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Typografie-Artikel

Neuigkeiten und Fachartikel zu Schrift und Typografie
Es hat sich seit den 1990er-Jahren leider nicht geändert: Die Betriebssystemhersteller setzen für ihre eigene Software vor allem auf TrueType-basierte Fonts. PostScript-basierte Fonts spielen (im Gegensatz zur Designbranche) bei Betriebssystemherstellern eher eine Nebenrolle und werden weniger gut getestet. Apple hatte zuletzt 2011 mit diesem Problem zu kämpfen, als in OS X 10.6.7 PostScript-basierte Fonts in Programmen und PDFs versagten. Mit der neuesten Aktualisierung von Mac OS X machen PostScript-Fonts schon wieder Probleme. 
 
Wie die Techniker von FSI FontShop International herausfanden, verarbeitet Yosemite PostScript-basierte OpenType-Schriften falsch, wenn diese einen von 1000 abweichenden UPM-Wert haben. Dieser Wert bestimmt die Feinheit des Rasters, auf dem die Ankerpunkte der Buchstabenumrisse liegen. Schriften im Format PostScript Type 1, wie es sie seit den 1980er-Jahren gibt, hatten stets einen UPM-Wert von 1000. Mit der Einführung des OpenType-Formates fiel die Beschränkung auf 1000 Einheiten und immer mehr Designer wählten nun größere Werte, um die Details des Schriftentwurfes besser kontrollieren zu können. Dennoch gibt es immer wieder Software, die entgegen der Angaben in den OpenType-Spezifikationen von 1000 Einheiten für PostScript-basierte OpenType-Fonts ausgeht und die Skalierung der Schriften dann falsch berechnet. So geschieht es aktuell in OS X 10.10 (Yosemite). Beim Druck oder PDF-Export aus Programmen wie TextEdit, Pages etc. (also allen Programmen, die Apples Grafikbibliotheken zur Generierung des Drucks benutzen) werden die betreffenden Schriften völlig falsch dargestellt.
 

oben: Gesetzter Text in TextEdit; unten: exportiertes PDF
 
Wer überprüfen möchte, ob die eigenen Schriften betroffen sind, muss dazu lediglich die Fonts in der Schnellvorschau (»QuickLook«) betrachten. Auch dort zeigt sich das Problem. In Programmen wie Illustrator oder InDesign tritt das Problem jedoch nicht auf. Wir werden diesen Artikel aktualisieren sobald es neue Informationen oder eine Software-Aktualisierung von Apple gibt. 
 
Update: Das Problem wurde offenbar mit dem Update 10.10.2 behoben. 
Erik Spiekermann ist der wohl bekannteste deutschsprachige Typograf. Nach einem schaffensreichen Arbeitsleben zieht er sich nun gerade Schritt für Schritt aus dem Alltagsgeschäft zurück. Die von ihm maßgeblich mitbegründete gelb-schwarze Schriftenwelt der FontFont-Bibliothek und des FontShop-Versandhandels trat er kürzlich zur Überraschung vieler an Monotype ab. Dafür kehrt Erik nun wieder zu seinem Wurzeln als Drucker zurück und ist häufig in seiner neuen Hochdruck-Werkstatt p98a zu finden. Es ist ein passender Zeitpunkt, um auf sein Lebenswerk zurückzublicken. Sein Weggefährte Johannes Erler hat dazu in Zusammenarbeit mit dem Verlag »Gestalten« die Biografie »Hallo, ich bin Erik« erarbeitet. Doch kann sie uns noch viel Neues verraten, dass wir nicht ohnehin schon über den omnipräsenten »Typomanen« Spiekermann wissen? Ich finde, durchaus!



Das Buch ist keine klassische Biografie in Gestalt eines durchgängigen Fließtextes, sondern eher fragmentarisch angelegt. In voneinander unabhängigen Texten und Interviews berichten Erler und viele Weggefährten über Abschnitte von Spiekermanns beruflichem und privatem Leben sowie den konkreten Projekten und zahlreichen Unternehmungen. Dies macht das Werk erfreulich abwechslungsreich und kurzweilig. Die Anektdoten von Kollegen und die reiche Bebilderung aus Privatfotos und unzähligen Arbeitsproben tragen ihr Übriges dazu bei.
 


Gesetzt ist das 320-seitige, in Deutschland gedruckte Hardcover-Buch in einem extra angefertigten, halbfetten Schnitt der Akzidenz-Grotesk, den Käufer des Buches mit einem persönlichen Code auch herunterladen können. Das großzügige Format und die Gestaltung sind der Aufmachung als Portfolio-Präsentation angepasst. Die Texte sind aber dementsprechend oft recht klein gesetzt. Die beißend-orange Leuchtfarbe kommt zum Glück nur ab und zu als Hintergrund und für kurze Textabschnitte zur Anwendung.
 




Lediglich Spiekermanns Schriftentwürfe sind in einem gesonderten Teil am Ende des Buches zusammengefasst. Ansonsten zieht sich die umfassende Werkschau (verteilt auf die sieben Abschnitte »der Designer«, »der Schriftgestalter«, »der Unternehmer«, »der Netzwerker«, »der Autor«, »der Techniker« und »der Mensch«) nahezu über das gesamte Buch. Die Verbindung dieser Bereiche in einer Person ist es wohl auch, die Spiekermanns Wirken so besonders und erfolgreich macht. Und so feiert dieses Buch nicht nur das Lebenswerk Spiekermanns, sondern letztlich auch ganz allgemein die Rolle erfolgreichen Kommunikationsdesigns – als ein Werkzeug der Verständigung, das, ob es den Menschen bewusst ist oder nicht, nahezu alle Teile unseres Lebens berührt. »Es ging mir immer und bis heute darum, Kommunikation möglichst präzise zu gestalten. Ich möchte verständlich sein, weil ich finde, dass es unendlich viel zu entdecken und zu verstehen gibt. Das wollte ich mein ganzes Leben lang«. (Erik Spiekermann)
 
Buch bei Amazon aufrufen Über 70 weitere Typografie-Bücher werden in unserem Wiki vorgestellt
Mit seiner neuesten Desktop-Betriebssystem-Version OS 10.10 (Yosemite) rückt Apple deren Aussehen näher an das Mobilbetriebssystem iOS heran. Im Zuge dessen weicht auch die lange Zeit für die grafische Benutzeroberfläche benutze Lucida Grande – eine Version der Lucida Sans – der Helvetica. Dies mag nicht jedem gefallen. Insbesondere auf Monitoren ohne Retina-Auflösung macht die Lucida mit ihren offeneren Formen und der großzügigen Zurichtung eine bessere Figur als die Helvetica. Die folgende GIF-Animation zeigt den Unterschied.  
 

 
Das Ergebnis steht im Gegensatz zu Apples eigener Aussage über die »großartige neue Schrift«, die nun »besser lesbar« sein solle. 
 

 
Und natürlich habe manche Designer auch schlicht generell eine Abneigung gegenüber der seit Jahrzehnten übermäßig stark eingesetzten Helvetica. 
 

 
Findige Entwickler haben daher bereits Lösungen gefunden, wie man die Helvetica in OS 10.10 wieder los werden kann, ohne selbst tief ins System eingreifen zu müssen. Dieses auf GitHub zur Verfügung gestellte Skript ersetzt die Helvetica wieder durch die etablierte Lucida Grande. Starten Sie die im Download-Paket enthaltene App einfach mit einem Rechtsklick oder mit »CTRL + Klick → Öffnen« und bestätigen Sie die Ersetzung. Nach einem Neustart bzw. einer Neuanmeldung wird systemweit wieder die Lucida Grande verwendet. Bei Bedarf ist auch eine Deinstallationsmöglichkeit im Skript enthalten. 
 
Wer weder die Lucida, noch die Helvetica mag, kann sich auch das Download-Paket des Berliner Schriftechnikers Jens Kutílek anschauen. Darin befinden sind speziell präparierte Schnitte der Fira Sans, die dem System vorgaukeln, eine Helvetica zu sein. Es reicht, die Schriften in den Font-Ordner der Benutzer-Library zu legen und sich neu anzumelden. Wer nicht zufrieden ist, kann die Fonts einfach wieder löschen um damit zur Helvetica zurückzukehren. 
 

Mac OS 10.10 mit Fira Sans als UI-Schrift
 
Wer schon dabei ist, Neuerungen von OS 10.10 zurückzunehmen, dem gefallen eventuell auch folgende Tipps. Die unnötigen Transparenz-Effekt wird man über folgende Einstellung wieder los:
Systemsteuerung → Bedienungshilfen → Anzeige → Transparenz reduzieren.
 

 
Safari 8 schneidet URLs im Adressfeld nun direkt nach der Top-Level-Domain ab. Wer zur besseren Orientierung die komplette URL der aktuellen Seite sehen möchte, findet die zugehörige Auswahlmöglichkeit in den Safari-Einstellungen unter »Erweitert«.  
 

An den Emoji scheiden sich die Geister. Für die einen sind sie längst ein selbstverständlicher Teil der digitalen Kommunikation (z.B. in Online-Diensten wie WhatsApp, Twitter, Facebook etc.), andere wähnen durch sie das nahe Ende des herkömmlichen Schriftgebrauchs. Doch wie auch immer man zu diesem Thema steht: Emoji werden täglich millionenfach benutzt. Da sie aus Japan stammen, sind die Bedeutungen mancher Zeichen hierzulande jedoch nicht immer intuitiv verständlich. Hier eine Auswahl oft missverstandener Emoji.
 

Kopfschmerzen? Liegestütze?
Diese Emoji steht für eine Verbeugung bzw. im übertragenen Sinne für eine Respektbekundung. 
 
 

Oh Schreck!?
Diese Person reißt nicht erschreckt die Hände über den Kopf, sondern bildet ein O, um zu sagen »Alles okay«.
 
 

Turnübungen?
Diese Geste bildet das Gegenstück zum zuvor gezeigten Okay-Emoji und steht für »nicht okay«. 
 
 

High-Five? 
Dieses Emoji steht nicht für zwei Personen, die freudig die Hände zusammenschlagen, sondern symbolisiert vor allem eine Geste der Dankbarkeit oder Entschuldigung – gegebenenfalls auch ein Gebet. 
 
 

Trauer? Weinen?
Der dargestellte Tropfen steht für den kalten Schweiß auf der Stirn und drückt somit Angst oder Sorgen aus. Für Traurigkeit gibt es ein eigenes Symbol mit einer Träne unter dem Auge. 
 
 

Sternschnuppe?
Dieses Symbol symbolisiert Benommenheit (»Sterne sehen«). 
 
 

Pass auf!? Hör zu?!
Dieses Symbol wird oft als Einleitung von weiblichen Gesprächspartnern benutzt, steht aber eigentlich für ein »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« (z.B. an einem Informationsschalter oder einer Hotel-Rezeption).
 
 

Gebirge? Ein seltsames M?
Für Europäer ein kaum verständliches Symbol. Es markiert den Beginn bzw. Wechsel eines Gesangsteils, zum Beispiel beim Karaoke. 
 
 

Keks mit undefinierbarem Viereck?
Dies ist ein japanischer Reis-Cracker mit einem essbaren Algenblatt. 
 
 

Litfaßsäule?
Ein altes, aber hierzulande kaum gebräuchliches Barbier-Symbol.
 
 
Typografie.info bietet für die von Apple erwählten Emoji im Unicode – die auch andere Unternehmen wie Microsoft, Twitter und Facebook übernommen haben – eine komplette Übersicht mit deutschen Beschreibungen: 
Liste »Personen« aufrufen Liste »Natur« aufrufen Liste »Objekte« aufrufen Liste »Orte« aufrufen Liste »Symbole« aufrufen  
(Abbildung 3D-Emoji von Good Custom Goods)
2010 entwarf der Schriftgestalter Friedrich Althausen ein Logo für eine Architektin. Die eleganten Versalbuchstaben hatten jedoch auch das Potenzial, um zu einer kompletten Display-Schrift ausgebaut zu werden. Entsprechend dem anvisierten Einsatz bekam die 2014 erschienene Schrift den Namen »Überschrift«. Sie besitzt eine komplette westeuropäische Versal-Belegung und zahlreiche Alternativbuchstaben. Eine Besonderheit bilden die 200 Versal-Ligaturen, mit denen sich auf Wunsch besonders markante Wortbilder erstellen lassen.

Dieses Logo war die Basis für die Entwicklung der Überschrift
 








 
Schriftmuster-PDF laden Lizenzierung über FDI Type Foundry oder MyFonts
Die Leipziger Schriftgießerei J.G. Schelter & Giesecke wurde am 24. Juni 1819 von Johann Andreas Gottfried Schelter und Christian Friedrich Giesecke gegründet. Beide hatten neben ihrer Lehrzeit auch als Gehilfen bei den bekannten lokalen Offizinen Breitkopf & Härtel bzw. Tauchnitz Erfahrungen gesammelt. Die technische Ausstattung war zunächst noch bescheiden. In der Leipziger Barfußmühle wurde mit einfachsten manuellen Mitteln Schrift gegossen. Auch mit dieser Technik konnte es ein erfahrener Gießer jedoch auf fünf- bis sechstausend Lettern am Tag bringen. 

Barfußmühle
 
1831 war das Unternehmen mit drei Gießöfen, acht Gehilfen und drei Lehrlingen schon so sehr gewachsen, dass die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten und man bezog ein Grundstück im Naundörfchen westlich des Leipziger Stadtkerns. Von Schelter wurden eine ganze Reihe neuer Buch- und Titelschriften geschnitten, aber man kaufte auch Materialen anderer Gießereien hinzu, etwa Frakturschriften von Walbaum. 1836 wurde im Journal für Buchdruckerkunst eine schon sehr umfangreiche 123-seitige Probe mit unzähligen Antiqua- und Frakturschriften sowie vielen nichtlateinischen Schriften besprochen. 

Betriebsstätte Naundörfchen
 
Schelter zog sich nach dem Tod seines einzigen Sohnes 1839 aus dem Unternehmen zurück und Giesecke führte das Unternehmen allein weiter. Er widmete sich nun auch vermehrt der Modernisierung der Gießtechnik. 1842 wurde der Schriftguss mit einer Gießpumpe beschleunigt. 1846 folgte die erste Gießmaschine, die von Brockhaus nach amerikanischen Vorbild gebaut worden war. Die Fertigungsleistung des Gießers stieg damit auf zehn- bis zwölftausend Lettern pro Tag an. 

Gießpumpe (links) und Gießmaschine (rechts)
 
Giesecke verstarb 1851 während einer Cholera-Epidemie und hinterließ ein florierendes Geschäft, das nun von seinen Söhnen Carl Ferdinand Wilhelm und Bernhard Rudolph übernommen wurde. Sie erweiterten auch die angebotene Produktpalette. Es wurde eine Messinglinienfabrik angegliedert und man begann mit der Fertigung von Buchdruckutensilien. In den 1870er-Jahren betrieb das Unternehmen 70 Gießmaschinen, Gießöfen und Klischiermaschinen und beschäftige 200 Personen. Abermals suchte man neue Betriebsräume und errichtete schließlich ein großes Fabrikgebäude in der Leipziger Brüderstraße 26/28. Die Fertigung von Maschinen nahm nun einen immer größeren Stellenwert ein und neben der Herstellung von Maschinen für die Druck wurden sogar Fahrstuhlanlagen gebaut. 

Fabrikgelände in der Brüderstraße 26/28. 
 
Auch im 20. Jahrhundert blieb das Unternehmen erfolgreich und wurde 1930 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen jedoch enteignet und ging schließlich im volkseigenen Betrieb Typoart auf. 
Die folgenden Abbildungen zeigen den Geschäftsbetrieb von Schelter & Giesecke gegen Ende des 19. Jahrhunderts und wurden zu Ehren des 75-jährigen Bestehens des Unternehmens angefertigt. 

Gießersaal, südlicher Teil

Abteilung für Handgießmaschinen


Abteilung für Schrift-Vollendmaschinen



Lagerräume für Schriftgießerei-Erzeugnisse


Hausdruckerei


Quelle für Texte und Bilder: »75 Jahre des Hauses J.G. Schelter & Giesecke in Leipzig« (1894) aus der Bibliothek der Pavillon-Presse Weimar
One to rule them all. Monotype zementiert nach den großen Übernahmen der letzten Jahre (Linotype, MyFonts) nun endgültig seine weltbeherrschende Stellung und übernimmt den letzten verbliebenen, »großen« Konkurrenten FontShop. Enthalten in der Übernahme sind sowohl die Foundry FSI FontShop International (mit Schriften wie FF Meta, FF DIN etc.), als auch das Vertriebshaus FontShop, das Schriften verschiedener Hersteller vertreibt. 
Damit sind nun alle große Schriftenshop in einer Hand: fonts.com, linotype.com, myfonts.com, fontshop.com – egal wo man bestellt, Monotype hat die Fäden in der Hand. Wie immer bei solchen Übernahmen beteuern die Presse-Mitteilungen, dass für die Kunden (zunächst) alles beim alten bleibt. Die FontShop-Marken und Aktivitäten (z.B. die TYPO-Konferenzen) sollen bestehen bleiben und ausgebaut werden. Doch wann haben sich solche Quasi-Monopole jemals als gut für den Kunden herausgestellt? Für mich ein trauriger Tag. Wie ist die Einschätzung der Community?
 
Zugehörige Links:
Monotype acquires FontShop International FontShop schließt sich Monotype (Fontblog.de) PAGE: Community-Stimmen I PAGE: Community-Stimmen II PAGE: Community-Stimmen III
Vier Jahre nach der letzten Hauptversion erscheint mit der Version 7.0 nun eine weitere große Erweiterung des Schriftzeichen-Standards Unicode, die 2834 neue Zeichen mitbringt und den Gesamtumfang der kodierten Zeichen damit auf 113.021 Zeichen erhöht. Einige der neuen Bildzeichen in Unicode 7.0 sorgen in der Berichterstattung für Erheiterung. Zu diesen Zeichen zählen zum Beispiel:
»Stinkefinger« U+1F595
REVERSED HAND WITH MIDDLE FINGER EXTENDED »Vulkanier-Gruß« U+1F596
RAISED HAND WITH PART BETWEEN MIDDLE AND RING FINGERS »Schwebender Geschäftsmann« U+1F574
MAN IN BUSINESS SUITE LEVITATING Die Auswahl solcher Zeichen wirkt auf Außenstehende nicht selten verwunderlich oder gar willkürlich. Doch hinter der Aufnahme neuer Zeichen stehen langwierige Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse unter der Mitwirkung von Wissenschaftlern und nationalen und internationalen Normungsinstituten. 
Der schwebende Geschäftsmann hat es übrigens lediglich aus Kompatibilitätsgründen in den Unicode geschafft. Die weit verbreiteten Piktogramm-Fonts Webdings und Wingdings wurden in den Unicode aufgenommen und damit auch der im Webdings-Font enthaltene, »schwebende Geschäftsmann«, der laut Aussagen der Zeichnerin Jen Sorenson eine Art Ausrufezeichen angelehnt an Plattencover der Band The Specials darstellen soll. 
 

 
Neben weiteren Bildzeichen und neuen Währungszeichen für Rubel und den Aserbaidschan-Manat wurden auch 23 neue Zeichensysteme aufgenommen: Altnordarabische Schrift, Altpermische Schrift, Bassa-Schrift, Duployé-Kurzschrift, Elbasan-Schrift, Grantha-Schrift, Kaukasisch-Albanische Schrift, Khojki-Schrift, Khudabadi-Schrift, Linearschrift A, Mahajani-Schrift, Manichäische Schrift, Mende-Schrift, Modi-Schrift, Mro-Schrift, Nabatäische Schrift, Pahawh Hmong, Palmyrenische Schrift, Pau Cin Hau, Psalter Pahlavi, Siddham, Tirhuta und Warang Citi. 
 
Mit 23 neuen Schriftsystemen ist dies die größte Anzahl neuer Systeme, die in einer Unicode-Version hinzugefügt wurden. Unicode 1.0 startete 1991 mit 24 Schriftsystemen. Die Erfassung aller Schriftzeichen der Welt wird also weiterhin konsequent vorangetrieben, auch wenn in der Berichterstattung der Fokus oft auf Piktogrammen bzw. Emoji liegt. 
 

Die Linear-Schrift A der minoischen Kultur Kretas ist nun auch im Unicode vertreten
 
Noch fehlen entsprechende Fonts, die die neuen Zeichen aus Unicode 7.0 anzeigen können. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass zumindest die neuen Symbole und Währungszeichen mit den nächsten größeren Betriebssystem-Aktualisierungen in Systemfonts aufgenommen werden. 
Ende April 2014 fand in Weimar ein Typografie-Wochenende statt, das gemeinschaftlich von der Bauhaus-Universität Weimar und dem Druckgrafischen Museum Pavillion-Presse veranstaltet wurde.
 
Laufweite 5,5 km
Am Samstag (26. April 2014) fanden sich rund sechzig Typografie-Interessierte im Rahmen der Tagung »Laufweite 5,5 km – Ein typografischer Spaziergang« in Weimar ein. Federführend bei Konzeption, Organisation und Durchführung waren Studierende des Fachbereichs Visuelle Kommunikation unter der Leitung von Dipl.-Designer Konstantin Wolf. Die Planung der Veranstaltung wurde vom Lehrstuhl Typografie der Fakultät Gestaltung durch Prof. Jay Rutherford und Gaby Kosa betreut. Namensgeber war einerseits die typografische Laufweite und andererseits die Laufweite im Sinne der Distanz zwischen den einzelnen Veranstaltungsräumen. Die Vorträge fanden bewusst an verschiedenen Standorten, wie dem Van-de-Velde-Bau der Bauhaus-Universität Weimar, dem Deutschen Bienenmuseum, der Eckermann Buchhandlung und der Galerie ACC statt, um abwechslungsreiche Wege zwischen den Programmpunkten zu gestalten, welche die Teilnehmer gemeinsam spazierend zurücklegten.
 


Tagungseröffnung über den Dächern Weimars
 


Die Sprecher (hier Roland Stieger) hielten keine einstündigen Vorträge, sondern kurze, so genannte Impulsvorträge, die die Basis für anschließende Diskussionen bildeten.
 

Speed Reading – Jan Filek, Autor des Buches Read/ability
 




Friedrich Forssman verschafft sich Überblick
 

Die Publikumsdiskussionen (hier Jan Middendorp) waren Teil des Programms
 
Das Konzept ging voll und ganz auf. Durch diese offene Struktur wurde der ungezwungene fachliche und persönliche Austausch gefördert und die Grundlage für eine kommunikative Athmosphäre gelegt. Dies ermöglichte es den Teilnehmern unabhängig von Alter, Status oder Erfahrung miteinander inspirierende und sinnstiftende Gespräche zu führen. Die Tagungsteilnehmer beschäftigten sich mit aktuellen Fragestellungen aus den Bereichen Typografie, Buchgestaltung und Grafikdesign. Zu den Referenten zählten Fachleute wie zum Beispiel der Designer und Verleger Lars Müller (Zürich), der Typograf und Buchgestalter Paulus M. Dreibholz (London) und die Professorin für Designgeschichte und -theorie Petra Eisele (Mainz). Für mehr Informationen zu den Gästen, den diskutierten Inhalten sowie dem Format der Veranstaltung besuchen Sie: www.laufweite.info.
 
Walbaums Schriftklassizismus
Am Sonntag (27. April 2014) schloss sich dann die Eröffnung der von Ralf Herrmann kuratierten Ausstellung »Walbaums Schriftklassizismus« in der Weimarer Pavillon-Presse an. Sie beleuchtete die Geschichte der Walbaum-Antiqua und verwandter klassizistischer Schriften unter besonderer Berücksichtigung des Antiqua-Fraktur-Streites im deutschen Sprachraum zur Zeit der Klassik. Ein PDF-Artikel als Nachlese zur Ausstellung kann hier heruntergeladen werden. 
 


 
 
(Laufweite Fotos: Hyojung Julia Seo)
Im April und Mai 2014 fand im Druckgrafischen Museum Pavillon-Presse in Weimar eine Ausstellung zu Justus Erich Walbaum und seiner berühmten Schrift Walbaum-Antiqua statt. Als eine Art Nachlese veröffentlicht Typografie.info nun ein 20-seitiges PDF, das die Inhalte der Ausstellung auszugsweise in einem kostenlos herunterladbaren Artikel zusammenfasst. Der Artikel befasst sich sowohl mit Walbaum und seiner bekanntesten Schrift, als auch mit dem Stil der klassizistischen Schriften und den Versuchen, sie im um 1800 im deutschsprachigen Raum zu etablieren. 
 
Zum PDF in unserem Download-Bereich. 
Der Film »Sign Painters« von Faythe Levine und Sam Macon beleuchtet die gut 150-jährige Geschichte der Schildermalerei in den USA. Die mehr als einstündige Dokumentation portraitiert einige der noch aktiven Schildermaler-Werkstätten und lässt deren Schildermaler ihre persönlichen Geschichten und die ihrer Zunft erzählen. Natürlich wird auch die Verdrängung der Schildermalerei durch Folienplotts thematisiert. 
Der Film kann für knapp 10 Euro online erworben und heruntergeladen werden. 
 
 






In unserem Artikel Die Top 10 der missverstandenen Typografie-Fachbegriffe haben wir uns bereits mit einigen typischen Verständnisproblemen unseres Fachbereiches auseinandergesetzt. Einige Leser haben weitere Begriffe vorgeschlagen, die ihrer Meinung nach häufig falsch verstanden bzw. benutzt werden. Viele der Vorschläge drehten sich dabei um Buchstabenabstände. Die betreffenden Bezeichnungen entstammen meist dem Bleisatz und die genaue Definition in der computergestützten Typografie ist nicht immer ganz klar. Erschwerend kommt hinzu, dass zunehmend die englischen Entsprechungen Anwendung finden und sich dann auch bei der Zuordnung der deutschen und englischen Begriffe Fehler einschleichen. In diesem Artikel werden diese Begriffe deshalb zusätzlich zu unseren einzelnen Wiki-Artikeln noch einmal im Zusammenhang erklärt. 
 
Zurichtung oder Spationierung — englisch: Spacing
Zurichtung kann als allgemeiner Begriff verwendet werden, der die Anpassung und Optimierung von Buchstabenabständen beschreibt. Der Begriff kann dabei sowohl die Voreinstellungen des Schriftgestalters bezeichnen, als auch die Anpassungen der Buchstabenabstände durch den Schriftanwender.
 
Schriftgestalter versehen ihre Schriften gemäß des anvisierten Einsatzes bereits mit einer möglichst passenden Zurichtung – also bestimmten Abständen vor und nach dem eigentlichen Buchstabenbild. Man spricht daher von der Vor- und Nachbreite eines Buchstabens. Bei digitalen Schriften können diese Abstände auch negativ sein. Der Buchstabe ragt dann aus seinem unsichtbaren Begrenzungsrahmen — dem virtuellen Schriftkegel — heraus und überlappt die Kegel benachbarter Buchstaben. 
 

 
Der Begriff der Spationierung entstammt der Technik des Bleisatzes. Dort wurden und werden schmale Streifen (so genannte »Spatien«) zwischen die Buchstaben geschoben und der Text somit »spationiert«. Der Begriff der Spationierung hat sich auch bei der digitalen Typografie erhalten. Er beschreibt hier nun – etwas anders als im Bleisatz – jegliche Feinjustierung der Buchstabenabstände und kann somit synonym zum Begriff der Zurichtung verwendet werden. Beispiel: »Die Zurichtung/die Spationierung der Überschrift muss noch verbessert werden.«
 

Verbesserte Zurichtung (zweite Zeile)
 
Laufweite und Sperrung — englisch: Tracking/Letter-Spacing
Einerseits ist Laufweite ein Parameter bei der elektronischen Textverarbeitung. Standardmäßig folgt jeder virtuelle Buchstabenkegel ohne Abstand dem nächsten. Ändert man nun die Laufweite, wird jedem Buchstaben ein positiver oder negativer Abstand hinzugefügt, ohne das Buchstabenbild zu ändern. Die optimale Laufweite hängt von der Anwendung ab. Je kleiner der Text bzw. je weiter er vom Betrachter weg ist, umso größer sollte die Laufweite sein. Umso größer bzw. näher der Text erscheint, umso stärker kann die Laufweite verringert werden. 
 

 
Andererseits wird der Begriff Laufweite heute auch für die Beschreibung des generellen horizontalen Platzbedarfes einer Schrift gebraucht. Beispiel: »Die Times New Roman läuft schmaler als die Palatino«.
 

 
Wird die Laufweite bestimmter Textstellen gleichmäßig und deutlich sichtbar erhöht, spricht man von gesperrtem Text oder von Sperrsatz. Die Sperrung kann aus stilistischen Gründen erfolgen oder dient der Auszeichnung von Textstellen. Im Satz mit gebrochenen Schriften war die Sperrung die am meisten eingesetzte Auszeichnungsart. 
 

 
Unterschneidung — englisch: Kerning
Die Standard-Vor- und Nachbreite eines Buchstabens ergeben nicht für jedes Buchstabenpaar ein optimales Ergebnis. Greift man dann gezielt in den Abstand zwischen zwei Buchstaben ein, wird dies Unterschneidung genannt. Die meisten digitalen Schriften besitzen bereits von Hause aus entsprechende Unterschneidungspaare, die lediglich aktiviert werden müssen. In InDesign erfolgt dies über die Einstellung »Kerning: metrisch«. In den gängigen Textverarbeitungs- und Layoutprogrammen kann der Anwender die Unterschneidung einzelner Buchstabenpaare aber auch selbst anpassen.
 

Ohne Unterschneidung (links) und mit aktivierten Kerning-Werten der Schrift (rechts)
 
Der Begriff der Unterschneidung rührt noch vom physischen Beschnitt der einzelnen Bleilettern her, der die Buchstabenbilder im Druck näher zusammenrücken ließ. In der digitalen Typografie können die Unterschneidungswerte jedoch beliebige positive und negative Werte annehmen.
 
Die Differenzierung zwischen Laufweite und Unterschneidung mag manchmal schwierig erscheinen, da beide Einstellungen Buchstabenabstände vergrößern oder verkleinern. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass sich die Unterschneidung immer nur auf konkrete Abstände zwischen zwei Buchstaben bezieht, während die Laufweite eine gleichmäßige Anpassung der Buchstabenabstände von Worten, Wortgruppen oder ganze Absätzen bezeichnet. In InDesign sind Änderungen der Unterschneidungswerte folgerichtig auch nur möglich, wenn die Einfügemarke zwischen zwei Buchstaben steht. Markiert man dagegen mindestens einen Buchstaben, lassen sich nur noch die Werte für die Laufweite anpassen. 
 
Durchschuss – englisch: interlinear space
Schließen die Buchstabenkegel einer Zeile im Bleisatz direkt an die Kegel der vorangegangen Zeile an, spricht man von kompressem Satz. Sollen die Abstände zwischen den Zeilen vergrößert werden, erfolgt dies durch Einfügen von Durchschuss. Der Begriff bezeichnet also die Höhe des so gebildeten Zwischenraums (bzw. im Bleisatz auch das dafür vorgesehene Material). 
 

 
Zeilenabstand — englisch: leading, line-height
Die Höhe der Buchstabenkegel zuzüglich des optionalen Durchschusses ergibt den Zeilenabstand, der im Digitalsatz von Grundlinie zu Grundlinie aufeinander folgender Zeilen gemessen wird. Schriftgröße und Zeilenabstand sind maßgebliche Parameter des Schriftsatzes und werden oft gemeinsam angegeben. Die Schreibung »10/13« würde bedeuten, dass die Schriftgröße 10 Punkt beträgt und der Zeilenabstand 13 Punkt. Die Zeilen sind also mit 3 Punkt durchschossen. 
 
Soweit die Erklärungen der Fachbegriffe zu Abständen. Weitere Begriffserklärungen finden sich in unserem Typo-Wiki. 
Nach der Iwan Reschniev entstand mit der Tyskland 45 ein weiterer Font direkt aus Diskussionen im Forum von Typografie.info. Im Januar diesen Jahres fragte Community-Mitglied Martin im Forum, ob es nicht praktisch wäre, wenn man eine Deutschland-Karte einfach als Font einsetzen könnte. Nach einer Diskussion der Vor- und Nachteile sowie der technischen Details machte sich schließlich Schriftgestalter Peter Wiegel ausgestattet mit Kartenmaterial von Martin ans Werk und erstellte den entsprechenden Font.
 
Und so funktioniert es: 
Die Bundesländer werden einfach über ihre zweistelligen ISO-Codes (z.B. TH für Thüringen) eingegeben und können anschließend wahlweise mit Farben versehen werden. Weist man der Zeichenfolge nun das OpenType-Feature »Standardligaturen« zu, werden die Codes durch die Bundesländer-Grafiken ersetzt und übereinander gelegt. 
 

 
Zusätzlich hat man die Wahl zwischen 10 verschiedenen Hinterlegungen (Fläche, Schatten, Konturen, Rechteck, Oval …). 
 

 
Die 45 im Schriftnahmen verweist darauf, dass die Schrift nicht nur für aktuellen Bundesländer eingesetzt werden kann, sondern auch alle Einteilungen bis zurück zum Jahr 1945 abdeckt. 
 

 
Typografie.info-Mitglieder können den Font gratis in unserem Download-Bereich herunterladen. 
Vor 5 Jahren stellte der Ebner Verlag seiner etablierten PAGE eine Schwester-Zeitschrift zur Seite, die sich speziell dem Design und der Entwicklung bei den neuen interaktiven Medien verschrieben hatte. Nun wird dieses »WEAVE« genannte Magazin wieder eingestellt und fusioniert mit der PAGE, die fortan mit mehr Seiten und entsprechend neuen Rubriken erscheint. Im Zuge dieser Zusammenlegung hat sich die PAGE ein Redesign verpasst, das insbesondere die Typografie betrifft. 
 
Statt der technisch-nüchternen PTL Notes und PTL Magpage kommen fortan gleich drei recht unterschiedliche Schriften zum Einsatz: die Ingeborg und die FF Mark für Überschriften, Zitate, Bildunterschriften etc. sowie die FF Quadraat als neue Fließtextschrift. Das Layout wurde nicht grundlegend verändert, erscheint aber nun deutlich luftiger und betont die Typografie als Träger der visuellen Identität des Magazins. Für mich ein gelungener evolutionärer Schritt. 
 

Inhaltsverzeichnis der alten (links) und neuen PAGE (rechts)
 







1928 gab der Verein Deutscher Schriftgießereien zum Anlass seines 25-jährigen Bestehens die Broschur »Der Druckbuchstabe« heraus, in der in Versen und Holzschnitten von Karl Mahr die Entstehung von Bleilettern in Gießereien dargestellt wird. Wir präsentieren dieses Stück typografischer Zeitgeschichte hier in Onlineform.
 

 
Bald bin ich groß, bald bin ich klein,
bald fett, bald mager und bald fein.
Steh ich allein ſo muß ich ſchweigen;
doch in der Brüder trautem Reigen
ſing ich und dringe in die Herzen
und ſag von Freuden dir und Schmerzen
und nütze hier und ſchade dort,
bin Menſchenwiſſens treuſter Hort.
Vor fünf Jahrhunderten geboren
hab ich an Jugend nicht verloren.
Willſt du nicht freundlich mich betrachten
und meine Schönheit nicht beachten?
Bin doch in Künſtlers Haupt erdacht,
von mancher fleiß’gen Hand gemacht.
Schau her, hier kannſt du mein Entſtehen
in Wort und Bildern vor dir ſehen.
 

 
In ſtiller Klauſe ganz für ſich
wirkt hier an ſeinem Arbeitstiſch
mit ſcharfem Aug’ und Seelenruh
der Stempelſchneider immerzu.
Er formt mit Sticheln mancherlei
in harten Stahl, in weiches Blei
mit Feil’ und Gegenpunze bald
des Druckbuchſtabens Urgeſtalt,
wie ſie der Künſtler hat erdacht
und zeichnend zu Papier gebracht.
Der „Stempel“ wird das Ding genannt,
das alſo ſchafft die fleißge Hand.
Ihn brauchte man zu allen Zeiten,
um die Matrize zu bereiten,
in der im Inſtrument verſchloſſen
der Druckbuchſtabe wir gegoſſen.
 

 
Es ſchuf uns einſt die alte Zeit
viel Schönheit in Gemächlichkeit
Doch das, was heute ſoll geſchehen,
muß fördern und geſchwinde gehn.
Zuviel an Zeit ging oft verloren,
bis Stempel un Matriz’ geboren;
und die Maſchine war erdacht,
die’s ſchöner nicht – doch ſchneller macht.
Auf der Schablone aufgelegt,
wird ſchnell der Führungsſtift bewegt,
und nebenan in Meſſing fein 
gräbt ſich das Bild verkleinert ein.
Hell ſurrend kreiſt des Bohrers Spitze,
und bald liegt fertig die Matrize.
Ein raſcher Handguß zeigt uns bald
des neuen Werkes Wohlgeſtalt.
 

 
Nie kann die Hand in unſern Zeiten
die vielen Stempel alle ſchneiden.
In kurzer Stunden raſchem Flug
wirkt ſie uns oft nicht ſchnell genug. 
Ein kleines Bohrwerk, klug erdacht,
hat raſche Hilfe hier gebracht.
Sieh hier, an der Schablone Rand
lenkt einen Stift die ſichere Hand.
Ein Stücklein Stahl bewegt ſich mit,
das trifft des Bohrers ſcharfer Schnitt
und formt darin fein ausgegraben
des Stempels Bild ſcharf und erhaben.
Gehärtet in des Feuers Hitze
prägt er die zierliche Matrize,
daß ſie im Innern der Maſchine
dem kleinen Werk als Gußform diene.
 

 
Hier ſiehſt du den Juſtierer ſchalten
und emſig ſeines Amtes walten.
Er prägt in Kupfer allzumal
des ſcharfen Stempels harten Stahl.
Die Mater, welche ſo entſtand,
prüft ſorgſam er mit Aug’ und Hand.
Und ſchafft, daß ſich in allen Fällen
die Lettern gut auf Linie ſtellen,
daß nicht das Schriftbild ſitze ſchief
und auch im Kupfer nicht zu tief.
Wenn dann die Mater gut gebettet,
wird ihr gewölbter Rand geglättet.
Wild kreiſeln dann des Fräſers Zähne,
hell funkeld rollen ſich die Spähne,
und ſpiegelblank nach kurzer Zeit
liegt die Matrize – gußbereit.
 

 
Schau her, was hier die würdge Hand
des alten Gießers hält umſpannt:
Ein klein Gehäus aus Holz und Stahl
ſchlicht und beſcheiden allzumal.
Hans Gutenberg hat’s einſt erdacht
und uns viel Gut’s damit gebracht
und hat damit die Welt erregt
und aufgewühlt und fortbewegt.
Ein halb Jahrtauſend iſt verfloſſen,
da man zuerſt drin Schrift gegoſſen.
Selbſt heut noch nimmt es dann und wann
zum Probeguß der Arbeitsmann.
Auch heut noch uns entgegenlacht
der alten Lettern Jugendpracht.
Und wie beſcheiden ſieht doch aus
ſolch ew’ger Schönheit Elternhaus.
 

 
Hier endlich ſtehn im weiten Saal
der Gießmaschinen große Zahl.
Um ſie, die fauchenden, zu pflegen,
ſieht kräftge Männer man ſich regen
mit Nerven ſtark und Leibern breit
gleich Recken aus entſchwundner Zeit.
Metall ſchmilzt in den Tiegeln heiß,
auf mancher Stirne perlt der Schweiß,
und ziſchender Maſchinenſtoß
erzeuget in der Mater Schoß
ein klein Gebild ſcharf und erhaben,
den ſilberkblanken Druckbuchſtaben.
Und fertig – rein wie neues Geld
bringt ihn ein zweiter Stoß zur Welt
und ſetzt ihn auf der Leiſte breit
den ſchmucken Brüdern an die Seit’.
 

 
Wie ſchwer war’s, endlich zu erreichen,
der Schriften Höhe auszugleichen,
bis die Maſchinen aller Welt
auf eine Norm man eingeſtellt!
Doch gibt’s noch manche Drucker eben,
die lieber in Vergangnen leben,
die, ehrfurchtsvoll vorm guten Alten,
ſich eine eigne Höhle halten.
Der Höhenfräſer heißt der Mann,
der helfen hier und wirken kann.
In ſeinen Tiſch wird raſcher Hand
die neugegoſſ’ne Schrift geſpannt;
der Fräskopf wandert ſeine Bahn,
und ſchnurrend ſchält er Spahn für Spahn.
Wenn dann des Fräſers Werk geſchehn,
bleibt er gehorſam ſtille stehn.
 

 
Von allem, was wir Menſchen kennen,
was darf man frei von Fehlern nennen?
Und wer dem bloßen Schein vertraut,
hat leichten Sinn’s auf Sand gebaut.
Wo treu der Fertigmacher wacht,
dahin wird nun die Schrift gebracht.
Den wackern Alten blendet nimmer
der Dinge äußrer Glanz und Schimmer.
Doch unerbittlich prüft ſein Auge,
ob auch das Stück zum Werke tauge.
Und hat beim Guſſe ſich inzwiſchen
ein winzger Makel eingeſchlichen,
der wird von kundger Hand beherzt
verbeſſert gleich und ausgemerzt.
Erſt wenn vom Werk ſein Blick ſich wendet,
dann weißt du wohl, – es iſt beendet.
 

 
Nun liegen ſauber ausgerichtet,
auf flachen Stäben aufgeſchichtet
die Druckbuchſtaben, ſchlank und fein,
zum letzten Mal in blanken Reih’n.
Sie löſt aus ſilberhellem Band
bald eine flinke Frauenhand;
nach Art und Sprach’ in neuem Sinn
ſetzt ordnend ſie die Teilerin.
Umbunden in beſondrer Weiſe,
gar wohlverpackt für weite Reiſe,
ſo ſteht die Schrift jetzt Satz für Satz,
zur Fahrt bereit auf ihrem Platz.
Bald zieht ſie weg wohl aus dem Haus
und wandert in die Welt hinaus
und wird im Gleichgang der Maſchinen
dem, der ſie ſchuf, dem Menſchen dienen.
»Für jedes komplexe Problem gibt es eine Lösung, die einfach, einleuchtend und falsch ist.« sagte der US-amerikanische Schriftsteller Henry Louis Mencken einmal. Als ein Paradebeispiel dieses Phänomens im Fachbereich der Typografie könnte man die Idee ansehen, dass die Serifen der Antiqua eine Folge der Meißeltechnik in der Antike sind. Unzählige typografische Fachbücher haben seit vielen Jahrzehnten diese Theorie verbreitet und so wurde aus der Vielzahl der Quellen schließlich ein vermeintlicher Fakt. Denn wer sollte schon bezweifeln, was Fachleute aus aller Welt übereinstimmend als Fachwissen niederschreiben – insbesondere dann, wenn die Beschreibungen so einleuchtend erscheinen. Begünstigt wurde die Meißel-Theorie wohl auch dadurch, dass die Autoren von Typografie-Büchern in der Regel vor allem Experten für typographischen Satz sind. Nur selten sind sie gleichsam kundig in der Steinmetztechnik oder haben selbst an antiken Stätten Inschriften untersucht und so die Ursprünge der Schrift hautnah erforscht. Wenn es um historische Techniken und Entwicklungen geht, verlässt man sich (mehr oder weniger notgedrungen) auf die Fachliteratur und Fehleinschätzungen können so über Jahrzehnte immer weiter getragen und sogar verfestigt werden. 
Ende der 1960er-Jahre ließ der US-amerikanische Priester, Lehrer und Kalligraf Edward M. Catich das Kartenhaus jedoch einstürzen. Mit seinem richtungweisenden Buch The Origin of the Serif widerlegte er überzeugend die vielfältigen Deutungsversuche rund um die Entstehung der Serifen im Zusammenhang mit der Meißeltechnik. 

In einem Waisenhaus erlernte Catich die Schildermalerei. Nach seinem Studium führte ihn sein Glaube in den 1930er-Jahren nach Rom, wo er neben theologischen Fächern auch Archäologie und Paläografie studierte. Während dieser Zeit untersuchte er vor Ort die antiken Inschriften, insbesondere auch jene am Fuße der Trajansäule. Zurück in den USA gründete er später an der katholischen Saint Ambrose University einen Fachbereich für Kunst und lehrte dort 40 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahre 1979. Kalligrafie und die Steinmetztechniken blieben über all die Zeit seine Leidenschaft und machten ihn in Technik und Historie zu einem Experten auf diesem Gebiet. Sein Buch über den Ursprung der Serifen ist leider nicht in deutscher Sprache erhältlich und kann auch nur aus dem USA bestellt werden. Daher sind seine überzeugenden Argumente hierzulande weiterhin recht wenig bekannt und seien deshalb nachfolgend zumindest in Kurzform vorgestellt. 
 
Der Zweck der Meißelung
Der Sinn der dreidimensionalen Ausmeißelung der Buchstabenformen scheint aus heutiger Sicht offensichtlich: Die dreieckige Vertiefung erzeugt einen Schattenwurf und dieser macht die Buchstaben lesbar. Doch schon dieser Idee liegt wahrscheinlich ein Irrtum zugrunde. Wie auch antiken Marmor-Statuen ursprünglich nicht weiß, sondern bunt bemalt erschienen, so waren auch die Schriftzüge stets farbig. Selbst die komplette Trajan-Säule war von oben bis unten farbig ausgestaltet – die Farbreste lassen sich bis heute nachweisen. Für Schriftzüge war laut Catich eine rot-orange Farbe typisch. Sie hob sich klar von jeder Art Stein ab. 

Inschrift der Trajansäule – statt durch Farbe entsteht die Lesbarkeit hier eher durch Schmutzablagerungen in den Vertiefungen. Die ursprüngliche bzw. gereinigte Inschrift ohne Färbung wäre dagegen deutlich schwerer zu lesen. 
 
Die Meißelung der Schriftzüge hatte also keinen optischen Zweck, sondern war nur ein Arbeitsschritt. Durch die Einlassung der Farbe in die ausgemeißelte Vertiefung konnten die Pigmente langfristig vor dem Einfluss der Witterung geschützt werden. Catich belegt dies auch ausführlich, indem er die konkreten Buchstaben auf ihre Tauglichkeit für eine Lesbarkeit durch bloße Schattenwirkung untersucht. Die Tiefe, die Dreieckform und die Berührungspunkte von Stämmen – all dies ist seiner Meinung nach nicht geeignet, um die Buchstabenform bestmöglich allein durch einen Schattenwurf wiederzugeben. 

Die Schattenwürfe der Meißelung allein erzeugen keine optimalen Buchstabenformen (Abbildung aus dem Buch)
 
Buchstabenform und Meißeltechnik
Die bisherigen Theorien vom Ursprung der Serifen implizierten immer gewisse Unzulänglichkeiten der Technik bzw. der Fähigkeiten des Steinmetzes. So wird angenommen, dass ein rechtwinkliges Stammende handwerklich oder physisch kaum möglich wäre, ohne dass der Stein zu den Seiten aufplatzt und dann durch die betonten Serifen aufgefangen werden muss. Oder man nimmt an, dass der Steinmetz nicht über die Grundlinie und Versalhöhe hinausschießen wollte und daher zunächst einen deutliche Abschlusslinie in den Stein trieb, die dann gegebenenfalls breiter war als der Stamm und somit die Ausprägung der Serife begünstigte. Catich sieht in solchen Einlassungen jedoch lediglich Mutmaßungen von Menschen, die nichts von Steinmetz-Technik verstehen und legt dar, dass der erfahrene Steinmetz jede beliebige Buchstabenform ausmeißeln kann – Schwünge oder Geraden; feine und breite Stämme; spitze, stumpfe, rechtwinklige Ecken und so weiter. Die Buchstabenform ist durch die Technik in keiner Weise eingeschränkt. 

Abbildung aus dem Buch: Catich zeigt, dass der Steinmetz jede beliebige Schriftform meißeln kann und die Technik nicht die Form diktiert.
 
Der wahre Ursprung der Serifen
Gemäß der beiden letzten Abschnitte hat die Meißeltechnik also keinen maßgeblichen Einfluss auf Buchstabenformen. Doch wieso sehen die antiken Inschriften dann überhaupt so aus wie sie aussehen? Wenn der Steinmetz jede beliebige Form ausmeißeln konnte, woher kamen die Formen dann? Laut Catich sind sie tatsächlich ein deutliches Spiegelbild des Werkzeugs – man hat nur auf das falsche Werkzeug gesetzt. Die Buchstabenformen sind nicht das Ergebnis des Meißels, sondern des Pinsels, mit dem die Inschriften vor dem Meißeln auf den Stein aufgetragen wurden. 

In Pompeji konnten entsprechende Pinsel-Inschriften in Häusern gefunden werden, die durch die Verschüttung der Stadt bis heute überdauert haben. Sie zeigen deutlich den Duktus der Capitalis Monumentalis, wie wir ihn bis heute kennen. Als erfahrener Kalligraf zeigt Catich in seinem Buch ausführlich auf, wie mit dem (Flach-)Pinsel in diesem Stil geschrieben wird und welche Auswirkungen das Werkzeug auf Schwellungen und Strichenden hat. Ein bloßes Absetzen des Pinsels (siehe folgende Abbildung) führt zu keinem akzeptablem Strich-Abschluss. Daher führt der Schreiber am Anfang und Ende des Striches eine Seitwärtsbewegung aus – die Serife ist geboren! 

Führt man diese Abschlüsse der Gleichförmigkeit halber an beiden Seiten des Stammes aus, ergibt sich das bekannte Bild der Antiqua-Serifen. Besonders überzeugend dabei: die Erklärung durch diesen, nach zwei Seiten ausgeführten Pinselschwung erklärt, warum in den Inschriften die Stammenden an Grundlinie und Versalhöhe stets etwas ausgebeult erscheinen. Die Meißel-Theorien zur Entstehung der Serifen können dies kaum erklären und würden eher ein vollkommen geraden Abschluss erwarten lassen. 

Die Eindellungen lassen sich durch die Strichführung mit dem Pinsel leicht erklären. 
 

So könnten die Kalligrafen der Antike die Inschriften vorbereitet haben (Abbildung aus dem Buch)
 
Am Ende des Buches tritt Catich dann den Beweis der reinen Schreibbarkeit der antiken Inschriften mit dem Flachpinsel an. Auf Einzelseiten schreibt er jeweils einen Buchstaben selbst und demonstriert dabei überzeugend, dass der Duktus der antiken Inschriften mühelos und natürlich allein mit dem Pinsel erzeugt werden kann und daher wohl auch sein wahrer Ursprung ist. Auf den jeweils nebenstehenden Seiten wird dann die mögliche Ausarbeitung als gemeißelte Inschrift gezeigt. Denn die Steinmetze haben auch laut Catich einen gewissen – wenn auch marginalen – Einfluss auf Formen ausgeübt, indem sie sie etwas stilisierten und Schwankungen beim Schreiben ausglichen. Die Eindellungen an den Stammenden wurden etwas begradigt, die Serifen optisch angeglichen und mangelnde Farbaufträge oder zu weit geführte Pinselstriche ignoriert. 


Catichs Erklärungen überzeugen nicht nur durch ihre Geschlossenheit, sondern vor allem durch ihre praktische Untermauerung. Er deutet nicht bloß irgendetwas in Fotos und Illustrationen hinein, sondern kann als erfahrener Kalligraf und Steinmetz die antiken Arbeiten praktisch nachvollziehen und somit auch erklären. Dieser Artikel soll neugierig machen auf die hierzulande leider noch wenig bekannten Argumente Catichs. Im seinem über 300 Seiten starken Buch werden sie in aller Ausführlichkeit dargelegt und viele weitere Argumente gebracht, die hier unberücksichtigt blieben. Bestellt werden kann das Buch zum Beispiel über John Neal Bookseller – wahlweise als Paperback oder Hardcover. Die Versandkosten in europäische Länder sollten vorab erfragt werden, da sie im Shopsystem nicht ausgewiesen werden. 
Vom 26. bis 27. April 2014 findet in Weimar ein Typografie-Wochenende statt, das gemeinschaftlich von der Bauhaus-Universität Weimar und dem Druckgrafischen Museum Pavillion-Presse veranstaltet wird.
 
Tagung
Den Auftakt macht am Samstag das Symposium »Laufweite 5,5 km«. Im Gegensatz zu anderen Tagungen folgt hier jedoch nicht ein Vortrag auf den nächsten. Stattdessen nehmen die Teilnehmer an einem Spaziergang durch Weimar teil und es finden an wechselnden Orten Kurzvorträge und offene Diskussionen statt. Drei Leitthemen wurden dabei angesetzt:
Form follows ...? – Die Funktionalität in der Typografie Typografie trifft Literatur – Zu den Aufgaben guter Buchgestaltung Gestaltung ist Haltung – Alles ist politisch, auch Typografie? Als aktive Teilnehmer der Diskussionen haben bereits zugesagt: Friedrich Forssman, Lars Müller, Roland Stieger, Andreas Koop, Anette Stahmer, Jan Filek, Paulus M. Dreibholz und Petra Eisele. 
 

 
Veranstaltet wird die Tagung vom Lehrstuhl Typografie (Jay Rutherford/Gaby Kosa). Projektteilnehmer sind Johanna Diesel, Lena Haubner, Hyojung Julia Seo,Tim Munz und Fabian Nerstheimer unter der Leitung von Konstantin Wolf.
 
Um die Diskussionen in kleineren Gruppen zu ermöglichen, ist die Teilnehmerzahl stark begrenzt. Eine rechtzeitige Registrierung wird daher empfohlen. Weitere Informationen unter laufweite.info.
 
Ausstellungseröffnung
Am Sonntag wird dann die Ausstellung »Walbaums Schriftklassizismus« in der Pavillon-Presse eröffnet. Dieses druckgrafische Museum befindet sich am Standort einer seit dem 17. Jahrhundert existierenden Hofdruckerei und liegt nur einen Katzensprung entfernt von Justus Erichs Walbaums früherer Wirkungsstätte als Schriftgießer. Die Ausstellung »Walbaums Schriftklassizismus« beleuchtet die Geschichte der Walbaum Antiqua und verwandter klassizistischer Schriften unter besonderer Berücksichtigung des Antiqua-Fraktur-Streites im deutschen Sprachraum zur Zeit der Klassik.
 


 
Die von Ralf Herrmann kuratierte Ausstellung kann auch unabhängig von der Tagung vom 27. April bis 30. Mai besucht werden. Öffnungszeiten siehe Homepage der Pavillon-Presse. 
 

Ein Text, den man lesen kann, hat immer eine bestimmte Gestalt und Anmutung. Doch auch wenn Inhalt und Form meist zusammen auftreten, sind sie doch prinzipiell unterschiedliche Komponenten. Stellen Sie sich zum Beispiele eine ungeöffnete TXT-Datei vor. Sie enthält nichts als eine kodierte inhaltliche Information ohne jegliche Gestalt. Zum Beispiel: großes B, kleines u, kleines c, kleines h. Das Wort »Buch« abstrahiert in seine sinntragenden Einzelteile. Erst bei der Anzeige der Datei bekommt der Text zwangsläufig eine Gestalt. Er muss in (irgend-)einer Schriftart dargestellt werden. Die Wahl der Schrift beeinflusst die Wirkung des Textes, jedoch handelt es sich dabei lediglich um eine Formatierung – eine zusätzliche, visuelle Komponente. Wir ändern den Stil der Botschaft, oder metaphorisch gesprochen: die Kleidung des Textes. Auf den Text selbst hat dies keinen Einfluss. Oder doch?
Es scheint seltsamerweise eine Ausnahme zu geben. Man kann einem deutschen Text bedenkenlos eine der tausenden erhältlichen Schriftarten zuweisen – außer es handelt sich um eine gebrochene Schrift. Dann wird man alsbald ermahnt werden, dass gebrochene Schriften andere typografische und orthografische Satzregeln erfordern. Die Formatierung der Schrift müsse dann sozusagen auf den Inhalt zurückwirken. Langes und rundes s müsse sich nach bestimmten Regeln abwechseln und üblicherweise getrennt kodierte Buchstaben müssen zu Ligaturen verschmelzen und damit in gewisser Weise andere Zeichen bilden. Der »B u c h s t a b e« darf nicht zum »B u c h s t a b e« werden, sondern muss als »B u ch ſt a b e« gesetzt werden«. 
Doch warum ist dies so? Ich habe mich in den letzten Jahren immer mal wieder absichtlich dumm gestellt und bei entsprechenden Ermahnungen über die vermeintlich »korrekten Fraktursatzregeln« gefragt, warum man diese denn anwenden müsse. Die Antwort lautete dann in etwa »weil das früher so war« beziehungsweise »weil diese Schriften mal so gedacht waren«; und nicht zu vergessen: »weil dies der Lesbarkeit diene«. Doch sind dies überzeugende Argumente? Ich habe da so meine Zweifel. Schauen wir sie uns einmal im Detail an. 
 
Schriftstil diktiert Satzweise – Ein Prinzip des Schriftsatzes?
Zunächst zur Idee, Schriften müssen so wie früher gesetzt werden, weil diese Satzweisen mal so üblich waren bzw. weil die Schriften direkt für diese Satzweisen gedacht waren. Wenn dies ein Prinzip des Schriftsatzes wäre, verwundert es, dass wir dies bei Antiqua-Schriften nicht auch so handhaben. Denn diese haben ja schließlich auch meist historische Wurzeln, genau wie die gebrochenen Schriften. Walbaum Fraktur und Walbaum Antiqua entstanden zum Beispiel gleichsam um 1800. Wenn man Frakturschriften so setzen müsste, »wie sie mal gedacht waren«, warum dann nicht auch die ebenso alten Antiqua-Schriften? Eine Walbaum Antiqua wurde vor 200 Jahren schließlich typografisch und orthografisch auch anders gesetzt als heute. Wir kommen aber gar nicht auf die Idee, dass eine klassizistische Schrift stets die Satzkonventionen des Klassizismus verwenden müsse. 

Und warum können wir problemlos eine Trajan-Schrift mit zweitausendjähriger Geschichte mit Ü setzen, obwohl dieser Schriftstil ursprünglich noch nicht einmal ein U hatte, geschweige denn Umlaute. WARVM·MVSS·TRAJAN·NICHT·WIE·DAMALS·GESETZT·WERDEN – gebrochene Schriften aber schon? »Weil das früher so war« ist da wenig überzeugend. In dieser Idee liegt kein Prinzip des Schriftsatzes. Es verstößt ganz im Gegenteil sogar gegen die Art und Weise, wie Schriftstile üblicherweise benutzt werden – nicht nur hier und heute, sondern auch in den letzten 500 Jahren Druckkunst mit beweglichen Lettern im Einsatzgebiet des lateinischen Schriftsystems. 
 
Lesekonvention und geschichtliche Zusammenhänge
Der wahre Grund, warum sich einige besondere Satzregeln für gebrochene Schriften wünschen, mag in der besonderen Geschichte dieses Schriftstils im deutschen Sprachraum liegen – und der Lesekonvention, die daraus resultiert. 
Denn erstens überlebten die gebrochenen Schriften durch die Zweischschriftigkeit im deutschen Sprachraum deutlich länger als in anderen Teilen der Welt. Wenn heute in den Niederlanden oder Großbritannien gebrochene Schriften eingesetzt werden, dann richtet man sich kaum danach, wie dieser Schriftstil vor hunderten Jahren mal für die jeweiligen Sprachen eingesetzt wurde. Die entsprechenden Satzkonventionen (die zum Beispiel auch die Unterscheidung von langem und runden s beinhalteten) liegen so weit in der Vergangenheit, dass sie keinerlei Relevanz mehr besitzen. So wie wir auch hierzulande das Poster einer Folkband in einer Unzialschrift wohl kaum so setzen würden, wie zur Zeit der Entstehung der Unziale. Diese Satzweisen sind uns nicht vertraut und somit entsteht hier auch keine entsprechende Erwartung der Leserschaft, der man entsprechen müsste. 
Bei gebrochenen Schriften ist dies jedoch gegebenenfalls anders. Sie überlebten im deutschsprachigen Raum bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als Verkehrsschrift und ihr damaliges Satzbild ist in gewisser Weise noch vertraut. Und dies kann eine entsprechende Erwartung bezüglich des vermeintlich »richtigen Schriftsatzes« auslösen.
Ein zweiter Grund mag im ungewöhnlich plötzlichen Ende der gebrochenen Schriften liegen. Viele historische Schriftstile haben sich langsam überlebt und wurden Schritt für Schritt durch neue Stile verdrängt. Und auch die Lesekonventionen konnten sich somit schrittweise anpassen. Doch die gebrochenen Schriften kamen Mitte des 20. Jahrhunderts schlagartig außer Gebrauch. Und damit wurde die Lesegewohnheit bezüglich ihres Satzbildes mehr oder weniger »schockgefroren«. Dies ist ja letztendlich auch der Grund für die immer noch lebendige Nazi-Assoziation dieses Schriftstils. Der Propaganda-Einsatz im dritten Reich war (in unserer heutigen, selektiven Wahrnehmung) die letzte typische, öffentlichkeitswirksame Anwendung und dies wirkt noch heute nach, denn moderne Einsätze, die entsprechende Assoziationen überlagern oder verdrängen könnten, sind selten. Oft wird der Schriftstil sogar zu einem bewusst genutzten Symbol für die Zeit des Nationalsozialismus.  
 

Ob historisch gerechtfertigt oder nicht – die gebrochenen Schriften sind in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin ein typisches Symbol für rechtsradikales Gedankengut (Foto: J. Schalansky) 
 
Nach 1941 kamen die gebrochenen Schriften immer seltener in zeitgemäßen Anwendungen zum Einsatz und damit verfestigte sich der traditionelle Charakter umso mehr. Las man in den ersten Jahrzehnten nach dem Normalschrifterlass Texte in gebrochener Schrift, stammten sie entweder aus er Zeit vor 1941 oder sie sollten bewusst traditionell erscheiden. Die Fortentwicklung der Orthografie und der niedergeschriebenen Sprache fand derweil in der Antiqua statt.
So war es anfangs auch völlig normal, dass die gebrochenen Schriften auch nach 1941 weiterhin nach traditionellen Fraktursatz-Regeln erschienen. Schließlich wollte man mit ihnen ja gerade traditionell erscheinen und die Mehrheit der Bevölkerung war die klassischen Regeln noch gewohnt und erwartete sie. Im Sinne des Lesers war es deshalb sinnvoll, sie weiterzubenutzen. 
 
Fraktursatz heute
Nun sind wir im 21. Jahrhundert angekommen und die Realität der Schriftsatzkonventionen gebrochener Schriften sollte neu bewertet werden. Mehrere Generationen deutschsprachiger Leser sind mit Antiqua aufgewachsen. Und selbst wer mit dem Fraktursatz vertraut ist, liest in der Regel dennoch mehrheitlich Antiqua-Texte im Alltag. Denn die Antiqua ist die verkehrsübliche deutsche Schrift und dominiert somit selbstverständlich auch die Lesekonventionen. 
Im Wikipedia-Artikel zum langen s heißt es aktuell noch »im Fraktursatz ist die Verwendung des langen s selbstverständlich …«. Doch ist dies wirklich realistisch? Ich habe einmal die Probe aufs Exempel gemacht: Bei einer längeren Fahrt über deutsche Landstraßen habe ich sämtliche Vorkommen von gebrochener Schrift auf aktuellen Schildern und Werbetafeln fotografiert, bei denen ein Einsatz des langen s möglich gewesen wäre. Es wurde dazu weder eine bestimmte Strecke gewählt, noch Fundstücke weggelassen. Lediglich historische Logos (z.B. von Brauereien) blieben unberücksichtigt. Hier das Ergebnis:
 


 
Was fällt auf? Einerseits, dass die früher üblichen Fraktursatz-Ligaturen in diesem Anwendungsbereich praktisch ausgestorben sind. Beim Einsatz des langes s bilden sich zwei Gruppen:
Satz mit ſ: 5 Schilder  Satz ohne ſ: 18 Schilder  Von einer selbstverständlichen Verwendung des ſ kann also keine Rede sein. Es ist eher umgekehrt: der Verzicht auf ein ſ ist mittlerweile der Normalfall. Man kann dies natürlich – wie es oft gemacht wird – als bloßen Anwendungsfehler von »typografischen Laien« abstempeln. Doch Schriftsatz-Konventionen sind weder Selbstzweck noch unumstößliches Naturgesetz. Wir setzen Texte nach üblichen Konventionen, da wir damit dem Leser so weit wie möglich entgegenkommen wollen. Wir erleichtern ihm das Lesen, indem wir seiner Lese-Erwartung entsprechen. Und die Leser haben genau diese Erwartung, da sich fast alle, die Schriften setzen, mehr oder weniger an die gleichen Konventionen halten. Die Schriftsatz-Konvention und die Erwartung der Leser sind zwei Seiten einer Medaille und untrennbar miteinander verbunden. 
Es kommt also darauf an, was üblich ist, nicht »was früher einmal war«. Die klassischen Fraktursatz-Konventionen sind für die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung heute kein Teil der normalen Lese-Erfahrung mehr und auch gelegentliche Anwendungen werden das Rad der Zeit nicht wieder zurückdrehen. Und somit werden die historischen Konventionen eher zu einem Lesehindernis – allein durch die Tatsache, dass man sie nicht mehr erwartet. Das mag so manchen Schriftenfreund schmerzen, doch es lässt sich einfach nicht leugnen. Das Schild Gaststätte ohne langes s ist nicht falsch, sondern lediglich nicht traditionell gesetzt. Es entspricht der aktuellen (Antiqua-)Rechtschreibung und der Erwartung der Mehrheit der Leser. Und den Lesern in dieser Hinsicht zu dienen, ist schließlich eine Grundforderung der Typografie. 
Wir können also noch ein paar Jahrzehnte weiter die obigen Schilder als vermeintlich »falschen Satz« bezeichnen – oder wir können einsehen, dass wir hier die aktuelle und mit großer Wahrscheinlichkeit auch die zukünftige Satzkonvention vor uns sehen. Denn was soll denn der Maßstab bezüglich des falschen und richtigen Satzes sein, wenn nicht die Konvention? Auch die klassischen Fraktursatzregeln waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allein durch ihre Üblichkeit gerechtfertigt. Wer die frühere Üblichkeit als richtig, und die aktuelle Üblichkeit als falsch bezeichnet, misst mit zweierlei Maß und argumentiert also allein im Sinne einer eher willkürlich gewählten historischen Tradition und nicht im Sinne des heutigen Lesers. 
Wer heute gebrochene Schriften benutzt, hat die Wahl zwischen mehreren Varianten, je nachdem, worauf die Priorität liegen soll: auf der optimalen Lesbarkeit oder einer möglichst traditionellen Anmutung. Schaut man sich die vorherrschenden Konventionen an, ergeben sich drei typische Varianten.
 
Verwendung heute – Variante 1: Fraktursatz nach Antiqua-Regeln
Wer Texte in gebrochener Schrift möglichst für eine breite Leserschaft zugänglich anlegen will, setzt sie so, wie jeden anderen Stil aus 2000 Jahren lateinischem Schriftsystem – denn gebrochene Schriften sind schließlich nichts anderes als einer von vielen Schriftstilen in diesem Schriftsystem. 
Wenden Sie also einfach alle aktuellen Rechtschreibregeln an und weisen Sie Ihrem Text lediglich eine gebrochene Schrift zu – genau so, wie es auch in allen anderen Ländern des lateinischen Schriftsystems gemacht wird. Lassen Sie sich nicht von einzelnen sagen, dass dies falsch wäre. Denken Sie – wie bei jeder gestalterische Aufgabe – an Ihre Zielgruppe. Sie müssen Schrift nicht so setzen, wie es ein Leser 1850 erwartet hätte. Denken Sie an ihre tatsächlichen Leser. Und ihnen das Lesen zu erleichtern, kann nicht falsch sein. Es ist ganz im Gegenteil überhaupt der Grund, warum einheitliche Satzregeln existieren. 

Selbst bei neu aufgelegten Büchern in gebrochener Schrift verschwinden langes s und Spezial-Ligaturen zunehmend. Die Stiftung Buchkunst fügte auch extra hinzu. »(Eine Marginalie für die Dogmatiker unter den Schriftsetzern: Der Verzicht auf das lange Binnen-S der gebrochenen Schriften ist für unsere heutigen Lesegewohnheiten kein Fehler.)«
 
Verwendung heute – Variante 2: Fraktursatz nach klassischen Fraktursatz-Regeln
Alternativ können Sie freilich auch bewusst historisierenden Schriftsatz erstellen – in jedem Schriftstil, also auch in gebrochenen Schriften. Wenn auf der Gedenktafel ZVM GEDAECHTNIS in Antiqua-Lettern steht; wenn sich eine Bleisatzwerkstatt Druckerey nennt; wenn beim Mittelalterfest ein »Thorzoll« von »5 Thalern« verlangt wird – all dies sind bewusst historisierende Schreibweisen. Sie entsprechen absichtlich nicht den heute üblichen Satzweisen. Sie sind eine historische Anspielung. Und in gleicher Weise können sie heute auch bewusst klassische Fraktursatz-Regeln benutzen.
Klassischer Fraktursatz stützt sich in der Regel auf die letztgültigen typografischen und orthografischen Konventionen aus der Zeit, als Fraktusatz noch eine Verkehrsschrift im deutschsprachigen Raum war und die alte Rechtschreibung galt. Im FAQ-Bereich von Typografie.info können die diesbezüglichen üblichen Regeln zum Einsatz des langen s und der Ligaturen nachgelesen werden. 

Modernes Buch mit klassischer Satzweise
 
Verwendung heute – Variante 3: Fraktursatz nach modernisierten Fraktursatz-Regeln
Die orthografischen und typografischen Konventionen lassen sich in der Wahrnehmung des Lesers nur schwer voneinander trennen. Ein Plakat aus den 1930ern benutzt nicht nur eine bestimmte Typografie, sondern natürlich auch die seinerzeit übliche Rechtschreibung. Kombiniert man nun neue Rechtschreibung mit klassischer Fraktur-Typografie, kann dies seltsam wirken, insbesondere bezogen auf die nun wieder verwendete Heyse’sche s-Schreibung. Der Duden hat deshalb seine Fraktursatz-Empfehlungen modernisiert und der neuen Rechschreibung angepasst. Die dazu nötige Änderung betrifft das Doppel-s im Auslaut in Wörtern wie Kuss, Schloss, muss und so weiter. Diese sollen laut Duden nun aus ästhetischen Gründen mit ſs dargestellt werden: Kuſs; Schloſs; ich muſs. 
 


Aus dem aktuellen Duden
 
Diese Weiterentwicklung der klassischen Fraktursatz-Regeln ist nachvollziehbar, jedoch wird dies meiner Einschätzung nach wohl eine Insellösung bleiben, die sich z.B. auf Webseiten von Frakturfreunden in Anwendung findet, aber wohl kaum im Alltag auftaucht. Mir ist sie jedenfalls in freier Wildbahn noch nie begegnet. 
Regelungen zu rein typografischen Ligaturen trifft der Duden übrigens nicht und wendet in den Satzbeispielen auch selbst keine an. Die Ligaturen sind und waren typografische Konvention und die Benutzung oder Nichtbenutzung somit im Sinne der Rechtschreibung nicht relevant. 

Fraktursatz mit langem s in einem Magazin. Wenn es zu Projekt und Zielgruppe passt – warum nicht!
 
Weitere Hinweise
Mangels einheitlicher Konventionen oder amtlicher Vorgaben kommen also heute verschiedene Satzweisen in Betracht. Sie könnten auch eine Teilmenge der Regeln verwenden, z.B. das lange s anwenden, aber keine Frakturligaturen – oder umgekehrt. Jedoch werden sie damit wohl unweigerlich Kritik von Frakturfreunden ernten.
Bei aller Freiheit gibt es jedoch auch Dinge, die man vermeiden sollte. Ein typisches Beispiel ist die durchgängige Verwendung des langen s, wie hier bei der Berliner Volksbühne. 


(Abbildung: F. Hardwig, Creative Commons BY 3.0) 
 
Mit dieser Satzweise stoßen Sie sowohl die Frakturfreunde vor den Kopf als auch jene, die generell ein rundes s erwarten würden. Weitere Fallen lauern in schlecht digitalisierten Schriftarten oder – mangels Leseerfahrung – dem Griff zu falschen Zeichen, wenn die Schriften nicht eingetippt werden. 

Brennpuntzt und Yatzuza Intz. Hier wurden tz-Ligaturen als k verwendet.  

Schloss-Apoſheke? (Foto: E. Spiekermann)

Friseur für Damen und Hexxen (Foto: J. Schalansky)

Missglücktes Bier-Etikett: Eine weitere tz-Ligatur als k sowie ein S anstelle des G.
 
Fazit
Es it der Normalzustand, dass man beliebigen Texten beliebige Schriften zuweisen kann. Dass es im deutschsprachigen Raum einmal eine Zeit gab, wo unterschiedliche Schriftstile mit unterschiedlichen Satzregeln parallel angewendet wurden, ist ein historisches Kuriosum. Es ist schrifthistorisch hochinteressant, aber birgt außer dem Aspekt der Tradition keinen funktionalen Nutzen, den es zu erhalten gäbe. Wir haben schließlich eine Sprache und ein Schriftsystem. Ein und dasselbe Wort je nach Schriftstil anders zu setzen bringt für Leser und Setzer keine Vorteile. Mir fallen jedenfalls keine ein. 
Heutige Nutzer gebrochener Schriften müssen sich nun generell oder projektbezogen für eine Satzweise entscheiden und demzufolge zum Beispiel Schloß, Schloſs oder Schloss schreiben. Die verschiedenen Varianten haben alle in gewisser Weise ihre Berechtigung und wir sollten daher aufhören, weiterhin von der Existenz eines vermeintlich richtigen Fraktursatzes zu sprechen. Den gab es vor 100 Jahren durch die Verkehrsüblichkeit dieses Schriftstiles – heute gibt es ihn nicht mehr.
Man muss ohnehin kein Prophet sein, um die weitere Entwicklung der Fraktursatz-Konventionen vorauszusagen. Der traditionelle Fraktursatz wird genau wie die alte Rechtschreibung außer Gebrauch geraten und aus neuen Anwendungen irgendwann ganz verschwinden. Die modernisierten Fraktursatz-Regeln werden eine Zeit lang weiter verwendet werden, jedoch nur von einem Bruchteil der Bevölkerung – einigen Liebhabern der gebrochenen Schrift. Dieser kleinen Gruppe von Anwendern stehen Millionen Nutzer elektronischer Geräte gegenüber, die ihren Texten einfach eine gebrochene Schrift zuweisen können und die – wie ich finde völlig zu recht – noch nicht einmal auf die Idee kommen, dass sie schriftartabhängig ihren Satz überarbeiten müssten. Diese Konvention des Satzes gebrochener Schriften nach herkömmlichen Antiqua-Regeln wird daher sicherlich irgendwann die einzige Konvention sein – ob es nun noch 25, 50 oder 100 Jahre dauert. Und dann sind wir auch im deutschsprachigen Raum da angekommen, wo alle anderen Länder mit lateinischer Schrift bereits seit hunderten Jahren sind: ein Satz von Regeln und Konventionen für einer Sprache – unabhängig vom Schriftstil. Warum sollte es auch komplizierter sein?
Im November 2013 hat 53 den extra für ihre iPad-App Paper entwickelten Stift Pencil vorgestellt. Dieser Artikel zeigt Bilder vom Auspacken und testet den Stift auf Herz und Spitzen. Die Leitfrage ist dabei, wie präzise man mit dem auf dem iPad zeichnen kann und ob Pencil und Paper Stift und Papier ersetzen können.
 
Kaufen und Vorfreude
Im Moment ist Pencil ausschließlich in den USA und Kanada erhältlich und kostet etwa 50 US-Dollar in der Graphit- und 60 US-Dollar in der hier zu zeigenden Echtholz-Version – das sind aber Einführungspreise. Weil ich nicht auf eine scheinbar geplante Verfügbarkeit in Deutschland warten will, habe ich mir den Stift von einem Freund aus Amerika schicken lassen so dass zum Verkaufspreis noch knapp 10 Dollar Versand sowie weitere 9 Euro EU-Steuern dazu kamen. Wegen der laut Webseite großen Nachfrage im Vorweihnachtsgeschäft hat die Lieferung innerhalb Amerikas etwas länger gedauert und ich musste dann noch bis Januar warten, ehe der Stift zu mir geschickt werden konnte. Heute kam endlich das ersehnte Päckchen und ich war gespannt, ob der Stift hält, was der Hersteller verspricht –  zur Einstimmung das entsprechende Werbevideo:
 

Pencil / Think With Your Hands from FiftyThree on Vimeo.
 
Ich werde versuchen, meine Erfahrungen so genau wie möglich zu beschreiben und den Stift zu analysieren. Eins noch vorweg: ich kann auch mit einem richtigem Stift auf richtigem Papier nicht zeichnen, werde also keine »Was-alles-geht-Beispielbilder« einstellen. Derartige Werke kann man sich auf der Herstellerseite in der Rubrik Made with Paper ansehen, wobei sich das auf die App bezieht und nicht sichtbar ist, mit welchem Eingabegerät der jeweilige Künstler gearbeitet hat.
Ich werde nur recht knapp auf die Funktionen der App selbst eingehen, kann das aber bei Bedarf gerne nachreichen.
 
Ich stelle hier nur ausgewählte und verkleinerter Bilder ein; höhere Auflösungen und auch noch mehr Bilder findet ihr in einem meiner externen Alben. 
 
Auspacken und Aufladen
Der Stift kommt zusammen mit der Bedienungsanleitung und je einer Ersatzspitze für vorne und hinten in einem hübschen Pappzylinder.
 

 
Nach dem auspacken muss man die Stiftsitze aus dem Gehäuse ziehen, um den eingebauten Akku direkt über USB für 90 Minuten aufzuladen.
 

 
 
Material und Verarbeitung
Schon beim ersten Blick fällt die ungewöhnliche Form des Stiftes auf. Laut Webseite ist er in Anlehnung an Zimmermansbleistifte nicht rund sondern rechteckig im Querschnitt. Das verhindert zwar, dass der Stift vom Dachstuhl – und natürlich auch vom Tisch – rollt, dadurch liegt er aber nicht ganz so schön in der Hand, wie es meine von runden Stiften gewohnt ist. Ich scheine mich aber bereits nach wenigen Strichen an das minimal andere Haltegefühl zu gewöhnen. Das Holz fühlt sich gut an und ist sauber geschliffen ansonsten aber scheinbar nicht weiter behandelt. Die Spitze(n) sind aus Gummi, dass als Haut über einem Innenleben liegt. Sehr schön ist das aus Metall bestehende und in das Holz eingelassene 53-Logo.
 

 
Die Verarbeitung ist insgesamt recht zufriedenstellend und dem Preis angemessen. Was mir nicht ganz so gut gefällt ist die Passgenauigeit von Gummispitzen und Holz, aber das ist vermutlich eher Materialbedingt und liegt weniger an fehlender Sorgfalt beim Hersteller, zumal man das auch noch etwas zurechtrücken kann.
Insgesamt ist Pencil für einen Stift recht schwer aber auf keinen Fall zu schwer und er fühlt sich (auch dadurch) hochwertig an. 
 
Die Holzversion ist mit einem Magneten ausgestattet, mit dem man Pencil am iPad befestigen kann. Dieser Haltemechanismus scheint auch durch die circa einen Millimeter dicke Lederhaut meines iPads recht fest zu halten, taugt aber vermutlich dennoch nicht um Stift und Werkzeug sicher gemeinsam in einer Tasche zu verstauen oder anderswie zu transportieren.
 
 
Der erste Kuss
 

 
Nach dem der Stift geladen und wieder zusammengebaut ist, muss man ihn über das Kiss-and-pair-Verfahren mit der App verbinden. Das bedeutet, man drückt mit der Stiftspitze auf ein dafür vorgesehenes Icon in der App und die Bluetooth-Verbindung wird hergestellt. Das ist nötig, damit die App zwischen Stift und Finger unterscheiden kann und die Handballenerkennung ihren Dienst tuen kann.
Wenn man sich nicht in der App befindet, bzw. der Stift nicht verbunden ist, funktioniert er wie ein gewöhnlicher Stylus und kann somit als Fingerersatz auch zur Bedienung aller andern (Zeichen-)Apps verwendet werden, dann funktionieren allerdings die Unterscheidung zwischen Stift und Hand, also auch die Handballenerkennung, und das Radiergummi nicht. Randnotiz: Man kann mit dem Stift auch das Trackpad (m)eines MacBooks bedienen.
 
Über das Kiss-Icon kann man die Verbindung auch wieder trennen. Inwiefern Pencil mit seinem Akku haushaltet, kann ich nicht sagen; es gibt jedenfalls keinen Ein-/Ausschalter am Gerät selbst. Laut Hersteller reicht eine Akkuladung für einen Monat normale Benutzung.
 
 
Schreiben, Zeichnen, Malen …
Die zugehörige App Paper bietet fünf Werkzeuge, einen Radiergummi und wenn Pencil benutzt wird zusätzliche die Möglichkeit mit den Fingern zu verwischen. Das Radiergummi kann man entweder über die Werkzeugbox aufrufen oder die Rückseite vom Stift verwenden. Außerdem gibt es mehrere Paletten mit jeweils sieben Farben und einen Farbmischer. Die gemischten Farben kann man zur späteren Verwendung in einer der bestehenden Paletten ablegen oder man stellt eine neue Palette zusammen. Über den Mischer kann außerdem ein HSB-Farbwähler aufgerufen werden.
 

 
Nun aber zum der interessanten Frage, wie gut der Stift denn tatsächlich ist. Ich habe bereits oben erwähnt, dass die Spitze aus einem Gummimantel und einem Innenleben besteht – das ist auch schon das größte Problem des Stifts. Die Spitze ist eben leider nicht aus Vollgummi sondern sehr beweglich und hat beim Aufdrücken ca. einen Millimeter Spiel, ehe das Innenleben dem aufsetzenden Stift einen Widerstand bietet.
 

 
Das führt besonders beim Schreiben dazu, dass man zwar das Innenleben zwischen den Buchstaben absetzt, aber nicht unbedingt die ganze Spitze, ergo sind alle Linien miteinander verbunden. Wenn man langsamer schreibt und nicht zu fest aufdrückt bzw. weit genug abhebt, wird es lesbarer. Über die Lupenfunktion sind auch kleinere Buchstaben und feine Detailzeichnungen möglich.
 

 
Beim Zeichnen scheint der Stift recht präzise umzusetzen, was man auf der Glasoberfläche macht und hat einen angenehmen Reibungswiderstand – ich habe nicht das Gefühl auf einer glatten Oberfläche zu schlittern, aber der Widerstand zwischen echtem Papier und Stiften ist schon noch spürbar größer. Allerdings habe ich das Gefühl, dass der virtuelle Strich der Stiftspitze einen kleinen Hauch hinterherhinkt.
Bluetooth-Verbindung sei dank, bietet Paper wie oben schon erwähnt eine Handballenerkennung, so dass man wie auf analogem Papier die Hand auflegen kann (das ist bei der Arbeit mit einem Stylus im Allgemeinen keinesfalls selbstverständlich). Die Unterscheidung zwischen Stift und Hand funktioniert allerdings nicht so perfekt wie ich es mir wünschen würde. Unter der Hand bilden sich manchmal Farbflecken und soeben mit dem Stift gezogene Striche fallen einer Falscherkennung zum Opfer und verschwinden wieder. Das liegt – so vermute ich – daran, dass der Stift druckempfindlich meldet, wenn er benutzt wird. Fühlt der Stift sich nicht aufgesetzt, verschwindet die Linie wieder. Das Problem kann man also durch den richtigen Schreibdruck umgehen und vielleicht brauche ich auch einfach noch ein wenig Übung.
Ein Ähnliches Problem tritt beim beim Radieren mit der Stiftrückseite auf. Fast jedesmal wird zunächst der Verwischen-Modus verwendet, weil die App die Rückseite als normalen Finger erkennt und man muss dann etwas fester aufdrücken, um wirklich zu radieren – vielleicht ist das aber ein Feature und kein Bug, um einen echten Radierer nachzuempfinden.
Obwohl der Stift merkt ob er gedrückt wird oder nicht, gibt es beim Zeichnen keine Druckstufen. Die Strichstärkenunterschiede resultieren allein aus der Programmierung der Zeichenwerkzeuge. So ist die Füllerlinie in der Mitte breiter, die Fineliner-Llinie an den Enden dicker und der Bleistift je nach Zeichengeschwindigkeit stärker oder schwächer aufgedrückt dargestellt.
 
Auf der Homepage wird davon erzählt, dass die besondere Form der Zimmermannsbleistifte viele Haltemöglichkeiten (dicke Linie, dünne Linie, schraffieren) ermöglicht, man kann natürlich auch den Pencil in allen möglichen Varianten halten, die Art, wie der virtuelle Stift dann auf das virtuelle Papier aufsetzt, ändert sich aber kein Stück. Man kann also nicht mit flächig aufgesetzter Bleistiftmine Flächen schraffieren (siehe die zackigen Linien im Testbild). Das einzige was scheinbar minimal auf die Haltung reagiert ist der Radierer an der Rückseite, allerdings kann man nicht so große Strichstärkenunterschiede erzeugen, wie die Geometrie suggeriert und das entsprechende Bild auf der Herstellerseite zeigt.
 
Von diesem Problem abgesehen, arbeitet der Stift aber zuverlässig und zeichnet präzise. In meinem Testbild habe ich die geraden Linien hinter den Werkzeugnamen mit einem realen, analogen Lineal gezogen und die sind meinen Erwartungen entsprechend und meinen Ansprüchen genügend gerade geworden. Auch Kurven scheinen exakt und und ohne Wellen oder Kracken exakt wiedergegeben zu werden. In der »Polygonfigur« (unten rechts im Testbild) habe ich experimentiert, wie leicht man wieder an das Ende einer bereits gezogenen Linie ansetzen kann, denn das war ohne Stift fast unmöglich. Mit Pencil geht es in vielen Fällen gut, aber wegen der verhältnismäßig dicken Spitze nicht immer ganz haargenau.
 
 
Fazit
Ich würde sagen, dass der Stift sein Geld durchaus wert ist, aber den Entwicklern – auch softwareseitig – noch Luft nach oben lässt. Wer auf dem iPad hauptsächlich schreiben will, sollte sich nach einem anderen Stift mit dünnerer Spitze umsehen. Zum Skribblen, Zeichnen und Malen funktioniert Pencil aber gut und ist ein schön anzusehendes Werkzeug. Besonders in Kombination mit einem zweiten Stylus für feinere Arbeiten denke ich kann man mit Paper auch auf dem iPad zu schönen Zeichnungen kommen, wie man auch an den unendlich vielen Beispielbildern auf der Herstellerseite sehen kann.
 
Zumindest für mich sind Pencil und Paper kein vollwertiger Ersatz für analoge Werkzeuge, weil Pencils Stiftspitze sich nicht der gewählten Werkzeugspitze anpassen kann und häufig zu dick ist – bei einem echten Bleistift ist das anders. Auch die Möglichkeit verschiedene Zeichentechnicken, wie flach aufgesetzte Miene etc., und eine Druckempfindlichkeit vermisse ich. Zumindest letzteres wäre nach meinem Gefühl im Preis noch mit drin gewesen.Mehr Informationen zu beiden Produkten gibt es auf http://www.fiftythree.com. Was mit der App, auf die ich hier ja nicht weiter eingegangen bin, alles geht, kann man sich auf der Support-Seite ansehen.
Erst vor kurzem haben wir das Buch über die Münchner Schildermalertradition des Herstellers Blaschke vorgestellt. Nun legt auch Berlin nach – und nochmal einen drauf. Das Buch »Karbid, Berlin – de la lettre peinte au caractère typographique« beschäftigt sich mit der Berliner Schildermalertradition.  
 
Ausgangspunkt für das Buch ist ein Projekt von Verena Gerlach. In den 1990er-Jahren durchstreifte sie den Nordosten Berlins zwischen Hackeschem Markt und ihrer damaligen Hochschule, der KHB in Weißensee und hielt dabei die zahlreichen erhaltenen Schriftmalereien fotografisch fest. Viele waren bereits vor dem 2. Weltkrieg entstanden und hatten im Ostteil der Stadt bis in den 1990er-Jahre überlebt. In der Auseinandersetzung mit diesen Inschriften entwickelte Verena Gerlach schließlich die Schrift Schrift FF Karbid (siehe Font-Wiki).
 


 
Der Name Karbin stand auch für das hier vorliegende Buch Pate. Darin werden sowohl die Schrift präsentiert als auch Verena Gerlachs »Buchstabenportraits« ausgebreitet, deren dokumentarischer Wert heute um so bedeutender ist, als die Auslöschung der alten Inschriften durch Renovierungsmaßnahmen nunmehr fast gänzlich abgeschlossen ist. Die Serie von Vorher-Nachher-Bilder am Ende des Buches belegt dies eindrucksvoll.
 


 
Einführende Worte gibt es zunächst von Fred Smeijers und Sébastien Morlighem. Den Hauptteil des Buches machen neben den Bildern Gerlachs die zwei Essays von Fritz Grögel aus.
Die Schrift der Maler – Zu Geschichte und Formen des deutschen Letterings. Zeugen des Alltags – Berliner Schriftenmalerei im Portrait Grögel setzt sich also sowohl mit der Geschichte der Schildermalerei im Allgemeinen auseinander, als auch spezifisch mit den diesbezüglichen Entwicklungen in Berlin. Dies ist insbesondere deshalb interessant, da die Beschriftung im öffentlichen Raum trotz ihrer Omnipräsenz im Alltag im Fachbereich der Typografie meist links liegen gelassen wird, da es hier vornehmlich um die Drucktypografie mit Satzschriften geht. Somit ist die Recherche-Arbeit Grögels umso wertvoller, da sie mit vielen interessanten historischen Details aufwarten kann, die sich in gängigen Typografie-Büchern kaum finden werden.
 


 
Das größtenteils zweifarbig gestaltete Buch ist natürlich selbst auch in FF Karbid gesetzt und fungiert somit gleichzeitig als Schriftmusterbuch für die Karbid-Schriftsippe. Genau dies bereitete mir beim Lesen jedoch auch ein bisschen Unbehagen. Einerseits ist die Karbid nicht wirklich eine perfekte Fließtext-Schrift. Ihre eigenwilligen Details, die im Sinne ihres Ursprungs in Schildermalerschriften verständlich sind, lenken im Fließtext doch noch ziemlich ab – auch wenn sie in der Unterfamilie FF Karbid Text deutlich zurückgenommen sind. Und andererseits erzeugte diese Mischung aus Schriftmusterbuch und Fachbuch auch einen gewissen inhaltlichen Konflikt zwischen dem werblichen Nutzen eines Schriftmusters und dem rein fachlich und sachlich informierenden Inhalt der Texte.
 
»Karbid« ist dreisprachich (Deutsch, Französisch und Englisch) gesetzt und bei Ypsilon Éditeur erschienen. Das Buch kann direkt beim Verlag bestellt werden.
 
Weitere Rezensionen zu Typografie-Büchern gibt es in unserem Typo-Wiki
In unserem Artikel über die missverstandenen Typografie-Fachbegriffe wurde ein wichtiger Vertreter ausgelassen, da er völlig den Rahmen gesprengt hätte – nämlich den Begriff Typografie selbst. Als Leser von Typografie.info haben Sie sicherlich eine gewissen Vorstellung, was dieser Begriff bedeutet – sonst würden Sie sich kaum auf dieser Seite aufhalten. Doch wie würden sie Typografie kurz, klar, allumfassend und unmissverständlich definieren? Wahrlich keine leichte Aufgabe!
Ursprünglich beschrieb der Begriff allein die Erstellung von Textinformationen mittels vorgefertigter Zeichen (»Typen«), wie sie in unserem Kulturkreis seit Gutenberg üblich geworden ist. Die Betonung liegt dabei darauf, dass die immer gleichen Buchstabenvorlagen zum Einsatz kommen. Dadurch grenzt sich die Typografie von der Kalligrafie – dem (Schön-)Schreiben von Schrift – und dem Lettering – der Einzelanfertigung von Schriftbildern (z.B. als gezeichnete Logos) – ab. 
Die »vorgefertigten Zeichen« waren ursprünglich Bleilettern, aber auch Fotosatz-Schriften und die heute üblichen digitalen Fonts lassen sich hier problemlos einordnen. Denn ihre Zeichen wurden einmal von einem Schriftgestalter entworfen und können nun von der Vorlage (dem »Font«) beliebig oft reproduziert und zu Textinformationen zusammengesetzt werden. Die historische Definition von Typografie ist also auch heute noch gültig. Und nicht wenige wünschen sich daher, dass sie auch weiterhin die alleinige Bedeutung des Begriffes bleibt.

Im Bleisatz liegt der Ursprung des Begriffes Typografie
 
Doch die Zeiten haben sich geändert – und gleichsam die Nutzung des Begriffes Typografie. Der Satz mit vorgefertigten Lettern ist nicht mehr bloß ein Arbeitsschritt beim Erstellen von Büchern und Zeitschriften, der von Spezialisten in Druckereien ausgeführt wird. Typografie ist heute überall und jeder, der elektronische Geräte besitzt, macht sich die Typografie in ihren technischen Definition zunutze. Ist man also schon ein Typograf, weil man mit dem Smartphone Nachrichten verschickt? 
Überraschenderweise hilft auch der Blick ins Bücherregal kaum, um Klarheit zu erlangen. Selbst in den Standardwerken zur Typografie wagen sich die Autoren selten an eindeutige Definitionen des Begriffs. Viel häufiger wird das Wesen eher bildhaft und allgemein beschrieben:
»Die Inszenierung einer Botschaft in der Fläche« (Lange / Spiekermann). »Typographie strukturiert Information und bereitet sie nach ihrem Inhalt auf: nach sachlich-logischen und mit ästhetisch-emotionalen Gesichtspunkten.« (Kurt Weidemann) »Die Typografie ist ein Mittel, vergleichbar der Sprache, mit der man Ideen, Gedanken und Gemütsbewegungen festhalten kann.« Raúl M. Rosarivo An diesen Beschreibungen ist viel Wahres dran, aber belastbare, allumfassende Definitionen sind es freilich nicht. Sie werfen gegebenenfalls nur noch mehr Fragen auf. Sind dreidimensionale Buchstaben keine Typografie mehr, weil sie nicht mehr »in der Fläche« sind? Muss Typografie immer auf »Strukturierung von Informationen« aus sein oder kann sich nicht auch teilweise genau das Gegenteil wollen? 
Bedingt durch die technischen Umwälzungen, die die Technik des Schriftsatzes in die Hände von allen gelegt haben, machen sich heute immer mehr Menschen den Begriff Typografie zu eigen. War Typografie einmal feinstes Fachchinesisch des graphischen Gewerbes, findet sich der Begriff heute in unterschiedlichsten Bereichen wieder. Jugendliche dekorieren ihre Instagram-Bilder durch »Typografie-Apps« und Museen präsentieren Ausstellungen mit Typografie-Postern – und meinen dabei alle schriftlastigen Werke, egal ob sie durch typografischen Satz, Kalligrafie oder Lettering entstanden sind. Gleiches gilt auch für Typografie-Bücher, Typografie-Kurse und so weiter, die sich nicht nur auf den den Schriftsatz mit vorgefertigten Typen beschränken. 

Der Verlag Hermann Schmidt Mainz gilt als Fachverlag für Typografie. Doch bedeutet dies, dass nach der historischen Definition des Begriffes Typografie Kalligrafie-Bücher fehl am Platze wären oder zumindest nicht in der Rubrik Typografie gelistet werden sollten?
 
Wie man sieht: Heute wird der Begriff Typografie viel weiter gefasst – manchmal wird er fast zu einem Synonym von Gestaltung. »Typografie und Gestaltung sind eins, denn es gibt kaum Typografen, die nicht gestalten.« (Rudolf Paulus Gorbach). Und so heißt es auch im entsprechenden Wikipedia-Artikel derzeit, dass man den Begriff Typografie »bis zur richtigen Auswahl des Papiers oder des Einbands ausweiten« könne. Doch eine zu weit gefasste Definition kann im Zweifel mehr Schaden als Nutzen bringen. Schwammige Definitionen widersprechen dem Zweck, überhaupt Definitionen aufzustellen. Denn umso schwammiger die Definition, umso größer die Gefahr, dass sich beim Einsatz des Begriffes die beteiligten Personen falsch verstehen. 
 
Soweit die Beschreibung des Ist-Zustandes, doch wie sollen wir nun mit dem Bedeutungswirrwarr um den Begriff Typografie umgehen? Sollen wir die historische Bedeutung weiter als alleinig richtig verteidigen und jeden auf eine vermeintlich falsche Verwendung hinweisen, der den Begriff weitläufiger versteht? Oder sollen wir uns vielleicht gar damit abfinden, dass der Begriff heute so schwammig geworden ist, dass jeglichen Definitionsversuche ohnehin zwecklos sind?
In meiner persönlichen Anwendung im Gespräch mit gestalterischen Fachleuten und fachfremden Menschen beschreite ich mittlerweile einen Ausweg, der meiner Meinung nach problemlos funktioniert. Ich habe einfach akzeptiert, dass der Begriff Typografie heute zwei Bedeutungen hat – eine spezifische und eine allgemeine. Hat man dies einmal akzeptiert, löst sich der ganze Streit um die eine richtige Definition in Wohlgefallen auf. Doch wohlgemerkt: Für sich genommen sind die beiden Definitionen durchaus klar und unmissverständlich beschreibbar und somit wird der Begriff von einem zu schwammigen Verständnis befreit. 
Auf den ersten Blick mag es eher kontraproduktiv klingen: Wieso sollen zwei, sich womöglich gar widersprechende Bedeutungen besser sein als eine? Doch man sollte sich dabei vergegenwärtigen, dass wir täglich problemlos mit solchen Doppelbedeutungen umgehen. Ein Beispiel gefällig? Der Begriff »Kochen« beschreibt eine spezifische Zubereitungsart von Lebensmitteln über das Erhitzen einer Flüssigkeit. Diese Zubereitungsart unterscheidet sich klar von anderen Zubereitungsarten wie dem Braten, Backen oder Grillen. Aber weil das Kochen auch die typische Zubereitungsart von Lebensmitteln ist, benutzen wir den Begriff gleichsam auch als generischen Begriff für alle Zubereitungsarten. Immer wenn die spezifische Zubereitungsart nicht bekannt oder nicht relevant ist, weicht man auf Kochen als generischen Überbegriff aus. Dies zeigt sich auch in den verwandten Begriffen: Niemand erwartet, dass ein Koch keine Braten zubereitet oder dass in einem Kochbuch keine Aufläufe stehen können. Je nach Kontext schließt der Begriff Kochen also andere Zubereitungsarten explizit ein oder aus – und niemand stört sich daran. Ganz im Gegenteil: Die Doppelbedeutung verhindert umständliche Beschreibungen. Und in gleicher Weise wird heute der Begriff Typografie verwendet. Mal spezifisch und ausschließend, mal generisch und einschließend – je nach Kontext. 
1. Die spezifische Bedeutung: Typografie als Technik
Die Typografie als Technik beschreibt die Erstellung und Darbietung von Textinformation über vorgefertigte Zeichenvorlagen. 
Wann immer Fonts zum Einsatz kommen, kann man im technischen Sinne von Typografie sprechen. Aussagen über Ästhetik, Leserlichkeit, Wirkung, Funktionalität etc. sind in diesem Zusammenhang zweitrangig, denn es wird schließlich explizit auf die Technik abgestellt. Die Typografie als Technik grenzt sich in diesem Sinne scharf von den Techniken Kalligrafie und Lettering ab. 

Beispiele für Lettering. (Links von Anton Burmistrov, rechs von Martina Flor)
 

Beispiele für Kalligrafie. (von Victoria und Vitalina Lopukhiny)
 
2. Die generische Bedeutung: Typografie als Lehre 
Die Typografie als Lehre beschreibt das Wissen um die Anwendung der Schrift. Dieses reicht von historisch, kulturwissenschaftlich Zusammenhängen bis zu den theoretischen und praktischen Grundlagen der gestalterischen Anwendung von Schrift in der Gegenwart.
Die Typografie überschneidet sich in diesem Sinne stark mit dem Fachbereich des Grafikdesigns, wo die Schrift nicht selten eine wesentliche Rolle spielt. Und dennoch: Schrift und Gestaltung sollten nicht synonym verwendet werden, nur weil die Anwendung von Schrift viele Bereiche der Gestaltung mittelbar berührt. Ein grafisches Muster auf dem Vorsatzpapier eines Buches ist nicht Typografie. Die Wahl des Papiers eines Buches ist nicht Typografie, nur weil später Buchstaben darauf gedruckt werden. Typografische Entscheidungen sind Entscheidungen, die ausdrücklich und unmittelbar die Schrift betreffen. 
Ob gerade von der Typografie als Technik oder Lehre die Rede ist, ergibt sich in der Regel problemlos aus dem Zusammenhang. Wann immer Sie einen Font benutzen, machen Sie sich die Typografie als Technik zunutze. Doch dies geht nicht zwangsläufig mit bewusster Gestaltung einher. Wenn Sie Microsoft Word öffnen, einen Satz eintippen und die Seite ausdrucken, haben sie sich der typografischen Technik bedient. Doch man kann schwer von typografischer Gestaltung sprechen, denn Sie haben keine gestalterischen Entscheidungen getroffen. Die Typografie als Lehre beschreibt jedoch die Grundlagen bewusster gestalterischer Entscheidungen, die zur besagten »Inszenierung« und »Strukturierung« der textbasierten Botschaft beitragen. 
In diesem Sinne wird die konkrete Technik (typografischer Satz/Kalligrafie/Lettering) oft nebensächlich. Alle drei Techniken sind schließlich auch eng miteinander verwandt. Schrift hat ihren Ursprung im Schreiben (Kalligrafie). Jedoch kann Lettering geschriebene Schrift simulieren und Druckschriften können wiederum Kalligrafie und Lettering simulieren. So ist für den Betrachter gegebenenfalls gar nicht ersichtlich (oder überhaupt interessant) mit welcher Technik eine Textinformation inszeniert wurde. Und spätestens dann springt genau wie bei den Zubereitungsarten von Lebensmitteln wieder der generische Begriff ein – also hier der Begriff Typografie. Typografie-Bücher und Typografie-Kurse beschäftigen sich mit Schrift und Schriftanwendung. Typografie-Poster sind schriftlastige Poster, egal mit welchen Mitteln sie entworfen und reproduziert wurden. Ein Buch über die Typografie-Geschichte beginnt nicht erst bei Gutenberg, sondern nimmt sicherlich auch zu den handschriftlichen Wurzeln Bezug. Und so weiter und so fort. 
 

Ein kalligrafierter Buchstabe? Lettering im kalligrafischem Stil? Oder doch eine digitalisierte Druckschrift?
 
Die generische, weitläufigere Bedeutung von Typografie ist fest im Sprachgebrauch verwurzelt. Denn sie erfüllt hier eine nützliche Funktion, um das Wesen bewusster, gestalterischen Arbeit mit Schrift in einem Begriff zusammenzufassen. Es macht daher wenig Sinn, diese Verwendung ächten zu wollen, nur weil sie nicht der ursprünglichen historischen Verwendung entspricht. Beide Bedeutungen des Begriffes haben sich zu Recht ihren Platz im Sprachgebrauch erobert. Wenn man sich dafür öffnet, dass beide richtig sein können und wenn man im Gespräch immer sicher stellt, dass beide Seiten die gleiche Bedeutung meinen, ist gegen die Doppeldeutigkeit des Begriffes nichts einzuwenden. 
Jetzt die »Hot New Fonts« bei MyFonts durchstöbern.
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