trotzdem weiter – hin dazu, dass gebrochene Schriften in allgemeinen Anwendungen nach normalen Antiqua-Regeln und aktueller Rechtschreibung gesetzt werden; dass dies die übliche Schreibweise sein wird; dass die meisten Leser dies als normal, richtig und weniger lästig wahrnehmen werden. Genauso wie beim Verschwinden des ſ aus der Antiqua …

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Pachulke

 Wie bei jeder Debatte halt – es geht darum zu prüfen, ob Thesen oder Antithesen überzeugender oder (bei faktischen Aussagen) im Zweifel sogar wahr sind. 

 

Ich war mir, ehrlich gesagt, bei Verwendung des Wortes »Verblödung« nicht bewußt, damit eine erörterungswürdige These aufgestellt zu haben.

 

 

Was dieses Beispiel zeigen soll, ist mir schleierhaft. In der 1930ern hörte man auch andere Musik und zog andere Kleidung an.

 

… und wenn man halt einen Film darüber macht, muß man sich Kenntnisse über den damaligen Kleidungs- und Musikstil aneignen. Wo nicht, baut man Anachronismen in den Film ein und multipliziert seine falschen bzw. absenten historischen Kenntnisse beim Zuschauer. Das gleiche gilt für die Typo- und Orthographie.

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CRudolph

Dazu fällt mir mal wieder einer meiner Lieblingsvorträge ein, und zwar ganz explizit der Abschnitt von 17:20 bis 18:30 min. Ich würde Seth Godin mit der ursprünglichen Aussage zum Tufte-Diagramm eher der »progressiven« Seite zuordnen, aber er erklärt sehr schön und mit persönlichem Zugeständnis warum beide Seiten eben recht haben. Das läßt sich im Prinzip 1:1 auf die obige Diskussion anwenden.

 

Ansonsten kann ich zur obigen Debatte nur sagen: **gähn**

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… und wenn man halt einen Film darüber macht, muß man sich Kenntnisse über den damaligen Kleidungs- und Musikstil aneignen. 

 

Eben. Das Wissen über die damaligen Konventionen müsste man sich spätestens dann aneignen, wenn man eine historisch korrekte Darstellung der damaligen Zeit machen möchte. Man muss aber nicht heute so rumlaufen wie in den 1930ern, damit jeder weiß, wie man in den 1930ern rumlief. Und man muss eben aus gleichem Grund Schrift nicht so setzen wie damals. 

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… aber er erklärt sehr schön und mit persönlichem Zugeständnis warum beide Seiten eben recht haben. 

 

Tut er das? Ich höre als Fazit nur das hier ja auch geäußerte »es kommt auf die Zielgruppe, nicht den einzelnen an«. 

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CRudolph

Ja, eben. Es gibt eben Zielgruppen, sowohl für als auch gegen den Einsatz des langen s. Solange das der Fall ist wird man sich auch nicht in einer solchen Diskussion einig. Und die Ist-Lage ist ja auch klar: das lange s ist nun mal aus der Schriftsprache verschwunden. Hier in England mittlerweile spurlos und die Leute können wirklich nur noch etwas damit anfangen wenn sie mal historische Texte studiert haben. In Deutschland wird das wahrscheinlich noch so ein bis zwei Generationen dauern, aber dann wird es dort ähnlich sein.

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Ja, eben. Es gibt eben Zielgruppen, sowohl für als auch gegen den Einsatz des langen s.

 

Naja, das ist aber exakt mein Standpunkt. Somit vertrete ich gar keinen Pol in einer ſ-ja-nein-Diskussion, die keine Einigung ermöglichen würde. 

 

Und die Ist-Lage ist ja auch klar: das lange s ist nun mal aus der Schriftsprache verschwunden.

Tja, jene, denen diese Lage nicht gefällt, ist es augenscheinlich nicht so klar und man verweist auf vermeintlich nicht außer Kraft gesetzte Regeln; Eliten, die ein Vorrecht für ihre Gewohnheit haben sollen usw. 

Das wird ja gerade alles diskutiert. 

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CRudolph

 Naja, das ist aber exakt mein Standpunkt. Somit vertrete ich gar keinen Pol in einer ſ-ja-nein-Diskussion, die keine Einigung ermöglichen würde. 

 

Habe ich doch auch gar nicht behauptet! Ich habe doch nur den Zusammenhang hergestellt. Seth Godin sagt ja im Prinzip: ich finde dieses Diagramm völlig ungeeignet, aber andere brauchen das eben so und die scheren sich dann auch nicht um die die es eben nicht brauchen. Das fasst doch eigentlich diese hier nun schon so oft geführte Diskussion kurz und knapp zusammen, ohne daß man 2 Seiten mit mehr als 33 langen Beiträgen (Tendenz steigend) füllen müßte. Ich klinke mich ja ansonsten aus diesen Diskussionen einfach aus, aber das fand ich hier so ermüdend daß ich es mir nicht verkneifen konnte meinen Senf dazu zu geben. Das ist doch fast schon so wie mit Trollen: da wird ein Bild in Fraktur mit falschem s gepostet und dann gibt es ein wenig Schreierei von wegen des Untergangs der Abendländischen Kultur und dann ist bis zur nächsten Gelegenheit Ruhe und man kann sich wieder konstruktiven Dingen zuwenden.

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Dieter Stockert

Nach einiger Leseübung wird das ſ dann allmählich von diesem bloßen Nicht-Hindernis zu der Lesehilfe, als die es gedacht ist.

Ich lese in Fraktur gesetzte Bücher bestimmt seit mindestens einem halben Jahrhundert. Aber trotz aller Gewöhnung an das lange s war und ist es für mich wegen der Ähnlichkeit mit dem f eigentlich immer noch ein Stolperstein.
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Vitrioloel

Das ist einfach nicht der Punkt!

»Er wird sich schon irgendwie dran gewöhnen« ist kein Prinzip der Typografie. Ausdruck, Orthografie und Typografie berücksichtigen die Leseerwartung des Lesers und kommen ihr so weit wie möglich entgegen.

Und warum hat man uns dann die neue Rechtschreibung aufgezwungen? Mittlerweile hat sich zwar die Mehrheit daran gewöhnt aber am Anfang empfanden sie alle als störend. In auf Papier gedruckten mißfällt die neue Rechtschreibung mir noch heute, im Netz macht mir ein Addon die Welt, so wie sie mir gefällt.

Aber zurück zum langen ſ. Letztendlich ist die Diskussion darüber zwar interessant aber trotzdem sinnlos. Es treffen zwei Weltsichten aufeinander die sich schwer vereinbaren lassen. Die einen und zu denen zähle ich mich auch, sehen in der gebrochenen Schrift ein Kulturgut welches möglichst originalgetreu erhalten werden sollte. Würde die gebrochene Schrift noch im Alltag Verwendung finden, würden wie zur Zeit der Zweischriftigkeit Zeitungen und Bücher damit gedruckt und es hätte sich aber darin eingebürgert auf das ſ zu verzichten. So würde man dies wohl akzeptieren (vielleicht auch darüber meckern). Da die gebrochene Schrift aber kaum noch verwendet wird, so möchte man sie dann doch wenigstens so erhalten wissen wie sie damals üblicherweise verwendet wurde.

Andere, denen ich jetzt hier keinesfalls Kulturlosigkeit oder Ähnliches vorwerfen möchte, betrachten die Fraktur vielleicht weniger als Kulturgut und so fällt es ihnen leichter sie heutigen Lesegewohnheiten anzupassen.

M.E. wäre es aber am besten, man würde den Schülern im Deutschunterricht die gebrochene Schrift nahebringen, ihnen vielleicht sogar ein paar Stunden beibringen Kurrentschrift zu schreiben. Dann wäre diese Diskussion gar nicht nötig und vielleicht fände die Frakturschrift auch wieder im Alltag Verwendung. Welch schöner Gedanke.

 

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Þorsten

Hier in England [ist das ſ] mittlerweile spurlos [verschwunden] und die Leute können wirklich nur noch etwas damit anfangen wenn sie mal historische Texte studiert haben.

»Mal studiert haben« heißt dann aber wohl »in der Schule irgendwann mal einen alten Text mit ſ gesehen haben«. Die Engländer, mit denen ich verschwägert bin, haben allesamt MINT-Fächer studiert, kennen aber alle das ſ – aus ihrer Schulzeit. Is thus.™ ;-)

 

am Anfang empfanden [die Rechtschreibreform] alle als störend.

Blödsinn! Meine Mutter hat vor und nach Einführung der Reform Grundschülern das Lesen und Schreiben beigebracht. Sie hat schon im ersten Jahr gesagt, dass sie sich zwar umgewöhnen musste, ihre Schüler aber klar profitiert haben. Ich finde die Reform, wenn auch nicht perfekt, so doch besser als die Lage davor. Vieles ist sinnvoller als vorher. Ich mache weniger Fehler.

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… ein Kulturgut welches möglichst originalgetreu erhalten werden sollte.

Und auch für dich wieder die gleichen Fragen: Welches Original hätten Sie denn gern? Wo ist in hunderten Jahren Wandel von Schriftstil, Zeichenvorrat, Typografie und Orthografie das eine Original, welches man erhalten sollte?

B) Warum soll »Kulturgut« Stillstand bedeuten? Muss eine bestimmte Sprache auch unveränderlich sein, weil sie ein Kulturgut ist? Warum sollte es eine bestimmte Schriftkonvention sein?

 

P.S. Bitte die Diskussion um die neue Rechtschreibung an anderer Stelle weiterführen.

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Martin Z. Schröder

Diese Fragen werden jedem gestellt, auch wenn sie schon beantwortet sind. Erneut also: Die Rede ist vom letzten Stand der Fraktur als alltägliche Gebrauchsschrift. Es geht um die Fraktur, die noch in den privaten Bücherregalen steht und die antiquarisch für kleines Geld gehandelt wird und die man eben noch so nebenbei liest. Es geht nicht ums Mittelhochdeutsche. Was daran stellt eigentlich eine so große Verständnishürde dar? Oder ist diese Antwort der Beachtung unwürdig?
Die Fraktur ist so etwas wie ein schönes Barockschloß. Da baut man vernünftigerweise keine Bauhaus-Terrasse an. Auch wenn man es kann. Wer das dann macht, wird eben ein paar scheele Blicke ernten.

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Diese Fragen werden jedem gestellt, auch wenn sie schon beantwortet sind. Erneut also: Die Rede ist vom letzten Stand der Fraktur als alltägliche Gebrauchsschrift.

 

Die Fragen sind leider nicht beantwortet. Es gibt ein schwammiges »so wie früher« und schwammige/polemische Argumentationen mit dem Einwurf von Schlagwörtern wie Kulturgut, Verblödung und ähnlichem. 

Belastbare Argumente und eine klare Logik kann ich dahinter nicht erkennen. Ganz im Gegenteil: ich sehe nur den üblichen Logikfehler der konservativen Haltung zu Schrift und Sprache: was hinreichend lange in der Vergangenheit passierte, ist »historisch gewachsen« und führt zum dem Stand X in der Vergangenheit, der einem gewohnt und somit »richtig« vorkommt. Passiert eben jenes historische Wachsen aber in jüngerer Vergangenheit, wird es mit Verfall, Verblödung, Kulturgutverlust und was nicht noch betitelt. Eine sich immer wiederholende Diskussion. Die einzige Variable dabei ist das Geburtsjahr des Konservativen. Je nachdem, wo man ihn auf der Zeitleiste absetzt, wird er z.B. mal die alte Rechtschreibung oder bestimmte typografischen Satzkonventionen anpreisen oder verdammen.

 

Wenn ich mich da irre, bitte ich eben um stichhaltige Argumente und präsentiere die Fragen, die das ermöglichen würden, sogar auf dem Silbertablett. 

Hier also gleich nochmal für dich: Warum durfte das ſ aus sämtlichen Sprachen (die es früher einsetzen) und der deutschen Antiqua verschwinden, aber wiederholt sich exakt dieser Prozess heute für die deutschsprachig gesetzte Fraktur, dann ist das abzulehnen? Es mag ja für deine persönliche Lesekonditionierung »lästig« sein, aber warum soll das im Gesamtzusammenhang ein Maßstab sein, wenn es einer immer größer werdenden Mehrheit anders geht?

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Martin Z. Schröder

Wenn man heute Fraktur setzt, macht man das aus nostalgischen und dekorativen, auch politischen Gründen. Denn die Fraktur ist keine Gebrauchsschrift unserer Zeit. Sie wird es auch nie wieder werden. Fraktursatz ist also, was zuletzt, als diese Schrift noch im allgemeinen Gebrauch war, gesetzt wurde. Fraktursatz ist deshalb nur echt in der letzten gültigen Fassung. Ein abgewandelter Fraktursatz ist ein Imitat. So wie Klinker-Tapete. Es gibt die Ansicht, daß Imitate sinnvoll sind. Ich teile sie nicht. Das lange s wegzulassen, entspricht nicht dem Bild der Fraktur als Gebrauchsschrift. Für ein dekoratives Element kann das in bestimmten Zusammenhängen von mir als gleichgültig angesehen werden: Mir ist es gleichgültig, wie gemütliche Weinstuben ihre Schrift setzen. Ich bin schon froh, wenn ich es lesen kann, das ist heute schon viel. Wenn Journalisten das lange s in der Fraktur nicht benutzen, halten sie entweder mich für unfähig, es zu lesen, oder ich halte sie für ungebildet. Vielleicht gibt es auch Journalisten, die meinen, daß man die Fraktur der heutigen Schreibweise anpassen müßte. Ich glaube es nicht. Aber freundlicherweise angenommen, daß ein Spiegelmitarbeiter, der eine gebrochene Zierschrift zur Nazi-Assoziation einsetzt, also nicht weiß, was er tut, ein klares Bild hat vom Umgang mit gebrochenen Schriften und das lange s wegläßt, weil er die politische Nostalgieschrift an die heutige Schriftsprache anpassen will (schwer nachvollziehbar, nur Theorie), dann sind er und ich unterschiedlicher Ansicht. Über diesen Punkt kommen wir nicht hinaus. Das ist auch keine Frage der Mehrheit. Mehrheiten sind nicht klüger oder besser als Minderheiten und umgekehrt. Solche Fragen entziehen sich demokratischen Entscheidungen. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Das müssen wir aushalten, auch wenn es schwer fällt. Wir dürfen aber sagen, daß wir es blöd finden. Auf beiden Seiten.

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CRudolph

»Mal studiert haben« heißt dann aber wohl »in der Schule irgendwann mal einen alten Text mit ſ gesehen haben«. Die Engländer, mit denen ich verschwägert bin, haben allesamt MINT-Fächer studiert, kennen aber alle das ſ – aus ihrer Schulzeit. Is thus.™ ;-)

 

Öhm, ewischt; mein Kommentar war ein reines Zugeständnis an diese Forum. Diejenigen die ich nämlich hierzulande dazu befragt haben kannten das ſ nämlich allesamt nicht. Wenn ich’s erklärt habe kam höchstens ein: ›Ja, da war mal was, vielleicht in der Schule oder so …‹ Aber wie ich sagte: es ist hierzulande ausgestorben und interessiert damit auch wirklich niemanden.

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Wenn man heute Fraktur setzt, macht man das aus nostalgischen und dekorativen, auch politischen Gründen. Denn die Fraktur ist keine Gebrauchsschrift unserer Zeit. Sie wird es auch nie wieder werden.

Soweit so klar. Aber wieso führt das unweigerlich zu diesem Fazit:

 

Fraktursatz ist also, was zuletzt, als diese Schrift noch im allgemeinen Gebrauch war, gesetzt wurde.

 

Ich hab das ja schon in meinen Artikeln zu dem Thema angeprangert. Woher soll diese Logik »man müsse Schriftstile so setzen, wie zu der Zeit also sie (letzt-)üblich waren« kommen? Ich kann das sachlich einfach nicht nachvollziehen und kann auch nicht erkennen, dass das irgendwie irgendwo generell so gehandhabt werden würde.

Wenn ich »nostalgische Dekoration« möchte, dann kommt diese doch aus der Schrift/dem Schriftstil selbst. Ich hab einen Text und weise aus meinem Fontmenü eine passende Schrift zu, die sich irgendwo in 2000 Jahren lateinischer Schrift verorten lässt. Das kann z.B. eine Unziale sein, die freilich auch keine Verkehrsschrift mehr ist. Ich müsste aber nach der Schriftwahl nicht zwangsläufig die Typografie oder gar Orthografie ändern. Warum also bei gebrochener Schrift?

 

(Ich stelle mich hier natürlich bewusst dumm, aber die Frage ist aus Sicht der Masse der Schriftanwender, die letztlich die heutige Üblichkeit bestimmen, absolut legitim.) 

 

Das ist auch keine Frage der Mehrheit. Mehrheiten sind nicht klüger oder besser als Minderheiten und umgekehrt. Solche Fragen entziehen sich demokratischen Entscheidungen. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Das müssen wir aushalten, auch wenn es schwer fällt. Wir dürfen aber sagen, daß wir es blöd finden. 

 

 

Schon. Das wäre dann eine reine Meinungsäußerung und damit kaum angreifbar. Du kannst eine bestimmte Lieblingsfarbe haben und gebrochene Schrift in einer bestimmten Satzweise mögen. Dagegen kann ich schwer argumentieren. 

Aber oft bleibt es eben nicht bei der Ebene der reinen Meinungsäußerung. Es wird versucht, eine universelle, sachliche Richtigkeit der Haltung zu Schrift-/Sprachkonventionen zu unterstellen und andere für »falschen Satz« anzuprangern usw. Genau da werde ich eben immer wieder einspringen. 

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Martin Z. Schröder

Es ist eine Frage des konsistenten Stils. In meiner Werkstatt ist Fraktur noch lebendig, habe ich sie im Setzkasten und setze manchmal damit. Sie ist auch, wie ich schon schrieb, für viele Leser noch lebendig. (Wenn jemand sagt, er lese Fraktur seit 50 Jahren und stolpere über das lange s, weil es wie ein f aussähe, dann bin ich ratlos. Ich verstehe das nicht. Es widerspricht all meinen Erfahrungen, an dieser Stelle endet das Verständnis und dann vielleicht auch das Gespräch. Das nur am Rande.) Also die Fraktur ist noch hier und da am Leben. Ich lese pro Jahr mindestens ein Buch in Fraktur und zusätzlich oft noch kleinere Texte in Fraktur. Das tun auch viele andere Leute so, etliche leben beruflich in Frakturtexten. Also es gibt nicht wenige Kenner dieser nicht mehr in Gebrauch befindlichen Schrift, die ein bestimmtes Schriftbild gewohnt sind.

Wenn nun jemand hergeht und die Fraktur für einen neuen Einsatz verwendet und das lange s herausnimmt, dann erfindet er für einen fast toten, also nur noch in Nischen lebendigen Stil eine eigene, neue Satzart. Ich kreide an, daß das nicht echt ist. Ich finde meinen Vergleich recht passend: Klinker-Tapete. Ich verwende einen Stil, aber nur zum Teil. Jeder Kenner sieht sofort, daß es »falsch« ist, billig nachgemacht, jeder Laie sieht Ziegelsteine. So ist es auch bei der Fraktur: Jeder Kenner sieht in der Fraktur ohne langes s ein frisches Imitat, jeder Laie sieht: Oh, was Altes.

Man kann schlecht aus 2000 Jahren Schriftgeschichte irgend eine Type greifen und nach Gutdünken setzen, ohne daß aus dieser Ignoranz sichtbare Ungeschicklichkeiten entstehen. Man sperrt aus diesem Grunde auch keine Minuskeln. Konsistenter Stil, das scheint mir eine gute Begründung.

Unziale – das Beispiel wäre erklärungsbedürftig. Wurde jemals zu ihrer Zeit ein deutsches Wort mit ihr geschrieben? Sie ist als Satzschrift ein reines Kunstprodukt, sie war nie gedruckte Verkehrsschrift. Der Vergleich mit einer Fraktur in Deutschland ist verfehlt oder will auf eine falsche Fährte führen. Wer beim Wechsel von Antiqua zu Unziale die Typografie nicht ändert, wird sehr wahrscheinlich nichts Gutes vollbringen.

All diese Begründungen sind Meinungsäußerungen. Ich glaube, wer mit »Sachlichkeit« und »Fakten« und so etwas argumentiert, verwechselt Typografie mit Physik oder will seine Meinungsgegner diffamieren. Das sind rhetorische Blendgranaten. Typografie ist eine unwissenschaftliche Handwerkskunst; wissenschaftlich allenfalls in historischer Beschreibung wie Satzspiegelberechnung und Schriftanalyse und dergleichen. Aber auch deine, Ralf, Ansichten zu diesem Thema, sind Meinungen. Wir werden es nicht erleben, daß eine davon zur alleingültigen Wahrheit geadelt wird. Zumal kaum jemand in seinem Leben seine Meinungen nicht mehrfach ändert, wenn er nicht von Natur aus ein Fanatiker ist. Wenn ich mir als Zwanzigjährigem begegnen würde, wir zwei hätten sicherlich in vielen Fragen richtig Krach.

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CRudolph

Erstens finde ich den Terminus ›Gebrauchsschrift‹ katastrophal. Fraktur ist überall in gebrauch. Man muß sich ja nur mal den Tatoo-Strang oder den nächstgelegenen T-Shirt-Shop ansehen. Natürlich sind das Display-Anwendungen. ›Satzschrift‹ träfe es m.E. deutlich besser. Aber wenn sie in gebrauch ist, dann erübrigt sich auch diese ganze Diskussion um Barockschloß und Klinker-Tapete. Wenn man ordentlich damit setzen will, dann sieht es noch mal anders aus, aber das muß man dann auch klar abgrenzen, denn der Stein des Anstoßes war nun mal eine reine Display-Anwendung.

 

Und was das ſ im Textsatz ansgeht kann ich Dieter nur zustimmen. Ich kann Texte in Fraktur durchaus flüssig lesen, ein Stolperstein bleibt das ſ trotzdem. Ähnlich ist’s mit der ft-Ligatur in Diogenes-Taschenbüchern. Ich liebe sie heiß und innig, aber ein Stolperstein bleiben sie trotzdem. Das ist eine rein subjektive Wahrnehmung. Da muß man gar nicht drüber diskutieren.

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Erwin Krump

Der Verzicht auf das „lange s“ ist keinesfalls ein Zeichen unserer Zeit.

 

Man kann in alten und ziemlich alten Büchern, vor allem bedeutender englischer und amerikanischer Gestalter, ebenfalls das Fehlen des „langen s“ bemerken.

 

Auch wenn ich, oder gerade weil ich, über die Anwendung und die „s-Schreibung“ Bescheid weiß, kann ich bewusst darauf verzichten.

 

Als persönliche Entscheidung würde ich bei Fraktursatz das „lange s“ verwenden. In einem sinnvollen Zusammenhang auch bei Antiqua. 

 

Das Beispiel zeigt eine Seite aus Edward Burne-Jones, The well at the world’s end. Buchgestaltung W. Morris (Chaucer-Type). Kelmscott-Press, Hammersmith 1896. (Aus: Jugenstil Druckkunst, Hans H. Hofstätter, Holle-Verlag Baden-Baden)

 

Das zweite Beispiel ist ein Detail einer Schriftprobe von William Addison Dwiggins, Chicago 1909. (Copyright 2013 by Rob Saunders)

 

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catfonts

Iſt es nicht viel mehr ſo, daſs das ſ hautſächlich dadurch außer Gebrauch gekommen iſt, weil es bei Schreibmaſchinen - und dann bei Einführung des digitalen Satzes schlicht techniſche Einſchränkungen gab?

 

Es gab ja durchaus Schreibmaſchinenſchriften mit ſ:

 

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Und mittlerweile hat das ſ ja einen Platz im Unicode und iſt in immer mehr Schriften (auch Antiqua-Schriften) enthalten,

 

Iſt das Argument, man ſolle es nicht Verwenden, weil es so lange außer Gebrauch ist, ein Argument, auch auf typografiſche Anführungsſtriche (und damit die oft ſchwierigen Varianten in fremdſprachlichen Texten) zu Gunſten der auch faſt überall genutzten "modernen Anführungsſtrichen" zu Verzichten?

 

Vor einiger Zeit fand ich übrigens im Internet eine Anleitung:

 

"So ersetzen Sie in OpenOffice die angeblichen typografischen Anfürungsstriche durch die Richtigen"

(Gemeint waren dann die von der Schreibmasſchine gewohnten geraden Anfuhrungszeichen)

 

mikroa.jpg

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Es ist eine Frage des konsistenten Stils. In meiner Werkstatt ist Fraktur noch lebendig, habe ich sie im Setzkasten und setze manchmal damit. Sie ist auch, wie ich schon schrieb, für viele Leser noch lebendig. (Wenn jemand sagt, er lese Fraktur seit 50 Jahren und stolpere über das lange s, weil es wie ein f aussähe, dann bin ich ratlos. Ich verstehe das nicht. Es widerspricht all meinen Erfahrungen, an dieser Stelle endet das Verständnis und dann vielleicht auch das Gespräch. Das nur am Rande.) Also die Fraktur ist noch hier und da am Leben. Ich lese pro Jahr mindestens ein Buch in Fraktur und zusätzlich oft noch kleinere Texte in Fraktur. Das tun auch viele andere Leute so, etliche leben beruflich in Frakturtexten. Also es gibt nicht wenige Kenner dieser nicht mehr in Gebrauch befindlichen Schrift, die ein bestimmtes Schriftbild gewohnt sind.

Okay, wir drehen uns da wirklich im Kreis. Du sprichst von deiner persönlichen Gewohnheit/Erwartung und der einiger Kenner, ich spreche (mehr als Beobachter) davon, was im allgemeinen Schriftverkehr passiert, warum es passiert und wie es eventuell in allgemeine Muster von Sprach- und Schriftentwicklung passt. 

Beides ist nicht miteinander vereinbar. Du scheinst zu erwarten, dass selbst Massenmedien (die ihre Zielgruppe schon im Namen tragen) vornehmlich Eliten-Kenntnisse bedienen – mir leuchtet das nicht ein. An dem Punkt kommen wir wohl nicht weiter und es gibt kaum noch etwas hinzuzufügen.

 

Wenn nun jemand hergeht und die Fraktur für einen neuen Einsatz verwendet und das lange s herausnimmt, dann erfindet er für einen fast toten, also nur noch in Nischen lebendigen Stil eine eigene, neue Satzart.

 

Eigentlich nicht. Er erfindet gar nichts, sondern nimmt die heute verkehrsüblichen Satzweisen, die jedem vertraut sind – wie bei jedem anderen Schriftstil der lateinischen Schrift auch. Egal ob römische Kapitalis, englische Schreibschrift, franzöische Renaissance-Antiqua oder was auch immer. Schriftstil und Orthografie werden üblicherweise getrennt behandelt. Warum die gebrochene Schrift da eine Ausnahme sein muss (und vor allem bleiben soll), sollte erstmal gezeigt werden.

 

Ich kreide an, daß das nicht echt ist. Ich finde meinen Vergleich recht passend: Klinker-Tapete. Ich verwende einen Stil, aber nur zum Teil. 

 

Ja, das ist der übliche Gebrauch von Schriften – wie eben schon gesagt. Ich wechsle nicht automatisch zur Orthografie und Typografie von 1800, wenn ich zur Walbaum-Antiqua greife, warum also bei der Walbaum-Fraktur? 

Warum durfte die Walbaum-Antiqua in der üblichen Anwendung ihr ſ verlieren (und ein ß statt ſs bekommen), aber der gleiche Prozess darf sich nicht für die Walbaum-Fraktur wiederholen?

 

All diese Begründungen sind Meinungsäußerungen. Ich glaube, wer mit »Sachlichkeit« und »Fakten« und so etwas argumentiert, verwechselt Typografie mit Physik oder will seine Meinungsgegner diffamieren. Das sind rhetorische Blendgranaten.

 

Wenn das dein Ernst ist, hast du nach dieser langen Diskussion meine Position noch nicht einmal in Ansatz verstanden. Meine Rolle in dieser Diskussion ist die des Fragenden/Beobachtenden. Ich mache hier nichts anderes, als eure Positionen zu hinterfragen. Ich vertrete gar keine Gegenmeinung/-position (etwa »man solle Frakturtexte heute immer ohne ſ setzen«). Ich beobachte und beschreibe, was passiert und hinterfrage, warum ihr meint, dass diese Entwicklung nicht stattfinden solle. Ich versuche zu prüfen, ob die Argumente schlüssig und realistisch sind und wie sie im Gesamtzusammenhang zu betrachten sind (etwa im Vergleich zur Abschaffung des ſ in der Antiqua und gebrochenen Schriften anderer Länder). 

Und ja: ich spreche von Sachlichkeit und Fakten. Was üblich ist, lässt sich belegen und ist keine Frage von Meinungen. Tendenzen im Einsatz des ſ lassen sich belegen und sind keine Frage von Meinungen. Sachliche Vergleiche zu ähnlichen Entwicklungen lassen sich ziehen. Und so weiter und so fort. 

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